Die „Unpolitischen Lieder“ August Heinrich Hoffmann von Fallerslebens waren sicher die einschneidendsten seines Lebens. Ihr Name sollte als Zensurschutz dienen, denn ihr Inhalt ist explizit politisch. Sie erschienen in zwei Teilen, und der zweite sorgte schließlich dafür, daß Hoffmann nicht nur seiner Professur enthoben, sondern auch den Rest seines Lebens politisch verfolgt und niemals völlig rehabilitiert wurde. Ein genaueres Bild vom Dichter selbst liefert der erste Teil des Artikels.
Was wäre angemessener, als diesem Stück Weltliteratur die Bühne zu bieten, die es verdient? Denn die Unpolitischen Lieder sprechen auch zum modernen Rezipienten. An dieser Stelle wollen wir eine Auswahl der Lieder genauer unter die Lupe nehmen.
Unpolitische Lieder – Erster Theil
Es ist zu bemerken, daß der erste Teil der Unpolitischen Lieder im absolutistischen Preußen keinerlei Konsequenzen für den Autor nach sich zog. Ob man die Unpolitischen Lieder heute überhaupt noch verlegt bekäme, mag als Gradmesser dienen, wie es in der modernen BRD um die Meinungsfreiheit bestellt ist.
Trinklied
Auf Gesundheit unsrer Feinde,
Stoßet an Mann für Mann!
Sie, die Gründer unsres Strebens,
Die Entwickler unsrer Kraft,
Unsres höhern geist‘gen Lebens
In der Kunst und Wissenschaft –
Unsre Feinde dort und hier!
Ohne sie was wären wir?
Hätten wir uns so gefunden,
So zu Freud‘ und Leid verbunden?
Stoßet an Mann für Mann,
Auf Gesundheit unsrer Feinde!Auf Gesundheit unsrer Feinde!
Auf und dran! stoßet an!
Mögen ihre Ränke ranken,
Möge wuchern ihre List!
Wir, wir wollen uns bedanken,
Weil‘s doch gut gemeinet ist;
Denn sie haben‘s gut gemeint,
Haben uns so fest vereint,
Daß wir nur noch lächeln können
Über das was sie uns gönnen.
Auf und dran! stoßet an!
Auf Gesundheit unsrer Feinde!
Ich persönlich würde dieses Lied zynisch verstehen. Denn ich werde meinen Feinden sicher keine Gesundheit wünschen. Sie dienen als Motivator, gern auch als Ziel meines Spottes, doch auf ihr Wohlergehen werde ich kein ein Lied anstimmen. Und doch es ist kaum zu bestreiten, daß die Vorkämpfer für das Gute sich niemals fänden, würden sie nicht von Feindeshand einander entgegengedrängt. Hoffmann selbst hat viele Freunde erst dadurch kennengelernt, daß der preußische Staat ihn für die hier vorgestellten Lieder verfolgte.
Und auch manch moderner Freund der Freiheit hat wohl erst zu seinesgleichen gefunden, als die staatlichen Repressionen ihn dazu drängten, sich Verbündete im Kampf für die gerechte Sache zu suchen. Erst durch Feindschaft entwickeln viele Menschen die Anlagen ihrer Kraft zur Blüte und verfeinern ihre Fähigkeiten zu höchsten kulturellen Leistungen. Wer keinen Gegner hat, verkümmert in seiner Leistungsfähigkeit und auch in seinem Intellekt.
Ein System, das keine Feinde hat und sich selbstgefällig auf seiner totalen Hegemonie ausruhen kann, wird degenerieren. Und auch seine Intellektuellen werden degenerieren, weil sie es nicht länger nötig haben, die Schneide ihrer Gedanken regelmäßig nachzuschärfen. Sie werden faul und bequem, und liefern nur noch Mittelmäßigkeit, mit der man allenfalls Dummköpfe übertölpeln kann, jedoch niemanden kritischen Bewußtseins – man denke an das Establishment der BRD und seine intellektuelle Antithese von rechts.
Lapidarstil
Ist das Deutsch schon so verdorben,
Daß man‘s kaum noch schreiben kann?
Oder ist es ausgestorben,
Daß man‘s spricht nur dann und wann?Oder habet ihr vernommen,
Daß es bald zu Ende geht?
Daß die Zeiten nächstens kommen,
Wo kein Mensch mehr deutsch versteht?Jedes Denkmal wird frisieret
Von der Philologen Hand,
Und so haben sie beschmieret
Erz und Stein, und Tisch und Wand.Wo man hinschaut strotzt und glotzet
Eine Inschrift in Latein,
Die sich trotzig hat schmarotzet
In das Denkmal mit hinein.Deutsches Volk, du mußt studieren
Und vor allem das Latein,
Niemals kannst du sonst capieren
Was dein eigner Ruhm soll sein!
Obwohl Fallersleben hochgebildet, Universitätsprofessor und Polyglott war, ist seine Lyrik mit jeder Faser volkstümlich. Dieser krasse Gegensatz ist nicht willkürlich und, obwohl zu großen Teilen sicher dem Charakter des Dichters geschuldet, wohl auch kaum grundlos: Schon im 19. Jahrhundert war Fallersleben sich der Bedeutung der Muttersprache für ein Volk bewußt.
In diesem Gedicht wendet er sich gegen das Latein, dessen Verwendung für Inschriften das einfache Volk von seinen Denkmälern entfremdet. Denn wozu überhaupt ein Denkmal, wenn es nicht von der Allgemeinheit rezipiert werden kann? Das Bildungsbürgertum weiß auch ohne Monument, welche Mächte dereinst obwalteten, denn die Intellektuellen haben Bücher – das Volk braucht ein Denkmal. Wie aber soll der ungebildete Bauer die Gelehrtensprache verstehen? Er wird ausgeschlossen von seiner eigenen Geschichte; „capiert“ den Ruhm seines eigenen Volkes nicht länger. Man führt den Zweck des Denkmals ad absurdum und spricht der eigenen Kultur geradezu Hohn.
Und auch heute bedroht Ausländerei die deutsche Sprache, doch vor allem in Zuge einer geradezu pathologischen Nutzung von Anglizismen. Das bezieht sich nicht allein auf technische Fachbegriffe wie Internet, Browser, Computer oder Handy, die bereits so allgegenwärtig sind, daß kaum noch einer die deutsche Version kennt. Nein, die heutige Jugend greift zu einer Umgangssprache, die für ergrautes Haar völlig unverständlich wäre.
Diese Verwelschung wird noch Früchte tragen: Kann man eigentlich noch behaupten, diese Jugendlichen verstünden ihre eigene Muttersprache? Können sie überhaupt noch das kulturelle Erbe seiner Altvorderen rezipieren, wo ihm doch so viele Begriffe bereits verlustig gingen? „Behufs“, „sidemal“, „dieweil“ – wer kennt diese Wörter? Wenn das deutsche Volk sich nicht länger ausdrücken kann, wie seine Ahnen es taten – wie will es dann auf authentische Weise nachempfinden, was jene ihm hinterlassen? Sprache ist mehr als nur eine Ansammlung toter Vokabeln – die unzähligen Dialekte der deutschen Lande beweisen, daß es sich um eine Herzensangelegenheit handelt, die den Menschen bereits im Denken den warmen Herd einer inneren Heimat bietet.
Sollten „die Zeiten nächstens kommen, wo kein Mensch mehr deutsch versteht“, so haben die Deutschen aufgehört zu sein. Gleich, ob sich ihr Erbgut noch erhalten hat, oder das Deutsche aus zerfledderten Vokabelheften gleich einer Fremdsprache neu erlernt werden kann: Der deutsche Geist wurde mit der deutschen Sprache zu Grabe getragen.
Steuerverweigerungsverfassungsmäßigberechtigt
Sprecht von Volks- und Menschenrechten,
‘s Ist doch eitel, was ihr sprecht!
Ihr erlangt mit allem Fechten
Weder Schreib- noch Rederecht.Sprecht zu hunderttausend Malen
Immer nein, und nein, ja nein:
Eure Steuern müßt ihr zahlen!
Das ist euer Recht allein.
Man fühlt sich ein wenig an die moderne BRD erinnert, wenn man diese Verse liest. Ich denke an Coronaproteste, Heizungsgesetz, Migration, aber auch Euroeinführung und Bankenrettung. War das, was letztlich geschah, nicht immer gegen Volkes Wille? Gegen Mehrheits- und meinethalben auch Expertenmeinung? Hunderttausend Male Nein hat nicht gereicht, bei der Regierung etwas zu bewirken: Sie ist letzte Instanz und kann, einmal gewählt, für 4 Jahre willkürlich entscheiden, was getan wird. Es ist allein eine Frage der Unverschämtheit: Je unverschämter, desto stärker klebt man am Ministerposten. Der Bürger hat keinerlei Möglichkeit, dagegen vorzugehen.
Sie sprechen von Volks- und Menschenrechten, doch ich für meinen Teil sehe wenig davon. Nur Steuern und die GEZ-Zwangsgebühren darf man immer zahlen.
Unpolitische Lieder – Zweiter Theil
An die deutschen Frauen
Seid mir gegrüßt, ihr deutschen Frauen,
Der schönsten Zukunft Morgenroth!
Wem soll vertrau‘n auf wen soll bauen
Das Vaterland in seiner Noth?Ihr kennt noch frohe deutsche Weise,
Noch deutsche Zucht und Sittsamkeit;
Euch blieb in eurem stillen Kreise
Noch Frohsinn und Zufriedenheit.Ihr tragt noch nicht die bunten Bänder,
Die man dem Staatsverdienste weiht;
Euch sind noch eure Hausgewänder
Mehr werth als ein Beamtenkleid.Ihr seid noch nicht verlocket worden
Durch Titel oder andern Tand;
Euch kann noch sein der schönste Orden:
Die Liebe für das Vaterland.Wohlan! ihr sollt im Kind‘ erwecken
Den Sinn für Vaterland und Recht,
Ihr sollt erziehn zum Feindesschrecken
Ein freies, biederes Geschlecht.Euch muß vertrau‘n, auf euch muß bauen
Das Vaterland in seiner Noth:
Seid mir gegrüßt, ihr deutschen Frauen,
Der schönen Zukunft Morgenroth!
Dieses heitere Loblied ist viel tiefer und feinsinniger, als es für grobe Gemüter auf den ersten Blick anmuten mag. Es ist nicht einfach nur aus Zuneigung und Schäkerei geboren. Fallersleben macht den Damen nicht einfach nur schöne Augen. Er wirbt nicht um ihre Minne wie ein romantischer Jüngling. Nein, in diesem Gedicht schwingt das volle Bewußtsein um die Macht, die die Frau vor ihrer angeblichen Emanzipation hatte.
Heute besitzen Frauen gleiche Rechte und Pflichten wie Männer. Sie sind rechtlich gleichgestellt – doch stellt sich die Frage, ob sie eingedenk dieser Gleichstellung noch eine gesonderte Rücksichtnahme erwarten dürfen. Ihnen sind dieselben Mittel gegeben, also sollen sie doch selbst zusehen, was sie daraus machen – würde mancher Zyniker argumentieren.Wie jedoch wird das in einer Gesellschaft gehandhabt, in der Rechtsgleichheit nicht gilt? Herrscht der Mann als Patriarch willkürlich und mit Gewalt über die Familie, wie es zu propagandistischen Zwecken behauptet wird?
Oder wird nicht vielmehr erwartet, dem schwachen Geschlecht zuvorkommend und hilfsbereit zu begegnen? Eben weil die Frau keinerlei formale Macht hatte, dem Mann entgegenzutreten, besaß sie eine ungeheure informelle Macht, die den verschriftlichten Gesetzestexten in nichts nachstand. Die soziale Etikette stand ganz auf Seiten der Damenwelt. Und weil in einer solchen Gesellschaft die Frau Titel oder andern Tand gar nicht erwerben kann, ist sie, wie Fallersleben schreibt, damit auch nicht zu verlocken. Weswegen in ihr auch fürderhin der schönsten Zukunft Morgenrot ruht.
Das Wort
Uns blieb nur Eine Waffe noch:
Frisch auf! sie ist uns gut genug!
Mit ihr zerhau‘n wir jedes Joch,
Und jeden Lug und jeden Trug.Das Wort ist unser Schild und Helm,
Das Wort ist unser Schwert und Speer.
Trotz jedem Schurken, jedem Schelm!
Dem Satan Trotz und seinem Heer!Uns blieb nur Eine Waffe noch:
Frisch auf! sie ist uns gut genug!
Mit ihr zerhau‘n wir jedes Joch,
Und jeden Lug und jeden Trug.Und wenn die Welt voll Teufel wär‘,
Wir ziehn hinaus und kämpfen doch:
Das Kämpfen fällt uns nicht so schwer,
Uns blieb ja Eine Waffe noch.
Über Generationen wurde die Entwaffnung des Volkes systematisch vorangetrieben. Früher konnte man noch lustig mit seinem Gewehr herumballern. Heute sind schon Klappmesser problematisch – Gegenstände also, die man früher nicht im Traum als bedrohlich anerkannt hätte. Begründet wird dieses immer fortschreitende Verbot mit Verbrechensbekämpfung, doch wenn dann in einer Messerverbotszone jemand niedergestochen wird, fängt man doch an zu glauben, diese Verbote richteten sich gegen den anständigen Bürger. Und wer kann es dem Staat verdenken? Man wird der Regierung kaum vorwerfen können, aus dem 19. Jahrhundert gelernt zu haben. Damals hatte das Volk Waffen, mit denen es sich gegen Unrecht Gehör verschaffen konnte – heute kann es förmlich eine Petition unterzeichnen, die aber für niemanden bindend ist und daher getrost ignoriert werden kann.
Daß dem Volk damit jedoch auch die Möglichkeit genommen wird, sich gegen ein totalitäres Unrechtsregime zur Wehr zu setzen, spielt eingedenk dessen kaum eine Rolle. Nun bleibt nur noch das Wort, doch das soll uns auch gut genug sein. Denn mit der Wahrheit auf unserer Seite brauchen wir die Philosophaster des Gegners nicht zu fürchten. Das Richtige wird sich auf lange Sicht immer durchsetzen.
Unfruchtbar
Du möchtest Allen Alles sein!
Conservativ und liberal,
Aristokratisch, radical,
Und demagogisch auch einmal.Du möchtest Allen Alles sein!
Wärst du ein Esel oder Pferd,
So wärst du überall begehrt –
Maulesel sind zur Zucht nichts werth.
Vielleicht müßte man ein paar Begriffe dieses Liedes austauschen, doch fühlt man sich beim Lesen nicht an den ewigen Zentristen erinnert? Jenen, der sich keiner Partei zuordnen möchte, der krampfhaft immer in der Mitte sein will, der sich pathologisch um Neutralität und Objektivität bemüht, für jeden Verständnis hat – und am Ende gar nichts erreicht? Einfach zerrieben wird zwischen den Fronten? Wer für alles steht, steht am Ende für gar nichts.
So soll der Leser nun selbst entscheiden, ob Hoffmanns Poesie all die Repressionen rechtfertigt, mit denen ihm das System das Leben bis ins hohe Alter erschwerte.