Vor kurzer Zeit musste ich es mal wieder selber lernen. Absurderweise, kurz nachdem ich ein Weiterbildungsseminar gegeben hatte, bei dem es auch um die Wahrung der eigenen psychischen und physischen Gesundheit ging und nachdem ich ein weiteres zur Psychohygiene und Burnout-Prophylaxe vorbereitet hatte, lag ich abends nach einer langen Zugfahrt mit Migräne flach. Selbst die, die immer zu solchen Themen predigen, sind nicht davor gefeit, alte Fehler zu wiederholen. Was kann man aus so etwas mitnehmen und lernen?
Achtsamkeit für Körpersignale
Sinn macht es immer, achtsam mit seinem Körper umzugehen. In manchen Lebenssituationen ist es jedoch geradezu unausweichlich. Wer beispielsweise eine Behinderung oder eine chronische Krankheit hat, wer spirituell und ganzheitlich lebt, auch wer achtsamkeitsschärfende fernöstliche Disziplinen wie Yoga, Tai Chi oder Kung Fu betreibt, sollte frühzeitig lernen, auf seinen Körper zu hören, wenn er einem etwas sagen möchte. Eine Lektion, die man niemals bereuen wird! Denn: Sie schafft einen grundlegend anderen Umgang mit Krankheitssymptomen.
Normalerweise wirken gerade neurologische Symptome wie Kopfschmerz, Spannungsschmerzen, Sehstörungen oder Ohrgeräusche auf Menschen sehr beunruhigend, gerade wenn man sie das erste Mal erlebt. Es spielt sich halt „ganz oben“ ab, in der „Zentrale“ des Körpers, und ist dadurch für viele besonders beunruhigend und unangenehm. Wenn man aber reflektiert mit solchen Symptomen umgeht, also mal genau darauf achtet, wann und wieso sie aufkommen, so merkt man eigentlich: Sie haben eine ziemlich konstruktive Funktion!
Temporäre leichte Ohrgeräusche oder auch Kopf- und Nackenschmerzen weisen meistens auf Verspannungen hin. Migräneanfälle samt Sehstörungen auf ernstere, härtere Verspannungen, Fehlhaltungen, Schlafmangel und eventuell auch Nahrungs- / Flüssigkeitsmangel (zumeist macht’s die Mischung aus allem). Das eine begünstigt das andere: Verspannungen werden bei zu wenig Schlaf wahrscheinlicher. Sport und Kondition wiederum vermindern das Risiko solcher physischen Stresssymptome deutlich. Dazu zählen sowohl Muskelaufbau als auch Muskel-Dehnung (ideal hierbei wie gesagt Disziplinen wie Yoga, Kung Fu und / oder Tai Chi, da sie beides kombinieren).
Achtsamkeit schafft Resilienz
Paralleles Arbeiten am eigenen „mindset“ wiederum hilft bei einer gelasseneren Einstellung gegenüber gesundheitlichen Symptomen. Wer diese als konstruktive Warnsignale ansieht anstatt als reine „Plagen“, der kann seinem Körper wertschätzender begegnen und Ärger oder Angst darüber verhindern. Das erhöht den Seelenfrieden. Auch hierin liegt ein Nutzen von ganzheitlichen Methoden wie den fernöstlichen: Sie beziehen immer auch Geist und Psyche mit ein, schaffen auch einen gelasseneren Umgang mit äußeren Problemen.
Wenn ich mich beispielsweise frage, wieso es mir bis zu einem gewissen Grad vollkommen gleichgültig ist, wenn mich ein politischer Gegner (kommt er nun in Gestalt einer anderen Partei oder einer Zeitung daher) öffentlich verleumdet, dann ist etwa das eine der Antworten darauf: Ganzheitliche Aktivitäten schaffen positive Energien. Man fokussiert sich nicht mehr auf das, was einen ärgern könnte, sondern auf das, was einem Zufriedenheit verschafft. Klar: Ärger ist immer mal wieder noch da, aber er frisst sich nicht in einen hinein. Frust, Komplexe und dergleichen haben keine Chance mehr. Konflikte werden ausgefochten, wo sie inhaltlich und sachlich Sinn machen, aber nicht da, wo es nur um irgendwelche kleinlichen Rachegedanken oder andere sinnlose Energieverschwendung geht. Das ist die Essenz für Zufriedenheit gerade in psychisch anspruchsvollen Settings wie beispielsweise politischer Arbeit.
Die natürliche und soziale Umwelt
Doch auch in der „äußeren“ Dimension, in der natürlichen und sozialen Umwelt, ist Achtsamkeit, also bewusstes Wahrnehmen, sehr wertvoll und hilfreich. Zunächst einmal ermöglicht es in vielen Situationen einen viel größeren Lebensgenuss – und das ganz ohne Alkohol, Nikotin oder chemische Substanzen, die Körper und Psyche kurzfristig „Genuss-Bemühungen“ abnehmen, ihn aber langfristig dafür bestrafen (ähnlich möglicherweise gewissen Impfstoffen, die dem Immunsystem in Bezug auf bestimmte Viren „Arbeit abnehmen“, aber den Körper ansonsten ebenfalls langfristig schädigen). Wer bewusst und achtsam lebt, genießt sein Essen oder Getränk mehr, ernährt sich ruhiger und weniger hektisch und gönnt sich dadurch bewusstere Pausen.
Auch zwischenmenschliche Momente können so besser genossen und ausgekostet werden, da sie dadurch mehr Wertschätzung erfahren. Die Erinnerung an sie fällt später präziser aus, wodurch sie einem länger „erhalten“ bleiben. Ähnlich beim Erleben von Natur: Wer einmal bewusst innehält, die Geräusche, Gerüche und Anblicke der Natur um einen herum wahrnimmt, der gönnt seinen Sinnen eine erholsame Pause, die als Entschleunigung wirkt und zugleich Bindung schafft zu einem göttlichen Urgrund, aus dem wir alle kommen und zu dem es uns instinktiv immer wieder hinzieht – jedenfalls, wenn wir noch nicht vollends durch die sogenannte „moderne Zivilisation“ verdorben wurden. Wer Natur bewusst erlebt, weiß, dass er auch in den schlimmsten Momenten seines Lebens niemals allein ist. Wir wissen dann: Um uns herum ist Leben, überall. Und wo wir Leben um uns herum wahrnehmen, da leben auch wir selbst bewusst und dadurch selbstbewusst.
Vermeidung von Konflikten und Missverständnissen
Achtsamkeit im Alltag hilft dabei, Un- oder sonstige negative Zwischenfälle zu vermeiden. Wer weniger hektisch agiert und sich Zeit nimmt für die Wahrnehmung der Umwelt, lebt sicherer – sei es als Autofahrer, als Fußgänger, als Rollstuhlfahrer oder als Fahrradfahrer. Dies gilt auch für die soziale Interaktion: Wer sich einmal Mühe gibt, nicht immer nur selbst zu reden, sondern auch mal zuzuhören, dabei auch auf Zwischentöne zu achten, auf Mimik und Gestik, auf nonverbale Signale und Kommunikation, kann in der Interaktion klüger und reflektierter agieren und erspart sich dadurch Konflikte. So lassen sich beispielsweise auch lediglich scheinbare (!) Konfliktgründe wie beispielsweise nicht erkannte humorvolle Äußerungen von echten Konfliktgründen differenzieren – eine Fähigkeit, die gerade bei der Kommunikation im Netz in den letzten Jahren immer relevanter geworden ist.
Und selbst innerhalb von Konflikten gilt dies: Achtsamkeit ermöglicht die Reflexion darüber, was da eigentlich gerade passiert. Habe ich es etwa mit einem Konflikt auf der Sach- oder auf der persönlichen Beziehungsebene zu tun? Auf der Basis der Antwort darauf lässt sich die Reaktion besser abstimmen. Dafür jedoch benötigt es auch Achtsamkeit gegenüber den eigenen Gefühlen: Wer wütend wird, aber der Wut nicht gleich nachgibt, sondern sich erst einmal fragt „Wieso werde ich jetzt wütend? Was ist es, was mich dabei gerade antreibt?“, hat bessere Chancen, souverän mit der Wut umzugehen. So lassen sich destruktive Wutgründe wie z. B. Rachegefühle oder verletzte Eitelkeiten von potenziell konstruktiven Aggressionen wie etwa Gerechtigkeits- oder prinzipiell-idealistischen Erwägungen differenzieren. Und man weiß, ob man überhaupt kämpfen muss – und wenn ja, wofür.
Gerade innerhalb von Paarbeziehungen, bei Freundschaften, in Familien oder am Arbeitsplatz entfaltet diese Erkenntnis ihre besondere Relevanz. Es ist nicht übertrieben hinzuzufügen, dass die Beherzigung dieser Grundsätze es ermöglichen kann, Trennungen zu vermeiden, Familienstreits zu schlichten und aufkommende Burnout-Syndrome zu verhindern. Auch wenn es zuweilen in emotional aufgeheizten Konfliktsituationen Selbstdisziplin und vor allem Selbstreflexion verlangt, was gerade in aggressiven Momenten besonders herausfordernd sein kann. Am Ende, so viel ist sicher, wird es sich jedoch lohnen – für einen selbst wie auch für das Gegenüber.
Achtsam lebt es sich leichter.