London, 1969. Die Moderne hat Einzug gehalten in die Millionenstadt. Die alten, verschnörkelten Wohnhäuser, erbaut in der Blütezeit des britischen Imperiums, werden abgerissen und weichen den Beton-Mietskaserne der Neuzeit. In einem dieser seelenlosen Neubauten spielt unsere Handlung jedoch nicht, sondern in einem von der Abrissbirne bislang verschont gebliebenen Altbau des viktorianischen Stils.
Hier lebt in einer altmodischen und heruntergekommenen Wohnung Withnail, ein verarmter Abkömmling der englischen Oberschicht, zusammen mit seinem besten Freund Marwood. Beide sind mittellose Schauspieler Ende zwanzig, die schon eine ganze Weile ohne Arbeit sind. Eine wirkliche Aussicht auf eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage besteht nicht; Marwood hatte zwar vor Kurzem ein Vorsprechen, malt sich aber keine großen Chancen aus. Withnail hingegen bekommt hin und wieder kleinere Rollen angeboten, die er aber für unter seinem Niveau hält und ausschlägt. Beide leiden unter Depressionen und den von ihnen in rauen Mengen konsumierten Drogen. Withnail ist zudem Kettenraucher und Alkoholiker. Ihr Lebensmittelpunkt ist ihre Wohnung, hin und wieder gehen sie ins Pub, einmal pro Woche suchen sie das Jobcenter auf, um sich ihre Sozialhilfe abzuholen.
Flucht aufs Land
Withnail hat einen reichen, homosexuellen Onkel namens Monty, welcher ein Cottage auf dem Land besitzt, irgendwo im Norden Englands. Marwood überredet Withnail, Monty zu fragen, ob sie nicht für eine Weile dort Urlaub machen könnten, um sich eine Auszeit von ihrer ungesunden Londoner Existenz zu gönnen.
Nachdem sich Monty erst sträubt, ändert sich seine Einstellung plötzlich auf eine mysteriöse Weise, und die beiden können anreisen. Dort angekommen, verschlechtert sich ihre Situation aber eher noch, denn vollkommen hilflos sehen sich die Großstädter mit den Schwierigkeiten des selbstverantwortlichen Lebens auf dem Lande konfrontiert. Marwood ist zwar etwas praktischer veranlagt als sein Freund, doch wie immer dominiert der pessimistische Withnail das Geschehen. Glücklicherweise schlägt nach ein paar Tagen Onkel Monty bei ihnen auf, der sich mit dem Leben auf dem Lande auskennt und das Cottage auf Vordermann bringt.
Eine morbide Romantik
Doch auch dies hilft nur wenig, denn die Geschichte steuert zielstrebig auf den Abgrund zu, und lässt sich durch nichts von diesem Pfad abbringen. Dennoch passiert sie kleine Inseln der Behaglichkeit – etwa, als es sich Marwood, Monty und Withnail im Cottage gemütlich machen.
In diesen Momenten schließt man die drei ins Herz und möchte bei Ihnen sein, dort, in jenem uralten Häuschen, das einsam zwischen den verregneten Hügeln Kumbriens kauert. Doch die Romantik von Withnail & I ist eben eine morbide Romantik. Der Verfall ist das stärkste Motiv des Filmes und schreitet unaufhörlich voran. Darum kann auch der Umzug aufs Land nicht die erhoffte belebende Wirkung bringen, sondern, im Gegenteil, macht ihnen klar: Sie scheitern auch hier. Ein möglicher Ausweg eines „Back to the Roots“ ist ihnen verbaut. Sogar das Wetter unterstreicht die konsequente Hoffnungslosigkeit des Filmes: Es bleibt die ganze Zeit über schlecht; nicht der kleinste Lichtblick ist uns vergönnt.
Kultstatus und Rezeption
Withnail & I ist ein Autorenfilm, produziert mit kleinem Budget. Er genießt in Großbritannien Kultstatus, ist aber anderswo kaum bekannt. Obgleich die Protagonisten nicht links sind und man ihnen sogar, gemessen an der Schablone der Progressiven, durchaus die Attribute sexistisch, homophob, antisemitisch und snobistisch anhängen könnte, wird der Film von Linken gefeiert, da sie sich mit dem degenerierten Lebensstil Withnails identifizieren können. Es gibt sogar ein zu dem Film gehörendes Trinkspiel, nach welchem jedes Mal, wenn Withnail Alkohol konsumiert, der Zuseher dies ebenso tun muss.
Doch während Linke sich dumpf am Hedonismus der Protagonisten ergötzen mögen, ist für uns vor allem ihre Tragik interessant – denn es ist die Tragik der Rechten. Withnail, Marwood und Monty sind nicht nur nicht links, sie sind konservativ, kultiviert und „von der alten Schule“ im wahrsten Sinne; alle drei sind Shakespeare-Schauspieler, klassisch ausgebildet an Institutionen, die zu ihrer Studienzeit noch nicht links zersetzt waren. Sie gehören ihrem Wesen nach nicht in die konsumistischen und egalitären 60er Jahre – auch wenn Marwood und Withnail dem verkommenen Lifestyle dieser Zeit zweifellos nachgehen. Vielmehr ist es das in seinen letzten Atemzügen liegende britische Empire, in dem sie spirituell zu verorten sind. Ihr Drogenkonsum ist kein linker Hedonismus, sondern vielmehr eine Selbstbetäubung gegenüber der Unzumutbarkeit des neuen Zeitgeistes. Monty:
„Die alte Ordnung ändert sich und weicht der neuen. Meine Jungs, wir stehen am Ende eines Zeitalters, erniedrigt von den Tories und von Labour preisgegeben. Und doch sitzen wir hier, wir drei, als vielleicht letztes Eiland der Schönheit.“
Kritik an den 1960ern
Withnail & I ist eine Abrechnung mit den 60ern, dem drogenschwangeren Hippie-Jahrzehnt, in welchem die alten Werte zerstört, aber durch nichts ersetzt wurden. Das Jahrzehnt, in welchem die „Somewheres“ ihrer Wurzeln beraubt und sich selbst überlassen wurden, um Platz zu machen für die „Anywheres“, die ganz ohne Wurzeln auskommen. Letztere werden im Film personifiziert durch die Figur des am Ende auftauchenden Drogendealers Danny, der über die 60er sagt: „die beste Dekade der Menschheit geht nun vorbei.“
Danny leidet nicht angesichts des allgemeinen Verfalls; er schwimmt obenauf in einer Welt des Nichts, denn er ist selber ein Nichts. Withnail hingegen, ein schwerer, aus der Zeit gefallener Charakter, gelingt es aus den Rahmenbedingungen dieses Jahrzehnts heraus nicht, seinem Potenzial eine Richtung zu verleihen und richtet dieses daher zerstörerisch gegen sich selbst. Dass Withnail dieses Potenzial tatsächlich besitzt, zeigt sich in der herzzerreißenden Schlussszene, als er einen brillanten Shakespeare-Monolog hält; dargeboten einsam und verlassen in strömendem Regen.
Die Tragik der Rechten
Ein Linker würde Withnail wahrscheinlich eine klinische Depression attestieren, die man mit allerlei Therapie und „Wissenschaft“ behandeln müsse. Als Rechte hingegen können wir Withnails Leiden durchaus nicht als krankhaft ansehen, denn dieses Leiden ist uns wohlvertraut. Genau wie Withnail sind auch wir Anachronismen, denen der Umbau der Gesellschaft im Sinne der Progressiven stark zusetzt. Uns schmerzt ihre Zerstörungswut an allem, was uns lieb und heilig ist – dem Guten, Alten, Schönen – so sehr, dass einige unserer besten, wie Rolf-Peter Sieferle oder Susanne Kablitz („Dieses Land ist unrettbar verloren“), sogar daran zerbrochen sind.
Regisseur Bruce Robinson, der, genau wie die beteiligten Schauspieler, heute leider als typisch linker Babyboomer der Marke „Rotweinsozialist“ angesehen werden muss, schuf mit Withnail & I eine Ode an das alte England, die ganz und gar durchwirkt ist mit Romantik, Melancholie und Nostalgie. Empfindungen, die elementare Bestandteile der rechten Gefühlswelt sind. Dies gelingt ihm mit wundervoll wehmütigen Aufnahmen des typisch englischen verregneten Grau in Grau und vom Einfangen von ebenso typisch englischen Kleinodien der Gemütlichkeit.
Intensive Eindrücke, die mit der Seele in Zwiesprache treten – gerade jetzt im Herbst, welcher symbolhaft für die Vergänglichkeit aller Dinge steht.
Wer nun auf Grund meiner Schilderung glaubt, Withnail & I sei ihm zu trübsinnig, dem sei noch schnell gesagt, dass es sich um keine Tragödie, sondern um eine Tragikomödie handelt. Die Komik und Liebenswürdigkeit der Charaktere tröstet an vielen Stellen über den Schwermut des Filmes hinweg.
Die deutsche Synchronfassung ist gut, aber zur Maximierung des englischen Lokalkolorits empfehle ich natürlich das Original.