P. N. Krasnows Bücher fanden in der Weimarer Republik und im Dritten Reich zahlreiche Leser. Einige seiner erfolgreichsten Werke erschienen sogar noch in der frühen BRD. Seit rund einem halben Jahrzehnt wurde hierzulande kein Buch mehr neu aufgelegt. Auch in den Antiquariaten sind sie kaum noch zu finden. So schwindet allmählich die Erinnerung an einen großen russischen Dichter.
Kämpfer gegen die Revolution
Nachdem er als hoher zaristischer Offizier durch den für Rußland katastrophal verlaufenden Ersten Weltkrieg und die Russische Revolution aus der Bahn geworfen wurde, widmete er im Exil sein Leben der akribischen literarischen Beschreibung dieses Epochenumbruchs und verfolgte nebenher das politische Ziel, die bolschewistische Machtergreifung rückgängig zu machen. Seine Versuche eine Partisanenbewegung aus dem Exil zu gründen, schlugen allerdings genauso fehl, wie seine spätere Beteiligung an der Zerschlagung der Sowjetunion durch das Dritte Reich.
Ab 1920 im deutschen Exil, begann P. N. Krasnow damit, einige seiner Bücher in deutscher Sprache zu veröffentlichen. Es waren Werke wie „Die Zesarewna“, „In der mandschurischen Einöde“, „Eroica“, „Die Amazone der Wildnis“. Seine letzte Veröffentlichung war 1939 „Russischer Soldatengeist“.
Krasnow ist jedoch vor allem einer der bedeutendsten Dichter über die bolschewistische Revolution 1917. Niemand hat die aufziehende Machtergreifung der Bolschewiki in ihren Etappen präziser, umfassender und realitätsnäher beschrieben. Selbst ein Alexander Solschenizyn konnte ihn mit seinem monumentalen Werk „Das Rote Rad“ nicht übertreffen, weil Krasnow die Geschichte des Umsturzes selbst erlebt und darin eine eigene Rolle gespielt hatte. Krasnow bezahlte 1947 vor einem sowjetischen Erschießungskommando seinen Patriotismus mit dem Leben, er hatte wahrlich Geschichte mit „Blut und Tinte“ geschrieben.
Literatur statt Geschichtsbücher
Für den Leser stellt sich die Frage, warum Krasnow keine Sachbücher zum Thema verfaßte. Er hat nicht einmal eine Autobiographie hinterlassen. Hierzu äußert er sich im Vorwort zu seinem Roman „Einig – unteilbar“:
Es lag anfangs in meiner Absicht, alles dieses in Form eines Geschichtswerkes niederzuschreiben, damit unsere Kinder, unsere Enkel wüßten, wie wir vor und während der Revolution gelebt, was wir erlebt hatten. Um aber Geschichte zu schreiben, bedarf es des historischen Abstandes, der Perspektive, sind genaue Namensangaben, Daten, protokollarisch festgelegte und überprüfte Zeugenaussagen erforderlich. Woher sollte ich, der ich in der Verbannung unter fremden Menschen lebe, die beschaffen? Das Bild ist so gewaltig, die Geschichte der russischen Revolution umfaßt so unendlich viele Momente, ist, wie man neuerdings zu sagen pflegt – so „vielkantig“, daß, um diese Geschichte zu schreiben, man viele Jahre daran arbeiten müßte. Und noch ein anderer Umstand hat mich davon abgehalten, Geschichte zu schreiben: – Geschichte gibt uns kein L e b e n s b i l d. Durch die Schilderung von Ereignissen verdunkelt die Geschichte das Leben der Menschen. Ein Lebensbild geben uns Erinnerungen, diese aber enthalten wiederum zuviel des Persönlichen, Intimen und bilden deshalb nur einen Ausschnitt, nicht ein abgerundetes Ganzes. Nur der in freier, künstlerischer Schöpfung entstandene kulturgeschichtliche Roman vermag ein vollständiges Zeitbild zu geben. Und ich entschied mich daher, in einer Reihe von Romanen meine Absicht, die Schilderung des russischen Lebens vor und während der Revolution, zu verwirklichen.
Niedergang des Zarenreichs
Geboren 1869 in St. Peterburg, erlebte Krasnow, wie das riesige russische Reich, das lange Zeit so mächtig und festgefügt erschien, Risse bekam, wie die aufziehende Moderne mit bahnbrechenden Erkenntnissen von Wissenschaft und Technik, Industrialisierung, aber auch Elend, Kriegen und Unruhen es allmählich unterminierten. Besonders die „Intelligenzija“ sog dieses Neue förmlich in sich ein, um im Gegenzug den Zaren, das Vaterland, die gesellschaftliche Ordnung und die Kirche infrage zu stellen. In einem Prozeß von Jahrzehnten zersetzte sich die alte Ordnung von innen heraus.
Von den Zaren bis zu Kerensky hinkten die Reformen der Realität hinterher, was schließlich den Radikalsten der Radikalen half, die Machtübernahme zu übernehmen. Gewiß spielten hier auch weitere Faktoren eine Rolle, wie der katastrophale Russisch-Japanische Krieg, die Revolution von 1905 und der für Rußland schlecht verlaufende Erste Weltkrieg. Krasnow konnte die Entwicklung in ihren Auswirkungen genau beobachten und beschreiben. Kaum jemand hatte aus eigenem Erleben einen so präzisen Über- und Einblick in ein Geschehen, das vielfältig und für Außenstehende unfaßbar erschien.
Bei allem war sich Krasnow stets im Klaren, daß es nach der Oktoberrevolution kein Zurück mehr zu den alten Zuständen geben könne und man eine neue, reformierte Ordnung errichten müsse. Seine Kritik setzte bei Rasputin und der Hofkamarilla an und umfaßte sämtliche morschen und veralteten Strukturen. Daher auch sein Bestreben, zu analysieren und herauszufiltern, was tatsächlich morsch und überkommen war. Er war zu sehr Realist, um in einer rückwärtsgewandten Nostalgie das, was tatsächlich unwiderruflich verloren war, künstlich und gewaltsam wieder einzusetzen. Das Prinzip der Monarchie blieb dennoch, bei aller Kritik, seine Grundlage.
Die Zarenmörder
Unter seinen Werken, die die Revolution und ihre Vorgeschichte beschreiben, muß man zuallererst „Die Zarenmörder“ nennen. Krasnow zeichnet mit viel psychologischem Einfühlungsvermögen den Weg einiger Revolutionäre nach, die den Zaren Alexander II ermordeten. Wie sind die Mörder zusammengekommen? Was waren das für Menschen? In welchem Umfeld wurden sie sozialisiert und radikalisiert? Wie ordnen sie sich ein in eine historische Bewegung, die Rußland seit Beginn des 19. Jahrhunderts schließlich bis in den Bolschewismus führte und im Ansatz schon in Dostojewskis „Dämonen“ beschrieben wurde? Waren es nicht zahlreiche verschiedenartige Bewegungen, von denen dann nur eine, die brutalste, sich durchsetzte? Die Beantwortung der Frage nach dem „Warum“ ist zentral für sein Werk.
So entwarf Krasnow ein umfassendes Panorama der russischen Gesellschaft. Er schilderte das Leben und seine Umstände aller Schichten und Klassen, mit Schwerpunkt auf der adligen und der bürgerlichen Gesellschaft, aus der sich ganz überwiegend die Träger der Zersetzung und des Terrors rekrutierten. Man erfährt von Militärs, Beamten, Fabrik- und Gutsbesitzern, Bauern, Klerikern, von jungen politisch aktiven Frauen, Gymnasiasten, Studenten, Arbeitern und „Luftmenschen“. Es sind verklärte Christen, Humanisten, Liberale, Nihilisten, Anarchisten, Atheisten, „Volkstümler“, Sozialisten aller Schattierungen, aber auch Vertreter eines starken alten Rußlands, für das der Zar, das Militär und die Kirche standen. Bei den „Progressiven“ überschneiden sich deren Ansichten oft und bilden ein ideologisch-weltanschauliches Durcheinander, gekennzeichnet von Eklektizismus, Synkretismus und Chiliasmus, das in den meisten Fällen rein destruktiv wirkte und dem Zerfall Tor und Tür öffnete. Die Gegenkräfte hingegen waren viel zu schwach, zerstritten und rückwärtsgewandt. Der Feind saß bald überall, selbst in den altehrwürdigen Institutionen.
Krasnow erschuf neben der Schilderung zahlreicher historisch nachweisbarer Personen eine Vielzahl an ausgefeilten, lebenswirklichen Charakteren, die in ihren Motivationen, Wünschen, Zielen, Schwächen und Stärken sehr eindringlich wirken, egal wo sie politisch, gesellschaftlich oder historisch zu verorten sind. Ohne Zweifel schöpfte Krasnow hier aus seinem eigenen Erleben, in dem er über die Jahrzehnte zahllose dieser Figuren so oder mit mehr oder weniger Ähnlichkeit persönlich kennengelernt hat. Dabei war Krasnow bemüht, objektiv zu bleiben. Obwohl er eine klare antibolschewistische Position im Sinne des alten Rußlands vertrat, ging es ihm primär um eine authentische Schilderung, eine Wiedergabe präziser Beobachtungen und Reflexionen. Insofern wundert es nicht, wenn in seine Bücher auch viele autobiographische Elemente einflossen.
Grausamkeiten und Zivilisationsbruch
Krasnow versuchte, das Unfaßbare zu begreifen. Wie konnte es zu diesem Zivilisationsbruch kommen? Wer hat den Umsturz durchgeführt? Wer und was steckte dahinter? Seine Bücher geben gleich mehrere schlüssige Antworten darauf. Die breite Palette an philosophischen, historischen und politischen Ansichten, personifiziert in seinen Charakteren, spiegelt alle Seiten ungeschminkt und in aller auslotbaren Tiefe wider. Der Leser kann deren Entstehung und Entwicklung im Spiegel der Ereignisse nachvollziehen. Es gibt hier nicht nur die Guten und die Bösen. Die meisten seiner Figuren sind tragisch, sie unterliegen einem Wandel, viele sind schwankend und schwer einzuordnen. Sie grübeln, kämpfen, zweifeln und bereuen. Es ist die grandiose Darstellung einer Zeit, die uns das Geschehen besser zu verstehen lehrt.
Der bolschewistische Umsturz sowie der folgende Bürgerkrieg waren durch unzählige Grausamkeiten gekennzeichnet. Krasnow hatte sie wohldosiert, nicht übertrieben, geschildert. Sie stehen nicht im Vordergrund seiner Werke. Dennoch sind sie unverzichtbar, da sie unglaubliche Abgründe menschlichen Handelns aufzeigen. Dies gilt auch für den immer wieder aufscheinenden, seinerzeit weit verbreiteten Antisemitismus, der bei ihm jedoch nicht gegen jeden einzelnen Juden gerichtet war, zumal jene für ihn durchaus auch Opfer sein konnten. Sein späterer Kontrahent, General Denikin, war da rigoroser.
Krasnow schildert Massenerschießungen, Vergewaltigungen und weitere bestialische Grausamkeiten der Roten, aber auch den aufkommenden Kannibalismus, in den die Bolschewiken die Bevölkerung getrieben hatten. Die „Weißen“ kommen hier vergleichsweise viel besser weg als die Roten.
Krasnows zahlreiche Romane
Krasnows Romane zur Revolution, allesamt dicke Wälzer, müssen nicht in einer chronologischen Reihenfolge gelesen werden. Abgesehen von „Fallende Blätter“ und „Verstehen heißt Vergeben“, die eine Fortsetzung bilden, kann man sie willkürlich nacheinander lesen. Da wären noch „Der endlose Hass“, „Das Reich in Ketten“, „Vom Zarenadler zur Roten Fahne“, „Einig – unteilbar!“ sowie „Der weiße Kittel – Vom roten Stern zum Doppeladler“.
Das letztere davon ist eine rein fiktive Vision, in der die Konterrevolution über den Bolschewismus siegt. Dieses Buch resultierte daraus, daß Krasnow immer auch politisch tätig war und verzweifelt Wege gesucht hatte, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Schließlich mußte er jedoch erkennen, daß das bolschewistische Regime von innen nicht mehr zu stürzen war.
In der Einleitung von „Vom Zarenadler zur Roten Fahne“ heißt es: „Nach der Revolution wurde General Krasnow Kommandeur des dritten Kavalleriekorps und führte dieses als Erster gegen Lenin. Durch Verrat seiner Kosaken wurde er im November 1917 bei Petersburg von den Bolschewisten gefangen. Aber die Treuen unter seinen Kosaken befreiten ihn wieder. Die Flucht ins Donkosakengebiet gelang. Am 18. Mai 1918 wählten ihn die Donkosaken zu ihrem Ataman. Mit deutscher Unterstützung behauptete er das Land erfolgreich gegen den Ansturm der Bolschewisten.“
In dem Roman „Verstehen heißt Vergeben“ hat er den Zwiespalt thematisiert, in den ein von den Bolschewiken gefangengenommener General geriet, der dann vorübergehend für die „Roten“ gegen die „Weißen“ kämpfte, bis er wieder zu den Seinen überlief. Der Wechsel der Seiten war komplizierter als es scheint, Krasnow liefert dazu tiefschürfende, differenzierte Einsichten.
Enttäuschung über die Entente
Im Herbst 1918 kam der deutsche Zusammenbruch und zugleich trat die Entente als neuer Faktor in Rußland auf. Sie landete an mehreren Stellen Truppen, die die Interessen der Entente sicherstellen sollten. Die „Weißen“, unter ihnen Krasnow, schöpften neue Hoffnung, die allerdings trog. Die Entente spielte ein doppeltes Spiel und versuchte nicht ernsthaft, ganz Rußland wieder vom Bolschewismus zu befreien. Den Weißen blieb mangels eigener Möglichkeiten nichts übrig, als sich darauf einzulassen, in der Hoffnung auf eine Einsicht auf Seiten der Entente.
Krasnow war seit jener Zeit bereits aus eigenem Erleben den Deutschen zutiefst verbunden. Die Folge war seine Abberufung. Er wurde durch die „weiße“ Führung und die Entente kaltgestellt. Der weiße Widerstand verlor einen seiner besten Generäle.
Krasnow nahm schließlich noch an einem letzten militärischen Befreiungsversuch unter General Judenitsch von Norden her teil, der letztlich ebenfalls an mangelnder Unterstützung der Entente scheiterte. 1920 ging Krasnow ins deutsche Exil.
Krasnows letzter Kampf
General Pjotr Nikolajewitsch Krasnow, schon ein recht alter Mann, schöpfte 1941, zu Beginn des deutschen Krieges gegen die Sowjetunion, ein letztes Mal Hoffnung auf eine Befreiung seines geliebten Heimatlandes. Für eigene militärische Aktivitäten war er zu alt. So stellte er sich mit seinem guten Namen der deutschen Propaganda zur Verfügung und half russische Freiwillige gegen den Bolschewismus anzuwerben. Die Exilrussen waren jedoch gespalten und so sprach sich zum Beispiel sein alter persönlicher Gegenspieler, der ehemalige „weiße“ General Denikin im Exil in den USA in einem falschen Anflug von „Patriotismus“ merkwürdigerweise für einen Sieg der Sowjetunion aus.
Krasnow zog dennoch in den Krieg, der wie er vergeblich hoffte, die Befreiung Rußlands bringen würde. Die anfänglichen Siege schienen ihm zunächst seine neuerlichen Hoffnungen zu erfüllen. Bekanntlich trug dann aber eine wenig vorausschauende, ungeschickte und grausame Besatzungspolitik Deutschlands dazu bei, diese von Krasnow erstrebte Befreiung in eine erneute Unterdrückung zu verwandeln, die nicht zuletzt dem von Stalin angeordneten zunehmenden Partisanenkampf gegen die deutschen Besatzer zugutekam. Die Chance auf ein befreites, gleichberechtigtes neues Rußland erstarb endgültig, weil ein 1943 einsetzendes Umdenken auf deutscher Seite zu spät kam.
Er gehörte schließlich zu jenen Kosaken, die entgegen aller alliierten Versprechungen 1945 an die Sowjets ausgeliefert wurden. Für ihn war es nur ein weiterer Verrat der Westalliierten seit jenen Tagen der Entente. Krasnow endete 1947 vor einem Erschießungskommando in Moskau, nachdem man ihn ursprünglich erhängen wollte.
Schlusswort
Pjotr Nikolajewitsch Krasnow ist gerade heute wieder aktuell. Seine prodeutsche Einstellung, sein Respekt vor den Deutschen und seine zweifache aktive Rolle in der deutsch-russischen Waffenbrüderschaft gegen den Bolschewismus sind geeignet, als positive historische Bausteine einer neuen deutsch-russischen Annäherung zu dienen. Dies vor allem in Anbetracht der seit den späten 2000ern wieder zunehmenden antirussischen Einstellung innerhalb der deutschen Eliten und der kritiklosen Übernahme us-amerikanischer Interessen und Sichtweisen für Europa. Sie adressiert aber auch die unheilvolle Renaissance pro-bolschewistischer Verklärungen in Putins Rußland.