Ich habe diesen Artikel geschrieben, weil mir dieses Thema ehrlich gesagt zu wichtig ist, um es stiefmütterlich zu behandeln. Von Politikern, deren Aufgabe es wäre, Zukunftsplanung zu betreiben, braucht man ohnehin nichts zu erwarten, doch auch sonst scheint niemand die soziokulturellen Folgen von KI mit dem nötigen Weitblick zu betrachten. Jeder sieht den unmittelbaren Vorteil, den er schon heute davon hat, doch niemand scheint dem Sturm zu bemerken, der sich am Horizont dräuend verdichtet. Wir fahren gerade auf ihn zu; zu dumm oder zu ignorant, Notiz von ihm zu nehmen. Denn Ignoranz ist dieser Tage Stärke.
Natürlich wird es nicht wie in Matrix kommen: Die KI wird sich nicht verselbständigen, nicht exponentiell klüger werden – schon gar nicht unbegrenzt – und uns auch nicht versklaven. Das sind wilde Spekulationen, die jeder Faktenbasis entbehren und genau deshalb auch nie anhand von Meßwerten begründet werden. Es ist das Wunschdenken von Leuten, die auch ernsthaft an Kolonien auf dem Mars glauben, während ich jedes Jahr aufs neue beobachten kann, wie der erste Schnee zum Totalausfall der deutschen Bahn führt.
Was die KI wirklich ist
Das, was gegenwärtig als KI durchgeht, sind sehr gute Chatbots, die neue Standards in Sachen Leistungsfähigkeit setzen. Doch die besitzen keinerlei eigenen Willen, keinerlei Originalität und wären, wenn ich ihre Programmierung richtig verstanden habe, noch nicht einmal in der Lage, einen zufällig generierten, tatsächlich originellen Gedanken als solchen zu erkennen.
Wir befinden uns technologisch nach wie vor im achtzehnten Jahrhundert und können mit Gulliver das Land Balnibarbi bereisen, wo hochintelligente Wissenschaftler eine Maschine erfunden haben, die im Stande ist, „Bücher zu schreiben über Philosophie, Dichtkunst, Politik, Rechtsgelehrtheit, Mathematik und Theologie“ (Gullivers Reisen, 3, 5). Nach dem Zufallsprinzip ordnet sie beliebige Wörter der Reihe nach an, bis das Buch fertig ist. Damit das ganze auch „einigermaßen einen Sinn“ ergibt, muß natürlich alles von einem Menschen überprüft werden, doch daß das eine große Erfindung ist, ist für die Bewohner Balnibarbis ausgemachte Sache.
Heute, dreihundert Jahre später, ist das Zufallsprinzip allenfalls einem Wahrscheinlichkeitsprinzip gewichen, das die Worte nun mit einer Wahrscheinlichkeit aneinanderreiht, wie sie auch in von Menschen verfaßten Texten herrscht. Und weil die Wahrscheinlichkeit eben der von bereits verfaßten Texten entspricht, wird die KI auch nie etwas wirklich Originelles schreiben. Ein Textverständnis ist nicht einmal im Ansatz nötig und anscheinend auch nicht vorhanden. (Bei vielen Menschen übrigens auch nicht, wenn ich überlege, wie manche kommunizieren…)
Doch die Leistungsfähigkeit der KI reicht durchaus, dem Menschen gefährlich zu werden. Daß die KI von Kriminellen, aber auch dem Staat, zu verbrecherischen Absichten verwendet werden könnte, überrascht hoffentlich niemanden. Beinahe sicher wird der Staat künstliche Intelligenz als Vorwand nutzen, noch stärkere Kontrolle über ein Leben zu erlangen, das schon heute mehr dem eines Nutzviehs ähnelt als dem eines freien, selbstbestimmten Menschen. Das sind jedoch Gefahren, die offensichtlich sind und mit denen die Menschheit umzugehen lernen kann, weshalb ich mich damit nicht länger aufhalten will. Es sind die soziokulturellen Folgen, die mir Sorgen bereiten.
Ersetzt die KI unsere Berufe?
Tatsächlich wurde mir von Befürwortern von KI als Argument sogar vorgehalten, daß Lohnarbeit einfach nicht mehr zeitgemäß wäre und KI alle Berufe ersetzen könne. Und immerhin eine Vielzahl verwalterischer Tätigkeiten könnten schon heute von KI übernommen werden, die das nicht nur schneller, sondern auch effizienter bearbeitet. Auch Grafiker und all diese einfallslosen Standardkünstler, die Dienst nach Vorschrift erledigen und im Leben keinen eigenen Gedanken gefaßt haben, können durch KI mühelos ersetzt werden.
Es darf davon ausgegangen werden, daß durch KI die Arbeit des tertiären Sektors tatsächlich revolutioniert werden kann und auch andere Tätigkeiten grundlegenden Wandel erfahren. Der Bauer geht schon heute nicht mehr mit dem Melkhocker in den Kuhstall – wiewohl er das vielleicht tun sollte. Durch den Ausbau von KI würden viele Berufe obsolet und der Weg zum bedingungslosen Grundeinkommen vorgezeichnet.
Doch eine Frage muß man sich dann stellen: Will man, daß die gesamte Menschheit für ihr bloßes Überleben auf einen Mechaniker angewiesen ist? Denn wenn Bauernhöfe und Logistik durch KI organisiert würden; wenn künstliche Intelligenz den selbstfahrenden Lastkraftwagen von A nach B bringt, zöge ein einziger Softwarefehler den Kollaps der gesamten Infrastruktur nach sich.
Die Gefahr, sich auf die Technik zu verlassen
Wie fehlerbehaftet die digitale Welt ist, kann jeder anhand seines eigenen Endgeräts selbst nachvollziehen. Die „Broken-Windows-Theorie“ wurde möglicherweise nicht nach zerbrochenen Fensterscheiben benannt. Selbst bei einer sicheren Stromversorgung aus Kernkraftwerken, die dem Flatterstrom von Windrädern und Solar selbstredend überlegen ist, könnte man nie ruhigen Gewissens ein Auge zutun – es könnte ja jeden Moment zum Kollaps kommen.
Unsere Zivilisation hinge von den paar wenigen ab, die diese KI überwachen und regulieren, und denen der Rest hilflos ausgeliefert wäre. Am Ende haben es aber auch die Ingenieure nicht wirklich in der Hand, weil die Naturgewalten, gegen die moderne Technik sehr anfällig ist, sich von diesen nicht kontrollieren lassen. Das hat nicht nur das Ahrtal, sondern auch die weitreichenden Überschwemmungen zum Jahreswechsel 2023/2024 gezeigt: Selbst heute ist der Mensch mit all seiner Technik ein Nichts, ein Niemand, sobald eine Naturmacht obwaltet.
Doch statt dies anzuerkennen und mit der Natur in Symbiose zu leben, unterdrückt der Mensch sie lieber und hängt seit Jahrzehnten immer mehr Gewicht an immer weniger technologische Hebel. Irgendwann ist es der Faden eines feinen Roßhaars, der als letzter das Damoklesschwert daran hindert, auf unser Haupt zu rauschen. Schon psychologisch ist das ein Desaster.
Vollversorgung, Luxus und Gesundheit für jeden – es wäre ein grausiger Alptraum
Aber selbst in dem unwahrscheinlichen Fall, daß man alle Risiken eliminieren könnte und die KI als unüberwindlicher Schutzwall den Menschen vor allem Übel schirmt: Dann wäre es nur noch schlimmer, dieses Aquarium zu bauen.
Rundum Vollversorgung, Luxus und Gesundheit für jeden, und das ohne daß auch nur ein einziger sich dafür anstrengen müßte – es wäre ein grausiger Alptraum. Denn das Leben wird nicht automatisch besser, weil es leichter wird. Das ist, was viele an der künstlichen Intelligenz verkennen: Das Leben wird dann nicht toll und angenehm. Denn wenn der Alltag nicht länger herausfordernd ist, drosselt die Psyche ihre Leistungsfähigkeit einfach so weit, bis der Alltag wieder herausfordernd ist. Der Mensch degeneriert.
Langzeitarbeitslose sind der lebende Beweis dieser These: Sie sind schon mit Kochen, Putzen und Fernsehen voll ausgelastet. Und ich habe den strengen Verdacht: Würde man ihr Hartz streichen, ginge ein Energiestoß durch diese Leute, daß sie plötzlich auch wieder acht Stunden täglich arbeiten können. Sie haben allein deshalb keine Kraft, weil sie keine haben brauchen.
Man verkommt zu träger Untätigkeit
Warum noch Fremdsprachen lernen, wenn die KI in Echtzeit jedes Gespräch synchronisieren kann? Warum Mathematik lernen, wenn die KI alle Berechnungen vollautomatisch durchführen kann? – Welche Berechnungen das auch immer sein mögen, die in einer solchen Welt noch anfallen.
Warum überhaupt etwas lernen? Warum überhaupt zur Schule gehen? Es gibt ja kein Argument mehr für Schulzwang – die Kinder müssen nämlich nichts mehr lernen; die KI garantiert ihre Existenzsicherung. Und wer zum Henker bringt ohne Zwang so viel Leistung, wie er mit vollbringen würde? Als Gymnasiast der modernen BRD hat man mit dem Abitur immerhin leidliche Kenntnisse in zwei bis drei Fremdsprachen – wer kann ehrlich von sich behaupten, so viele auch ohne Not gelernt zu haben? Wer hat nach der Schule, nach dem Studium aus reinem Interesse noch zwei weitere Fremdsprachen gelernt, die er nicht für den Beruf brauchte?
„Die Geschichte zeigt, daß die müßige Aristokratie schließlich dekadent wurde, nicht aber die um ihre Macht kämpfenden Aristokraten. Die Aristokratie, die nicht um ihre Macht kämpfen mußte, wurde trotz ihrer Machtfülle hedonistisch und demoralisiert.“
(Theodor Kaczynski, Die industrielle Gesellschaft und ihre Zukunft, 34)
Ohne einen äußeren Zwang wird es die Masse nicht schaffen, sich zu mehr als den Grundbedürfnissen aufzuschwingen. Sie wird träge und weich, und trotz der Rundumbefriedigung nicht glücklich. Sie sinkt auf das vegetative Stadium eines Tieres, doch weil der Mensch zu Höherem bestimmt ist, wird die Qual der Langeweile nur noch schlimmer. Ist das der Zustand, in dem man als Humanist und Menschenfreund die Gesellschaft sehen will?
Wir werden degenerieren
Angeblich wird der Mensch seit hundert Jahren immer klüger – ich behaupte das Gegenteil: Durch schulisches Training an sinnlosen Aufgaben wird der Mensch immer besser, jene sinnlosen Aufgaben zu lösen, die im IQ-Test stehen. Doch der g-Faktor, die natürliche, untrainierte Intelligenz, jener Faktor, der über alle Anwendungsbereiche hinweg obwaltet, sinkt. Weil er nicht länger nötig ist. Man züchtet sich Fachidioten heran, die außer dem Kunststück, das sie für ihren Brotberuf erlernen mußten, gar nichts können. Wie ein Delphin springen sie durch den Reifen und verstehen nicht, warum. Es interessiert sie auch nicht: Sie bekommen dafür Futter, und das ist alles, was für sie zählt.
Sehen wir uns nur einmal drei Denker an, die vor der industriellen Revolution gelebt haben.
- Gottfried Wilhelm Leibniz beschäftigte sich mit Rechtswissenschaften, Philologie, wenn man möchte auch Politik, und leistete wichtige Beiträge zur Mathematik.
- Johann Wolfgang von Goethe war neben seiner literarischen Tätigkeiten auch naturwissenschaftlich unterwegs, z.B. in Botanik und Geologie. Seine Farbenlehre war ihm besonders wichtig.
- Isaac Newton war in den Naturwissenschaften, Mathematik, Theologie und Astronomie bewandert. Als Philosophen dürfte man alle drei bezeichnen. Und um so viele Wissensgebiete überhaupt überschauen zu können, bedarf es einer außerordentlichen Intelligenz – auch damals schon.
Heute mag der spezialisierte Wissenschaftler in sein eines Fachgebiet tiefer eindringen, als jeder der drei. Doch ist das ein Beweis für hohe Intelligenz? Wohl kaum. Mit entsprechend einseitigem Interesse und ohne jedes Privatleben sollte es wohl jeder in seiner eng abgesteckten Nische zu etwas bringen. Das ist weniger eine Frage von Intelligenz als von Durchhaltevermögen. Jedoch, außerhalb dieses eng abgesteckten Gebietes, ist der Wissenschaftler so dumm und unfähig wie alle anderen: Es mangelt am g-Faktor.
Eine Erklärung bietet der gigantischer Wohlstand, den uns der Kapitalismus die letzten zweihundert Jahre beschert hat. Eine Überproduktion ohnegleichen, die darin gipfelt, daß es in der BRD des 21. Jahrhunderts undenkbar ist, jemand könne Hungers sterben. Während früher nur die Fähigsten genug Ressourcen hatten, ihren Nachwuchs großzuziehen, kann heute jeder seine Gene weitergeben. Hohe Intelligenz ist nicht länger nötig.
Überlebensfähig, aber nur durch KI
Die natürliche Selektion, die stets das an den natürlichen Lebensraum am besten angepaßte Individuum bevorzugt, ist nicht länger anwendbar. Der Mensch hat keinen natürlichen Lebensraum mehr. Und der von ihm geschaffene künstliche Lebensraum mag sogar die im natürlichen Lebensraum schlechteren Eigenschaften bevorzugen. Mit anderen Worten: Der Mensch wird immer schlechter darin, in freier Wildbahn zu überleben.
Mindestens das Gehirn ist davon betroffen und atrophiert schon heute. Wie sähe das erst aus, wenn es gar keine Leistung mehr bringen muß? Wenn sich aufgrund von KI jede Notwendigkeit zu geistiger Regsamkeit erübrigt und damit die geistige Entwicklung ganz ausbleibt? Auf ein, zwei Generationen mag das ein sozioökonomischer Faktor sein – auf größeren Skalen wird dieser Effekt durch Selektion und Züchtung unumkehrbar. Es werden Menschen geboren, die weder über natürliche Instinkte verfügen, noch über den Intellekt, die Welt zu begreifen, in der sie so gemütlich vegetieren.
Wenn durch KI nun auch noch verhindert werden kann, daß gefährliche Erbkrankheiten zum Tode führen, wenn diese therapiert werden können, und die Träger nicht nur ein hohes Alter erreichen, sondern ihre Gene auch weitergeben, gibt es auf lange Sicht in der ganzen Gesellschaft niemanden mehr, der gesund zur Welt kommt. Natürlich: Es fällt nicht auf, weil alles therapiert werden kann.
Doch eines muß auch klar sein: KI ist dann keine Option mehr, sondern bittere Notwendigkeit. Der Mensch hat sich dann zu einem Etwas entwickelt, das nur in einer Blase künstlicher Intelligenz existieren kann. In einer natürlichen Umgebung ist er nicht länger überlebensfähig.
Eine düstere Zukunft
Wenn es so kommt, wird nicht länger nur die Gesellschaft bei einem Stromausfall zusammenbrechen. Nicht weitreichende Verwerfungen würden die Menschen erwarten, sondern der blanke Tod. Kein einziger würde dann noch entkommen. Keiner könnte dem System opponieren, weil er von ihm abhängig wäre. Schon jetzt scheint der Staat zielgerichtet jedes alternative Lebensmodell durch bürokratische Auflagen unmöglich zu machen. Sollten sich obige dysgenische Effekte verwirklichen, kann der Staat sich das schenken: Es ist ja ohnehin keiner mehr fähig, ohne die moderne Technik zu überleben.
Ist das, wie man die Zukunft der Menschheit gern sähe? Ständig am Infusionsschlauch, und sofort in Lebensgefahr, wenn der Medikamentendealer einmal Urlaub macht? Ist das wirklich noch so weit entfernt vom Matrix-Alptraum? Die KI hat noch immer kein Bewußtsein und dennoch ist der Mensch ihr höriger Sklave. Wenn Sie nun rekapitulieren: Ist der Titel des Artikels zutreffend? Befürworten Sie ein solches Schicksal für Ihre Nachkommen? Ist Ihnen ein bißchen persönliche Bequemlichkeit diese Konsequenzen wert?
Als Humanist lehne ich das ab. Als Humanist will ich ein Menschengeschlecht, das einen Sinn im Leben sieht und seine Herausforderungen aus eigener Kraft bewältigen kann. Das der Zukunft freudig entgegenblickt.