Wenn Bücher eines Schriftstellers mehr als 100 Jahre nach ihrem Erscheinen ständig und in wachsender Zahl wieder neu aufgelegt werden, verdient dies Beachtung. Karl Hans Strobl hat mehr als 100 Bücher veröffentlicht, von denen in mehreren Verlagen derzeit rund 20 lieferbar sind. Bei weiteren stehen Neuauflagen an. Eine ganze Reihe an Büchern und Kurgeschichten wurden in andere Sprachen übersetzt. Zu seinem schriftstellerischen Erbe kommen zahlreiche Artikel in Zeitungen und Zeitschriften hinzu.
Wer war Karl Hans Strobl?
Karl Hans Strobl verdient es aber auch noch aus einem anderen Grund, daß man sein Leben und Werk beachtet: Als Sudetendeutscher hat er sich als Anwalt der Sudetendeutschen im großdeutschen Sinne betätigt. Auch wenn in der BRD und in Österreich eine Beschäftigung mit seinem Gesamtwerk wegen seines politischen Hintergrundes kaum stattfindet, werden seine Werke wohl jeden Zeitgeist überdauern.
1877 in der deutschen Sprachinsel Iglau in der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie geboren, endete das Leben von Karl Hans Strobl 1946 in Perchtoldsdorf, in der Nähe von Wien. Schon als Prager Waffenstudent vor der Jahrhundertwende, war Strobl ein durch und durch politischer Mensch. 1900 wurde er zum Dr. jur. promoviert. Seinen Lebensunterhalt konnte er in der zweiten Lebenshälfte gänzlich durch seine Schriftstellerei bestreiten. Die große Mehrzahl seiner Bücher ist völlig oder weitgehend unpolitisch und behandelt zeitgenössische, historische oder gar „heitere“ Erlebnisse. Die literarische Qualität ist beachtlich, trotz der Bandbreite und schieren Anzahl seiner Werke.
Den zusätzlichen Vornamen „Hans“ legte sich Strobl zu, nachdem Veröffentlichungen eines anderen Schriftstellers mit gleichem Namen zu Verwechselungen und Verwirrungen geführt hatten.
Der Erste Weltkrieg als Zäsur
Der Aufstieg als Schriftsteller begann bereits vor dem Ersten Weltkrieg mit Artikeln und Büchern. Aus dieser Zeit stammen auch die meisten seiner noch heute neu aufgelegten phantastischen Werke, wie etwa „Aus Gründen und Abgründen, Skizzen aus dem Alltag und von drüben“ (1901), „Die Eingebungen des Arphaxat -Merkwürdige Geschichten“ (1904), „Gefährliche Strahlen“ (1906), „Eleagabal Kuperus“ (1910) und „Lemuria“ (1917).
Der Erste Weltkrieg stellte eine deutliche Zäsur dar. Strobl wurde aus gesundheitlichen Gründen nicht zur österreichischen Armee eingezogen. Auf Grund seiner schriftstellerischen Tätigkeit fand er jedoch Verwendung als Kriegsberichter.
Seine Bücher „Zwischen Weichsel und Karpaten“ und „Der Krieg im Alpenrot“ beschreiben das Geschehen an verschiedenen Fronten. Wie gefährlich diese Tätigkeit werden konnte, hatte schon sein Kriegsberichter-Kollege Ludwig Ganghofer erfahren müssen, der für eine schwere Verwundung an der Front das Eiserne Kreuz erhielt („Die stählerne Mauer“, „Der russische Niederbruch“). Durch die Aufnahme in die Taschenbuchreihe der weitverbreiteten „Ullstein Kriegsbücherei“ steigerte sich sein Bekanntheitsgrad im Deutschen Reich.
Nach dem Ersten Weltkrieg
Der Zusammenbruch des Habsburgerreiches führte zu einer weiteren Zäsur. Strobls deutsche Heimatstadt Iglau, wie auch das deutsche Brünn, in dem er als Jurist arbeitete, waren von einem Tag auf den anderen der „CSR“ („Tschechoslowakische Republik“) zugehörig. Bekanntlich hatte dieser multinationale Kunststaat von alliierten Siegergnaden mit knapp 50% echten Tschechen eine rigorose Tschechisierungs-Politik betrieben, in deren Folge der sich aktiv zu seinem Deutschtum bekennende Strobl 1934 des Landes verwiesen wurde.
Strobl verfaßte daher auch Bücher zur Volkstumsfrage. Seine Liebe zu Prag äußerte sich in dem schmalen Band „Prag – Schicksal, Gestalt und Seele einer Stadt“. Darin wird von der Geschichte, Kultur und Politik berichtet. Man erfährt vieles, was heute unbekannt oder verschwiegen wird. So erinnerte Strobl an die Volkszählung im deutschen Prag im Jahre 1847, die noch eine Zweidrittelmehrheit an deutschen Einwohnern hatte.
Die Thematik der Deutschen in Böhmen und Mähren fand überwiegend belletristisch Eingang in eine ganze Reihe von Romanen. Neben seinen vier Prager Studentenromanen („Die Fackel des Hus“, „Die Vaclavbude“, „Der Schipkapaß“ (neu: “Der Flamänder von Prag“) sowie „Das Wirtshaus „Zum König Przemysl“) waren es Bücher wie „Feuer im Haus“ oder „Die Stadt der tausend Türme“.
In seinem Roman Buch „Der dunkle Strom“ geht es um das „Thorner Blutgericht“, das vom Kampf der Polen gegen die deutsche Bevölkerung der westpreußischen Stadt handelt. Strobl fühlte sich immer als Großdeutscher. Das Schicksal der Volksdeutschen in von fremdem Volkstum eingeschlossenen Gebieten war ihm aus eigenem, leidvollem Erleben bekannt.
In Österreich verfolgt und zweimal aus der Tschechoslowakischen Republik vertrieben
Nach seiner Ausweisung aus der Tschechischen Republik konnte er auch nicht lange in Österreich bleiben, war er doch Mitglied der verfolgten österreichischen NSDAP. Leider sind seine autobiographischen Aufzeichnungen über seine politischen Aktivitäten bis zum Anschluß an Deutschland 1938 nicht mehr lesbar, da Strobl den Chiffrierungscode für die komplett chiffrierten Aufzeichnungen verloren hatte.
Strobl betätigte sich nach dem Anschluß überwiegend kulturpolitisch. 1945 wurde er von den Tschechen aus Iglau vertrieben und zog in sein zweites Domizil in Perchtoldsdorf bei Wien. Kurz danach wurde er von den Sowjets verhaftet und das verbliebene Vermögen komplett eingezogen. Der damals 68jährige wurde gezwungen schwere körperliche Arbeit zu leisten, woraufhin er ernsthaft erkrankte und im Frühjahr 1946 verstarb.
Eine Auslieferung an die Tschechen, die im Sommer 1945 begannen, von den alliierten Siegern ausgelieferte Deutsche in wachsender Zahl an den Galgen zu bringen, blieb ihm erspart. Selbstmord, wie ihn 1945 Josef Weinheber (einer der größten deutschen Lyriker) oder 1964 Oswald Kabasta (begnadeter Dirigent und Komponist) begingen, war für Strobl keine Option gewesen.
Wie bei so vielen deutschen Dichtern, beendete der Zusammenbruch des Dritten Reiches auch Strobls Schaffenskraft. Sein letztes Buch war 1944 in Budweis erschienen und beschloß seine bis ins Jahr 1938 reichende dreiteilige Autobiographie („Heimat im frühen Licht“, „Glückhafte Wanderschaft“ und “Weltgeschichte und Igelhaus“).
Einige von Strobls Werken wurden in der SBZ/DDR auf den Index der „auszusondernden Literatur“ gesetzt. An Neudrucke war nicht zu denken. In Österreich konnte er durch seinen vorzeitigen Tod nicht mehr persönlich „entnazifiziert“ werden.
Meister der phantastischen Literatur
Strobl hatte überwiegend Bücher geschrieben, in denen die Politik keine Rolle spielte. Hierzu zählten seine phantastischen Werke, die von E.T.A. Hoffmann (1776-1822) und E.A. Poe (1809-1849) beeinflußt waren. Neben seiner außerordentlichen Phantasie schöpfte er auch aus alten Märchen und Geschichten, wie etwa beim „Zauberkäfer“ (1923).
Mit „Geschichten um Mitternacht“ gab Strobl von ihm selbst ausgewählte Erzählungen von E. A. Poe mit der Absicht heraus, diesem Dichter nach seinem Tod im deutschsprachigen Raum ein Denkmal zu setzen, da Poe wegen seiner menschlichen Schwächen stark angefeindet worden war.
Nach dem 1. Weltkrieg erschienen u.a. „Gespenster im Sumpf“ (1920), „Umsturz im Jenseits“ (1920), „Der Zauberkäfer“ (1923) und „Od: Die Entdeckung des magischen Menschen“ (1930).
Exemplarisch sei hier auf „Gespenster im Sumpf“ verwiesen. In diesem phantastischen Roman ist die Großstadt Wien nicht mehr von Menschen bewohnbar. Es verwandelte sich in eine verwunschene Ruinenstadt, mit nur noch menschenähnlichen Kreaturen, in der es dennoch Abenteuer bis zu dessen finalem Untergang zu bestehen galt. Dem Text vorangestellt schrieb Strobl: „Vielleicht sind Sie und ich, wir alle hier und alle diese Begebnisse nichts als der Traum eines sterbenden Gehirnes, letztes Lichtfünkchen der verlöschenden Vernunft eines Bewohners dieser Stadt, der halbnackt und von Strolchen beraubt auf der Straße liegt.“ Es ist vielleicht das beste seiner phantastischen Werke.
Zusammen mit Gustav Meyrink und Hanns Heinz Ewers zählte Strobl zu den herausragendsten phantastischen Schriftstellern in Deutschland. Alle drei werden heute noch verlegt, wobei die Romane mit politischen Tendenzen von Strobl und Ewers keine Rolle mehr spielen (Ewers NS-Buch „Horst Wessel“ steht bis heute im „Giftschrank“).
Kaum Verfilmungen seiner Geschichten
Wenige Werke Strobls wurden In Deutschland verfilmt. Hierzu zählt der Stummfilm „Nachtgestalten“ (1920), eine Verfilmung nach dem Roman „Eleagal Kuperus“. Es geht dabei um einen skrupellosen, unsympathischen, aber unermeßlich reichen Mann, der nicht nur noch reicher werden will, sondern nach der „Weltherrschaft“ strebt. Um dies mittels Erpressung zu erreichen, geht er auf das Angebot eines jungen Erfinders ein, der ihm ein Verfahren zum Entzug von Sauerstoff aus der Luft anbietet. Das Buch endet jedoch mit einer überraschenden Wende.
Strobls phantastische Werke sind voll von eigenen Gedanken und Erfindungen. Viele davon finden sich auch in zahllosen Filmen Hollywoods wieder, das bekanntlich durch seine Ideenscouts weltweit alles an literarischen Werken plündert, was sich für Filme eignet. Merkwürdigerweise wurde nach der Stummfilmära keines seiner Werke mehr verfilmt. Es wäre bestimmt ein interessantes Forschungsthema, Strobls Ideen mit den in Hollywood verfilmten zu vergleichen.
Das alte deutsche Prag als Inspiration
Nicht zuletzt waren es Strobls Studienjahre im deutsch geprägten Prag, einer der mystischsten Städte Europas, die ihn an das Phantastische herangeführt haben. Prag brachte überhaupt eine ganze Reihe deutscher Dichter hervor, die sich mit übernatürlichen Dingen beschäftigten. Man denke nur an Gustav Meyrinks „Der Golem“ (1915) oder an den ebenfalls heute noch gedruckten Paul Leppin mit „Severins Gang in die Finsternis“ (1914).
Es ist hier nicht der Platz, auf den Inhalt von Strobls phantastische Werke näher einzugehen. Wer sich mit seinem Werk vertraut machen möchte, sollte mit einem der Bücher „Umsturz im Jenseits“, „Gespenster im Sumpf“ oder „Eleagal Kuperus“ zu lesen beginnen.
Strobls Schaffen ist zweifellos von den erlebten historischen Umbrüchen geprägt worden. Seine Kriegs- und Volkstumsbücher, wie seine Autobiographie, zeugen davon. Weltweit ist Strobl heute weiterhin als Verfasser phantastischer Literatur bekannt.
Leben in künstlichen Vielvölkerstaaten
Von Geburt an im österreichischen Vielvölkerstaat lebend, und landete Strobl schließlich 1919 erneut in einem Vielvölkerstaat, in dem Tschechen, Slowaken, Deutsche, Juden, Ukrainer, Polen und andere Völkerschaften zwangsweise unter der rigorosen Herrschaft der Tschechen vereint wurden. Diese „CSR“, wie auch die spätere „CSSR“, hatten bekanntlich vor der Geschichte keinen Bestand.
Karl Hans Strobl, war Zeit seines Lebens ein bekennender Großdeutscher. Die Farben schwarz-rot-gold waren in Österreich unterdrückt, galten sie doch als die Farben der Großdeutschen. Bekanntlich waren in der Paulskirche 1848 für die Deutschen in Böhmen und Mähren Parlamentssitze bereitgestellt, da man unter der Flagge schwarz-rot-gold auch die Deutschen jener Gebiete einbeziehen wollte. Es kam alles anders als geplant und der deutsch-österreichische Krieg 1866 zerschlug endgültig viele Illusionen. Strobl wurde dennoch Bismarck-Verehrer und widmete ihm eine umfangreiche, apologetische, mehr literarisch als historisch interessante Trilogie.
Badeni-Unruhen und Volkstumskampf
Als 1897 der polnischstämmige Innenminister Badeni in Böhmen und Mähren eine deutsch-tschechische Zweisprachigkeit einführte, kam es zu heftigen Gegenreaktionen von deutscher Seite. Die betroffenen Einwohner sprachen sämtlich mehr oder weniger gut Deutsch, sehr viele Deutsche und andere Minderheiten, darunter die meisten deutschen Beamten, jedoch kein Tschechisch. Man fürchtete zurecht eine Entdeutschung und Tschechisierung.
Damals war es noch eine Selbstverständlichkeit, daß die Studenten ihr Volkstum würdigten und um dessen Erhalt kämpften. Man kam zu Kundgebungen und Demonstrationen zusammen. Prag glich einem Hexenkessel und Strobl, der Verbindungsstudent, befand sich mittendrin. In seinen Prager Studentenromanen beschrieb er aus diesem eigenen Erleben, wie man sich gegen die volksverräterischen österreichischen Institutionen, vor allem aber gegen den tschechischen Mob, zu behaupten versuchte.
Es floß Blut und für jedermann wurde deutlich, daß Prag als ehemals deutsche Stadt gekippt war. Das Tschechentum spielte seine allmählich gewonnene zahlenmäßige Überlegenheit skrupellos aus. Die österreichische Reichsführung verfolgte eine Politik, die das staatstragende Deutschtum keineswegs unterstützte. Strobl vermerkte dies bitter und zog seine Schlüsse daraus.
Auf Grund realer Vorfälle sprach Strobl mit seinem Buch „Der Attentäter“ eine Warnung vor jugendlichem Überschwang aus. Es handelt von einem jungen deutschen Mann, der aufgrund seiner politischen Tätigkeit mit dem Gesetz in Konflikt gerät und Zeit seines Lebens unter den gravierenden Folgen zu leiden hatte.
Wer sich mit den zwangsläufig eskalierenden Streitigkeiten und Perspektiven in einer „multikulturellen Gesellschaft“ beschäftigen möchte, sollte sich die Erfahrungen der Deutschen, die damals in zahleichen Orten von einer Mehrheit zur Minderheit wurden, in Strobls Büchern zu Gemüte führen.
Noch viel Forschungsbedarf
In der heutigen Tschechischen Republik setzte nach dem Zerfall des kommunistischen Kunststaates CSR erst spät eine zögerliche und dürftige Beschäftigung mit Strobl ein, die jedoch hierzulande kein sichtbares Gegenstück hervorbrachte. Marta Maschkes Dissertation „Der deutsch-tschechische Nationalitätenkonflikt in Böhmen und Mähren im Spiegel der Romane von Karl Hans Strobl“ (2003) ist hier besonders hervorzuheben. Das Stroblsche Privatarchiv fiel 1945 im Zuge der Vertreibung bei der Plünderung seines Hauses in Iglau in tschechische Hände.
In Strobls politischer Biographie stellt sich natürlich auch die Frage nach seiner Haltung zu den Juden. Die rechtsgerichteten Kreise waren zu seiner Zeit überwiegend antisemitisch eingestellt. Strobl hatte ein ambivalentes Verhältnis dazu. Generell kann man ihm im Laufe seines Lebens wachsende antisemitische Tendenzen unterstellen, andererseits schätzte er einzelne Juden, interessanterweise einen Geldverleiher aus seiner Studentenzeit in Prag, der sich auch sonst um sämtliche Wünsche seiner studentischen Kunden kümmerte. Mit seinem Roman „Seide Borowitz“ schrieb Strobl einen interpretationsfähigen, dem Wilhelm Raabeschen „Hungerpastor“ vergleichbaren Roman. Er ist genau so viel oder wenig antisemitisch, wie Gustav Freitags „Soll und Haben“. Der künftigen Forschung bleibt es vorbehalten, hier Klarheit über Strobls Absichten und Anschauungen zu schaffen.
Fazit
Karl Hans Strobl hat ein großartiges Werk hinterlassen. Wenigstens sind es die phantastischen Geschichten und Romane, die weiterhin auf Interesse stoßen und seinen Ruhm als Schriftsteller aufrechterhalten, auch wenn er aus politischen Gründen von der Wissenschaft und den Medien gemieden wird. Tschechen und Deutsche haben leider immer noch zu keiner tiefgreifenden Aussöhnung gefunden, obwohl es ermutigende Ansätze dazu gibt. Für uns heute sind angesichts einer „Multikulturellen Gesellschaft“ in der BRD die Erfahrungen eines Karl Hans Strobl unter den Bedingungen eines Wandels vom Mehrheits- zum Minderheitenangehörigen von beklemmender Aktualität. Es lohnt sich, Karl Hans Strobl in allen seinen Facetten wiederzuentdecken.