Dieser Film nimmt einen besonderen Platz in meinem Herzen ein, denn als ich ihn erstmals sah, glich es nicht weniger als einem Erweckungserlebnis! Ich erinnere mich genau: Damals besuchte ich die Spätvorführung des winzigen kommunalen Kinos meiner norddeutschen Heimatstadt, in welchem ich als Jugendlicher schon als Filmvorführer gearbeitet hatte.
Der kleine Saal war beinahe leer, draußen tobte sich ein Unwetter aus, und passend dazu war auch meine Stimmung trübe; suchte im Kino lediglich Zerstreuung vom üblichen Weltschmerz. Als ich nach einigen Minuten realisierte, dass es sich um einen verdächtig nach links riechenden Arthouse-Film handelte, drohten sich meine latenten Kopfschmerzen in tatsächliche zu verwandeln. Doch! Diese waren auf einem Schlag wie weggeblasen, als mir nach einer halben Stunde klar wurde, dass dieser Streifen wohl die trefflichste Vernichtung des Gutmenschentums und schallendste Ohrfeige gegen Links war, die ich jemals auf Leinwand geschmettert gesehen hatte!
Raffinierte rechte Mimikry
Auch die Arthouse-Aufmachung störte mich plötzlich nicht mehr im Geringsten, erkannte ich doch, dass diese lediglich ein trojanisches Pferd war, um diesen Paukenschlag der Gegenkultur gut getarnt in den linksdominierten Kulturbetrieb zu schmuggeln!
Und ja, tatsächlich war es dann auch nicht der Inhalt, auf den sich die überwiegend positive Kritik der linken Schreibautomaten kaprizierte, sondern Dogvilles experimentelle Aufmachung – nämlich seine Anleihen aus dem Theater, insbesondere seine minimalistische Kulisse. Der Film beginnt mit einer Vogelperspektive auf das Fünfzehn-Seelen-Dorf Dogville, doch Häuser sieht man nicht, lediglich ihre Umrisse, die mit weißer Farbe auf den Boden einer riesigen Studiobühne gemalt wurden. Es gibt nur einige Requisiten, wie Möbel und Autos, die aber ausreichen, um der Szenerie Leben einzuhauchen. Die Einwohner erinnern aus dieser panoptischen Ansicht unweigerlich an Ratten in einem Vexierkasten.
Es sind die 20er oder 30er Jahre, die Zeit Al Capones und der Prohibition. Dogville liegt im spärlich besiedelten Norden der USA, irgendwo in den Rocky Mountains. Es ist ein ärmliches, fast verlassenes ehemaliges Bergbaustädtchen. Die Dogviller besitzen wenig, scheinen aber mehr oder weniger zufrieden vor sich hin zu leben. Einer von ihnen wird uns näher vorgestellt, der etwa dreißigjährige Taugenichts Tom Eddison (Paul Bettany), von Beruf Sohn, bzw. in der Eigenwahrnehmung ein angehender Schriftsteller, der bloß noch nie ein Wort zu Papier gebracht hat.
Willkommen in Dogville: Idylle oder Shithole?
In dieses Setting wird nun plötzlich die in einen edlen Pelz gekleidete Grace alias Nicole Kidman gesetzt, eine Vorzeige-Arierin aus dem Bilderbuch, die den Dogvillern in Sachen Herkunft, Schönheit und Bildung haushoch überlegen ist (man beachte die sprechenden Namen „Hundsdorf“ versus „Grazie“). Doch statt sich, wie es den Sprößlingen der Oberschicht in früheren Zeiten durchaus zu eigen war, pikiert von dem Pöbel abzuwenden, benimmt sich Grace geradezu so, als sei sie nicht in einem echt miesen Kaff, sondern im Paradies auf Erden gelandet.
Die schäbigen Einwohner behandelt Grace, als seien sie die reinsten und anständigsten Menschen überhaupt: „Ich bin nicht würdig, dieses Brot zu essen“, sagt sie, als ihr jemand einen Brotkanten zusteckt. Wenn dem Leser jetzt Selfies von blonden jungen Frauen aus gutem Hause vor das geistige Auge treten, welche freudestrahlend in irgendeinem Shithole dieser Erde in einer Masse von Dunkelhäutigen posieren – ja, genau diesen Typus Mensch hatte Regisseur Lars von Trier wahrscheinlich im Sinn, als er die Figur der Grace schuf.
Grace tischt nun den Dogvillern die Geschichte auf, sie sei auf der Flucht und benötige für eine längere Zeit Asyl. Und tatsächlich zieht ihre Ankunft den Besuch bedrohlicher Gangster nach sich, die sich nach ihr erkundigen. Auch ein Polizist kommt vorbei und hängt eine Vermisstenanzeige auf. Die Dogviller, freundlich zwar, stehen der Idee der Aufnahme Graces in die Dorfgemeinschaft eher skeptisch gegenüber (aus einem gesunden Instinkt heraus, wie sich später herausstellen wird), aber Tom, der sich sexuell zu Grace hingezogen fühlt, macht sich für sie stark. Aus Dankbarkeit dafür, dass sie bleiben darf, will Grace nun für die Einwohner Arbeiten verrichten. Auch dieses Ansinnen stößt zunächst auf gesunde Skepsis: „Eine Putzfrau für eine Putzfrau? Sie müssen scherzen.“ Doch bald gewöhnen sich die Dogviller an die Hilfe und eine glückliche Phase des gegenseitigen Dankgefühls tritt ein.
Der Linke Vernichtungswille
Diese ist aber nur von kurzer Dauer, denn langsam aber sicher merken die Einwohner, dass Grace einfach alles mit sich machen lässt, keine noch so absurde Bitte ausschlägt und ihnen jede Dreistigkeit vergibt. So verwandelt sich Dankbarkeit nach und nach in reine Ausbeutung, die so weit geht, dass Grace angekettet, misshandelt und sogar vergewaltigt wird. Was sie aber nicht davon abhält, die Dogviller weiterhin in einem günstigen Licht zu betrachten: „Alles, was ich sehe, ist eine bezaubernde kleine Stadt inmitten erhabener Berge. Ein Ort, wo Menschen Träume und Hoffnungen haben. Sogar unter den schwierigsten Voraussetzungen.“ Tom, der selbsternannte Fürsprecher und Verteidiger Graces, tut nichts, um sie zu beschützen, sondern liefert nur Rechtfertigungen und Beschönigungen für das infame Verhalten der Einwohner. Als ihm aber klar wird, dass sie nicht mit ihm schlafen möchte, beschließt er, sie loszuwerden und ruft die Gangster herbei, die anfangs nach Grace gesucht hatten.
Diese kommen auch, doch Überraschung! Es handelt sich nicht, wie Grace behauptet hatte, um einen Feind – sondern um ihren sie liebenden Vater, einen Gangsterboss mit seiner Bande. Dieser wird die einzige halbwegs sympathische Figur in der Geschichte bleiben. Grace wird aus ihren Ketten befreit, sie setzt sich zu ihm in die Limousine und der nun folgende Dialog ist die Schlüsselszene des Films, die ich hier wortgetreu wiedergeben möchte. Gerade hat Grace die Dogviller wieder in Schutz genommen und ihr Vater hat sie als arrogant bezeichnet:
Vater: Eine zerrüttete Kindheit – und als Folge davon ist ein Mord nicht unbedingt mehr ein Mord, richtig? Du machst allein die Umstände für alles verantwortlich. Vergewaltiger und Mörder mögen gemäß deiner Auffassung Opfer sein, doch ich … nenne sie Hunde! […]
Grace: Aber Hunde gehorchen nur der eigenen Natur – also warum sollten wir ihnen nicht vergeben?
Vater: Hunden kann man viel Nützliches beibringen, aber nicht, wenn wir ihnen jedes Mal vergeben, wenn sie ihrer eigenen Natur gehorchen.
Grace: Also bin ich arrogant?! Ich bin arrogant, weil ich anderen Menschen vergebe?!?
Vater: Mein Gott, merkst Du nicht, wie herablassend du bist, wenn du das sagst? Ich meine, du gehst von diesem Vorurteil aus, dass niemand einen derartigen hohen moralischen Anspruch an sich stellt wie du. Also entlastest du sie. Ich kann mir nichts vorstellen, was arroganter wäre als das. Du vergibst anderen mit Entschuldigungen, die du nie und nimmer für dich selbst geltend machen würdest.
Grace: WARUM SOLLTE ICH NICHT BARMHERZIG SEIN? WARUM NICHT?
Vater: Nein, nein, du solltest. Du solltest barmherzig sein, wenn Barmherzigkeit angebracht ist. Aber bleib dabei deinen Ansprüchen treu. Das schuldest du ihnen. Die Strafe, die du verdienst für alle deine Vergehen, verdienen auch sie für ihre Vergehen.
Grace: Sie sind menschliche Wesen.
Vater: Muss sich jeder Mensch für seine Taten rechtfertigen? Natürlich muss er das. Aber du lässt ihnen nicht mal die Chance dazu, und das ist extrem arrogant! […]
Grace: Du bist arrogant, ich bin arrogant. Das ist geklärt. Jetzt kannst du fahren.
Vater: Ohne meine Tochter, nehme ich an? Ich hab gehört, du hättest hier ein paar Schwierigkeiten. […]
Grace: Die Menschen, die hier leben, sie tun ihr Bestes unter sehr, sehr harten Bedingungen.
Vater: Wenn du das sagst, Grace. Aber ist ihr Bestes wirklich gut genug? […]
Grace: Käme ich mit dir und wäre wieder deine Tochter, wann bekäme ich diese Macht, von der du gesprochen hast?
Vater: Jetzt.
Grace: Und ich könnte die Macht nutzen, um Probleme zu lösen? Wie das Problem … Dogville?
Vater: Ja. Wir könnten zum Beispiel den Hund erschießen und ihn dort an die Wand nageln.
Grace: Nein, das würde sie noch mehr verängstigen, aber Dogville nicht zu einem besseren Ort machen. Denn das könnte wieder geschehen, falls jemand zufällig da vorbei kommt und enthüllt, wie verletzlich sie sind. Also möchte ich meine Macht verwenden, wenn du nichts dagegen hast. Diese Welt soll durch mich ein kleines bisschen besser werden. Wenn es eine Stadt gäbe, ohne die die Welt besser dran wäre, dann diese hier.
Im Folgenden lässt Grace die Gangsterbande ihres Vaters sämtliche Dorfbewohner inklusive der Kinder grausam erschießen. Als letzter bleibt Tom übrig, den Grace dann noch höchstpersönlich exekutiert.
Mit Bertolt Brecht gegen Links
Kommen wir zur Analyse. Was Lars von Trier hier inszeniert, steht in der Tradition von Brechts epischem Theater, und das ist: anhand einer Geschichte einen gesellschaftlichen Missstand zu kritisieren. Aber auf eine abstrakte Art, indem Schauplatz und Akteure verändert werden – nicht aber die moralische Botschaft. Und was hier kritisiert wird, ist nichts anderes als das Linkstum an sich, genialerweise anhand eines Lieblingsthemas der Linken, nämlich: „Wie umgehen mit den Rückständigen?“ Ein Thema, das Linken immer den für sie so lebensnotwendigen moralischen High ground verschafft. Denn egal, wie man rückständige Völker behandelt: stets macht man es falsch, und stets haben die Linken Recht:
- Wenn man sie kolonisiert und missioniert, schreien sie:
„IHR ZERSTÖRT IHRE LOKALE KULTUR UND ERSETZT SIE DURCH DIE WESTLICHE. SCHÄMT EUCH!!!“ - Wenn man sie sich selbst überlässt, schreien sie:
„DIESE MENSCHEN VERHUNGERN, IHR MÜSST IHNEN HELFEN!!!“ - Wenn man ihnen hilft, schreien sie:
„DIE GANZEN PRODUKTE, DIE IHR IHNEN LIEFERT, ZERSTÖREN IHRE WIRTSCHAFT. WIE KÖNNT IHR NUR!!!“
Dogville zeigt uns knallhart, was passiert, wenn die linke Affenliebe zu rückständigen Völkern auf die Realität prallt und spiegelt genau das wieder, was gerade mit unseren europäischen Ländern passiert: Gewünscht hat man sich von den Fremden alles denkbar Positive, bekommen hat man die Kölner Domplatte. Doch es steckt noch viel mehr Kritik am linken Ungeist in dem Film: Schon allein, dass die erlogene Geschichte, mit der sich Grace in Dogville als Schutzsuchende einnistet, einen klaren Asylbetrug darstellt. Oder die Figur des Tom Eddison: Sie ist ein genialer Verriss des Stereotyps des nichtsnutzigen, selbstgerechten linken Söhnchens aus besserem Elternhause, der seine Meinung für ach so wichtig hält, durch seine Feigheit aber vollkommen impotent bleibt und immer, wenn er mit Autorität konfrontiert wird, sich dieser unterwirft.
Graces Gemütswandlung von einer Verherrlichung der Dogviller zu einem Vernichtungswunsch kann ebenfalls als Kritik gegen links interpretiert werden. Einerseits in Bezug auf die linken Massenmorde des 20. Jahrhunderts an Menschen, die nicht in ihr Weltbild passten. Andererseits auch in Bezug auf die Eigenschaft Linker, stets ihren Schützlingen untreu zu werden und sich neue zu suchen. Interessanterweise tut Grace auch genau das in „Manderlay”, dem Sequel zu Dogville. In diesem stößt sie auf eine Farm, auf der noch Schwarze als Sklaven gehalten werden. Diese beginnt sie ebenso zu verherrlichen wie vorher die Dogviller und „befreit“ sie mit Hilfe der Handlanger ihres Vaters. Dies führt aber nur dazu, dass sich die Schwarzen wie die Axt im Walde benehmen und Grace schließlich bedrängen, die Sklaverei wieder einzuführen. Köstlich.
Noch vieles mehr ließe sich über dieses vielschichtige Meisterwerk sagen, das ich jedem Rechten anempfehle, der sich in seinem Ärger über die Linken von einem Film einmal zutiefst verstanden fühlen möchte.