Bestimmt ist euch die immer größer werdende Abhängigkeit von Technik aufgefallen: Der Haushalt ist voll von Geräten wie Spülmaschine, Kühlschrank oder Fernseher. Das Smartphone hat den Hund als besten Freund des Menschen schon lange abgelöst. Kopfhörer an oder in den Ohren sind in der Öffentlichkeit Normalität. Fahrradfahrer hören bei der Verkehrsbehinderung mit Kopfhörern Musik und wieder andere stehen mehrere Phasen mit ihrem Handy an der Ampel.
Die Verführung der Technik und der gläserne Mensch
Viele können nicht mehr ohne ihr Handy leben. Immer müssen sie es eng am Körper tragen, sonst fühlen sie sich unwohl. Das Internet ist ein fester Bestandteil unserer Alltagswelt. Das hat zwar viele Vorteile, aber auch schwerwiegende Nachteile und birgt viele Gefahren in sich. Dazu gehört der gläserne Mensch. Konzerne sammeln Daten aus der Internetaktivität des Einzelnen und erfahren so von seinen Vorlieben, Schwächen und Ängsten. Daraus entsteht Erpressbarkeit und noch viel gravierender kann der Einzelne mit Leichtigkeit manipuliert werden, ohne dass er es merkt.
„Alltagserleichterungen“ wie Alexa und Siri gewöhnen den Menschen mehr und mehr an das permanente Umgeben sein von Technik und KI, sodass immer größere Eingriffe in das eigene Privatleben als unproblematisch angesehen werden. Zum Beispiel werden selbstfahrende, intelligente Autos oder automatische Kennzeichenerfassung an Parkhauseinfahrten als angenehmer empfunden, da ja alles von selbst passiert, anstatt das man sich ungemütlich verrenken muss um an ein Ticket zu kommen. Der Mensch neigt dazu immer mehr zu wollen oder er wird in die Richtung des Mehrwollens genudged, bis am Ende alles vollautomatisch und technisiert ist. Genau um diese Gefahr dreht sich das Spiel Watch Dogs: Legion.
London ist zur Dystopie geworden!
Die Hackergruppe DedSec erfährt von einem Bombenanschlag auf die Stadt London und versucht ihn zu verhindern. Dabei wird eines ihrer Mitglieder von der mysteriösen Terrorgruppe Zero Day getötet und die Regierung hängt die zeitgleich erfolgenden weiteren Anschläge DedSec an und schürt Panik in der Bevölkerung.
Einige Zeit später wird London von der Regierung komplett digitalisiert. Um die Anwohner vor Terroristen zu „schützen“, werden noch mehr Kameras installiert, Drohen fliegen und der Sicherheitsdienst Albion überwacht die Straßen. Das ctOS (centralOperationSystem) ist ein digitales Informationssystem zur Verwaltung der Infrastruktur, welches ununterbrochen Daten über alles und jeden sammelt und speichert. Alles ist mit ctOS verbunden: Selbstfahrende Autos, elektronische Türschlösser, Kameras, Drohnen, Computer, Datenbanken, das eigene Handy, Privatcomputer, einfach alles.
Direkt zu Beginn sucht sich der Spieler einen Charakter aus, der als erstes DedSec Mitglied die Gruppe wieder aufbaut. Die Hacker haben es sich zur Aufgabe gemacht, London aus den Händen ihrer Unterdrücker zu befreien.
Überzeugt die Bürger vom Widerstand
Die Besonderheit von Watch Dogs Legions ist, dass es keinen festen Protagonisten, sondern mehr als hundert spielbare Charaktere gibt. Diese haben individuelle Eigenschaften, welche der Spieler zu seinem Vorteil nutzen kann, wenn man sie überzeugt hat, bei DedSec mitzumachen.
Es gibt DedSec feindlich gesinnte NPCs und jene, die der Gruppe freundlich gesinnt sind. Die Ersteren werden durch einen roten Daumen nach unten gekennzeichnet. Diesen muss der Spieler aktiv helfen, um sie davon zu überzeugen, sich dem Widerstand anzuschließen. Denn erst wenn sie dem Spieler positiv gesinnt sind, können sie ebenfalls rekrutiert werden.
Durch die Vielfalt der Berufe haben die potentiellen Rekruten unterschiedliche Privilegien, die die Infiltration erleichtern. Eine Ärztin kann unentdeckt medizinische Einrichtungen betreten sowie ein Beamter leichteren Zugang zu Bürogebäuden bekommen. Das macht das Spielen und Rekrutieren besonders spannend. Es sind auch immer wieder amüsante Profilbeschreibungen dabei wie: Ist Mitglied der Jury eines Kochwettbewerbes für frittierte Schokoriegel! Bei manchen steht sogar, ob sie für oder gegen den Brexit gestimmt haben.
Aus NPCs werden Spieler
Das Rekrutieren hat einen großen Symbolgehalt. Manche Charaktere sind zunächst teilnahmslos. Sie nehmen meist alles hin und wehren sich kaum gegen die Unterdrücker. Spricht man aber mit ihnen, hilft ihnen, kann man diesen NPC, diesen Non Player Character, zu einem Player Character machen. Ein zunächst Passiver tritt aus seinem Dasein als NPC heraus und wird aktiv. Ein Nichtspieler wird zum Spieler, der sein Schicksal selbst in die Hand nimmt.
Der Spieler schleicht sich in streng geheime Einrichtungen und Gebäude, um Beweise für die bösen Machenschaften der Antagonisten zu finden und befreit unschuldige Bürger, die gegen ihren Willen gefangen genommen wurden. Dies alles ermöglicht das Hacking. Es ist dem Spieler möglich, sich in Systeme zu hacken, auf fremde Profile zuzugreifen, sowie Roboterspinnen und Drohnen zu übernehmen, um mit seinen Gegnern fertig zu werden.
Ein weiterer Pluspunkt ist der schwarze Humor von DedSec’s eigner KI, die den Spieler bei seinen Missionen unterstützt. Eine Hervorhebung der hohen Moral von DedSecs Mitgliedern ist, dass viele Mitglieder nur mit Elektroschockwaffen kämpfen und die freischaltbaren Gerätschaften und Waffen sind alle nicht tödlich. Doch bleibt es eine Sache des Spielstils, ob man den Gegner verschont, indem man ihn nur betäubt, oder ihn mit Drohnen oder anderen tödlichen Waffen aus dem Weg räumt.
Die Massenüberwachung erfasst alles
Die wichtigsten Themen im Spiel sind der gläserne Bürger, das Anhäufen von persönlichen Daten von Unternehmen, strafrechtliche Verfolgung unliebsamer Meinungen, digitale Überwachung, finanzielle Erpressung durch digitale Währung, Kontaktschuld, der Mensch als Ware und Transhumanismus.
Die Unternehmen sammeln gewaltige Mengen an persönlichen Daten der Bürger. Es existieren exakte Profile von jeder Person über ihre Vorlieben, Ängste und Schwächen, welche jederzeit gegen denjenigen verwendet werden können. Mithilfe der Profile kann präzise vorhergesagt werden, wie sich eine Person aufgrund ihrer Neigungen und ihres Charakters entscheiden wird.
Als Spieler greifen wir sogar selbst auf jene Profile zu, um zu entscheiden, ob die Person auf der Straße zu unserer Organisation passt oder nicht. Am Ende weiß man schon alles Relevante über einen Menschen, ohne ein Wort mit ihm gewechselt zu haben.
Bei echten Kriminellen schaut der Staat weg
Zusätzlich kommt hinzu: Der Bürger lebt in der Angst, sofort auf dem Radar zu erscheinen, wenn er nur etwas falsches recherchiert oder sich „verdächtig“ verhält. Kameras beobachten alles. Die externen Sicherheitskräfte von Albion, die schwer bewaffnet auf der Straße patrouillieren, und die ebenso schwer bewaffneten Drohnen können genau erfassen, wo sich jeder gerade befindet.
Jeden Tag muss der Bürger hoffen, nicht wegen Kleinigkeiten verhaftet zu werden. Man muss sich unbedingt richtig verhalten, sonst könnte es passieren, dass Konten gesperrt werden oder man bekommt Besuch von Sicherheitskräften. Sollte man sich aktivistisch engagieren wie in Form von Demonstrationen, wird man als „Terrorist“ zum Abschuss freigegeben.
Ein gefährlicher Clan betreibt illegalen Organhandel und Menschenexperimente und bedroht die einfachen Bürger, wobei das System hierbei wegschaut, wo es doch sonst so aufmerksam ist. Seine Ängste, als Nächstes ausgeweidet zu werden, darf der Bürger nicht aussprechen. Er kann nur hoffen, nicht das nächste Opfer zu sein. Auch die Auslöschung des freien Willens ist ein Thema, aber ich werde hierzu nichts weiter verraten, um die Spannung zu wahren.
Watch Dogs: Legion ist ein prophetisches Spiel
Es ist möglich, dass uns eine solche Zukunft erwartet und bis dahin fehlt auch nicht mehr viel. Die permanent steigende Abhängigkeit von Technik lässt dieses Szenario immer näher rücken. Gerade wenn man bedenkt, wie viele süchtig nach TikTok und/oder anderen Sozialen Medien sind.
Schauen wir uns in unserem Alltag um. Wir werden schon jetzt von unserem Handy abgehört und geortet. Von jedem von uns existiert ein exaktes Profil durch unseren Internetkonsum und wir bieten immer mehr freiwillige Einblicke in unser Privatleben durch Posts auf den sozialen Medien. Unter anderem, was wir gerade essen, wo wir sind und mit wem. Jeder weiß, dass man sich nicht mit jedem fotografieren lassen sollte, der als politisch verbrannt gilt, denn das kann Folgen haben. Vor allem, wenn von oben bestimmt wird, wer böse ist und wer die Guten sind. Wenn jemand nicht die gewünschten Ansichten vertritt, kann das schnell unangenehme Folgen haben.
Nicht selten wird einem unliebsamen Bürger der Account gesperrt und/oder Medien gelöscht. Bei falscher Meinung werden die Aussichten, eine Anstellung zu bekommen oder diese zu behalten, geringer. In Watch Dogs Legion sind die Entwickler einige realistische Schritte weiter gegangen. In dieser Welt wird man sofort eingesperrt, sollte man sinngemäß nur mal falsch googeln. Es kann auch sein, dass einem wegen einer bloßen Textnachricht willkürlich Terrorismus angehängt wird und schon gilt man als Verbrecher, welcher die Gesellschaft gefährdet.
Legion und unsere Realität haben unter anderem eine wichtige Sache gemeinsam: Die Antagonisten und unsere uns feindlich gesinnten Machthaber behaupten stets nur das Beste für uns zu wollen und es nur gut mit uns zu meinen. Sie sagen, sie wollen uns ja nur vor Schaden bewahren, dabei hassen sie uns und tun alles, um uns zu ruinieren.
Der Spieler entscheidet, ob er es rechts oder links spielt
Im Spiel treffen sich alle Schichten und Meinungen im Widerstand gegen die Obrigkeit. Der Spieler hat unter anderem die Möglichkeit, eine Anarchistin zu spielen, die im Spielverlauf freigeschaltet werden kann. Auf der Straße gibt es auch linke Stereotype, wie man sie aus dem Alltag kennt oder Charakter, die LGBTQ gut finden, aber es gibt auch ganz normale unzufriedene Bürger, die nicht links sind, sondern einfach nur ihre Ruhe haben wollen. Nach den Anschlägen trifft der Spieler immer wieder auf Demonstranten auf den Straßen, die unzufrieden sind, dass England keine Königin mehr hat und die Wahrzeichen der Stadt wie das London Eye und der Big Ben für Propaganda missbraucht werden. Jene Charaktere kann man als die Konservativen im Spiel betrachten.
Im Spiel herrscht eine hohe Entscheidungsfreiheit. Es liegt am Spieler, wie er seine Truppe zusammenstellt und wie er seine Charaktere auswählt und verändert. Dem Charakter können grüne Haare und Piercings gegeben oder auch weggenommen werden, wenn der betroffene Charakter diese standardmäßig voreingestellt hat und man diese nicht mag. Optisch kann man einer normalen Büroangestellten grüne Haare färben und piercen, sodass sie wie eine typische Linke aussieht oder umgekehrt einen Linken anständig anziehen.
Durch die Profile kann der Spieler entscheiden, wen er aus der privaten politischen Gesinnung DedSec beitreten lässt.
Fazit
Wir können von DedSec viel lernen. Die Mitglieder kommen aus allen Schichten der Gesellschaft zusammen, um das Eigene zu verteidigen. Sie beweisen ihren Mut und überwinden immer wieder aufs Neue ihre Ängste und vollbringen große Taten. Auch wenn sie verhaftet oder gar getötet werden können, kämpfen sie weiter, ohne sich durch Polizei, Albion oder Robotern einschüchtern zu lassen. Durch Kreativität, Entschlusskraft und Mut setzen sie sich durch und zeigen der Mehrheit, dass es noch Hoffnung gibt.
Legion ist eine Warnung, aber gleichzeitig motiviert es zum Widerstand und gibt eine Anregung, wie Widerstand funktionieren kann. Das macht das Spiel so wichtig! Legion kann als Mittel angesehen werden, mit den dargestellten Szenarien noch unpolitische Jugendliche zu politisieren und aufzuklären.
Habt Spaß und lasst euch inspirieren! Mir hat es sehr viel Freude bereitet es zu spielen.