Dies ist die Fortsetzung des Interviews mit Gerhard von der Musikband Allerseelen. Hier geht es zum ersten Teil.
Nicht selten erinnern mich Deine Musik und Lyrik an mystische Initiationen. Betrachtest Du Dich selbst als Mystiker?
Nein. Diese mystische Aura trifft tatsächlich auf das Frühwerk von Allerseelen zu: Die frühen Kassetten „Autdaruta“, „Lacrima Christi“, „Requiem“, „Schwartzer Rab“, die wirklich mit einfachsten Mitteln aufgenommen wurden, erzeugen durch ihre langen und manchmal auch monotonen Kompositionen eine rituelle und magische Atmosphäre. Damals habe ich mich viel mit Alchemie, Magie, Schamanismus beschäftigt. Ich betrachte mich aber nicht als Mystiker und hatte auch keine mystischen Erfahrungen. Dazu stehe ich auch viel zu sehr im Leben, denke in allem viel zu sehr ans Diesseits.
Bei vielen oder fast allen Eindrücken, Einflüssen beschäftigt mich vor allem, wie ich sie künstlerisch in die Tat umsetzen, sie einbauen könnte in meine Arbeit Ich gehe an fast alles aus der Sicht des Künstlers heran, was eher einer faustischen, magischen Perspektive entspricht. Ich wäre also jener Alchemist, der nicht nur an spirituellen Erkenntnissen interessiert ist, sondern vor allem auch an einem handfesten, grobstofflichen Ergebnis, das man auf eine Waage legen kann.
Spätestens seit Mitte der 90er Jahre hat Allerseelen den Haß „politisch korrekter“ Gurkenseelen auf sich gezogen und wurde mit allerlei Etiketten belegt. Welches davon war das langweiligste, welches das lustigste, an das Du Dich erinnern kannst?
Die langweiligen Vorwürfe, rechts oder rechtsextrem zu sein, gibt es seit der Veröffentlichung der CD und DoLP „Gotos=Kalanda“, auf der ich zwölf Gedichte zu den einzelnen Monaten von Karl Maria Wiligut, einem österreichischen Runenkundigen, der auch im Dritten Reich eine gewisse Rolle als graue Eminenz gespielt hat, vertont habe. Über ihn habe ich auch einen Text geschrieben, der vor zwei Jahren in einer Sonderausgabe von Compact namens „Das okkulte Reich“ veröffentlicht wurde.
Daß eine andere CD auch den Titel „Neuschwabenland“ trägt, hat natürlich weiter zu diesem Ruf beigetragen. Daher gibt es auch manchmal Schwierigkeiten, wenn wir in Deutschland oder Österreich auftreten. Aber daran haben wir uns gewöhnt und spielen dann halt lieber in Dutzenden anderen Ländern.
Auf der CD „Sturmlieder“ – der Titel bezieht sich auf ein Gedicht von Ricarda Huch – ist das Haus Atlantis in Bremen abgebildet, auf dem sich eine beeindruckende hölzerne Odin-Skulptur befand, die im zweiten Weltkrieg leider verbrannt ist. In diesem Haus Atlantis wollten wir mit Allerseelen auftreten. Aber es gehört heute einem Hotel, das kurz vor der Veranstaltung den Vertrag kündigte: Ein Auftritt von Allerseelen würde den Ruf des Hauses gefährden. Wir waren allerdings bereits in Bremen, als wir davon erfuhren. Es war auch die Zeit des Karnevals, und die ganze Stadt Bremen war voll mit Trommlern, die in Tierkostümen Musik machten – und wir, die Mitglieder von Allerseelen, damals auch mit zwei Trommlern der ungarischen Gruppe Cawatana, waren wohl die einzigen Musiker, die an diesem Wochenende nicht auftreten durften. Vielleicht hätten wir uns auch verkleiden sollen, um dann auf dem Hauptplatz unsere Lieder vorzutragen. Als neuschwabenländische Pinguine wären wir sicher nicht aufgefallen. Heimlich sang ich aber einige Lieder a capella im Stiegenhaus des Haus Atlantis.
Als wir vor einigen Jahren in Berlin auftraten, erschienen in linken Zeitschriften einige Artikel gegen Allerseelen – aber de facto war es ein einziger kurzer negativer Artikel, den die anderen Medien 1:1 übernahmen. Das Konzert konnte aber trotzdem mitten in Kreuzberg stattfinden, weil alles sehr geschickt und geheim eingefädelt wurde. Ich selbst halte Allerseelen im Grunde für ein unpolitisches Projekt, Politisches soll darin keine Rolle spielen, es gibt auch keine politischen Lieder auf unseren CDs.
Nur wenige Ausnahmen spielen auf gesellschaftspolitische Themen an: So entstanden zwei Lieder im Zusammenhang mit der Corona-Plandemie, ein Wahnsinn mit Methode, der in einem Planspiel vorbereitet wurde: Die Lieder „Untergangster“ und „Staubdämonen“. Wir wollen Allerseelen aus dem Bereich der politischen Machenschaften und Intrigen heraushalten, und das ist uns glücklicherweise bisher fast immer gelungen. Allerseelen soll zeitlos sein und bleiben.
Betrachtest Du Allerseelen als Gegenkultur?
Ja und nein. Auf einer Seite sind wir sehr wohl Gegenkultur, da wir nach wie vor keinen wirklich großen Bekanntheitsgrad erreicht haben. Richtig bekannt könnten wir wohl nur mit einem ordentlichen Skandal werden, das aber haben wir nicht vor. Bei Festivals spielen wir sehr wohl vor Tausenden Menschen, wenn aber ein Auftritt von Allerseelen alleine stattfindet, dann besteht das Publikum aus zweihundert bis fünfhundert Besuchern.
Auf der anderen Seite aber gibt es von Allerseelen so viele Lieder, die auf Gedichten von Goethe, Hesse, Hölderlin, Rilke oder auch Wagner beruhen, daß wir doch auch Teil der Hochkultur sind. Eine Anhängerin von Allerseelen meinte einmal, daß Allerseelen längst als immaterielles Kulturerbe der UNESCO anerkannt werden sollte mit der großen Bedeutung, die wir abendländischen Dichtern, Denken, Traditionen beimessen. In diesem Sinne – die Einflüsse von Andalusien bis Finnland, von Schottland bis Rußland – sind wir ja tatsächlich völkerverbindend.
Ich könnte mir Deine Musik gut als Soundtrack zu einer Ausstellung expressionistischer Grafiken, etwa von Alfred Kubin, vorstellen. Gab es bereits derartige sektorenübergreifende Projekte?
Leider nicht. Aber ich würde lieber in einem Rahmen auftreten mit farbenprächtigen Künstlern wie Franz von Stuck oder einer surrealistischen Malerin wie Leonora Carrington. Für die Allerseelen-7″ „Knistern / Löwin“ haben wir zum Beispiel ein sehr schönes präraffaelitisches Gemälde von Edward Burne-Jones verwendet. Alfred Kubin ist mir etwas zu „grau“ und auch zu düster. Allerdings würde manches zu einigen dunklen Liedern passen – es existiert ja von Allerseelen nicht nur ein Lied namens „Dunkelgraue Stille“, sondern auch eine ganze CD „Dunkelgraue Lieder“.
Manches würde auch ganz gut zu Anselm Kiefer passen, der allerdings auch ein sehr grauer Künstler ist, mit dem vielen Blei in seinem Werk. Kiefers Symbolik hat tatsächlich einiges mit der Welt von Allerseelen gemeinsam. Übrigens ist manchen, die vor allem das düstere und mystische Frühwerk von Allerseelen schätzen, unsere heutige Musik viel zu sehr fröhliche Wissenschaft und wohl auch zu sehr Pop. Ein Lied wie „Dolce vita“ könnte durchaus von Gigi d’Agostino stammen, damit könnten wir wohl auch in die Charts kommen.
Es gibt auch ein Buch aus Deiner Feder, „Blutleuchte“. Was hat es mit diesem Werk auf sich?
Früher habe ich meine Texte in zwei Schriftenreihen herausgebracht. Eine hieß „Aorta“, von ihr erschienen 20 Ausgaben. Dann habe ich eine neue Zeitschrift begonnen, „Ahnstern“, von ihr gab es neun Ausgaben. Sie waren alle photokopiert, ich habe damals viel Zeit in Kopiergeschäften verbracht. Das war zu einer Zeit, als es noch kein Internet gab, wo es noch unmöglich war, mit einem Mausklick herauszufinden, wann und wo beispielsweise dieser oder jener Künstler oder Okkultist geboren wurde. Es war eine oft mühsame Spurensuche und Spurensicherung in Archiven, Büchereien, Bibliotheken. In diesen A5-Heften habe ich in einem sehr persönlichen Stil über vieles geschrieben, das mir wichtig war – Architektonisches, Bräuche, Filme, Musikgruppen, Traditionen. Ich habe auch einige Künstler interviewt und auch Musiker wie Blood Axis, Z´EV, Burzum. Diese Texte kamen dann in den USA und in Frankreich als Buch heraus. Die amerikanische Ausgabe wurde dieses Frühjahr wiederveröffentlicht. In Planung ist auch eine deutsche Ausgabe, mit etwas Glück erscheint sie 2025.
Bei meinen Schriften geht es mir wie bei den Liedern von Allerseelen: Vieles überzeugt mich noch immer, anderes gefällt mir mittlerweile weniger. Daher habe ich von einigen Texten neue Versionen geschrieben. Meine neuen Texte über Otto Rahn und Karl Maria Wiligut, zwei sehr ungewöhnliche Persönlichkeiten im Dritten Reich, erschienen leicht gekürzt in einem Sonderheft der Zeitschrift Compact („Compact Geschichte: Das okkulte Reich“) und auch als Privatdruck von Sonnenwacht in Deutschland. Mit Zensur selbst hatten die Tonträger von Allerseelen und meine Schriften nie Schwierigkeiten.
In diesem Sommer aber hat mich das vorübergehende Verbot von Compact sehr berührt. Wenn etwas tatsächlich die Demokratie gefährdet, dann solche staatlichen Eingriffe in die Meinungsfreiheit. Als ich die Bilder und Videos gesehen habe, wie Polizisten mit Sturmhauben sogar Büromöbel aus der Compact-Redaktion entfernen und in mehrere LKWs verladen, weil die deutsche Innenministerin aus einer GmbH einen Verein macht, um diesen Verein dann verbieten zu können, mußte ich an dieses Zitat von Augustinus denken: „Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande.“ Ich denke aber, daß Compact bald wieder wie ein Phönix aus der Asche steigen wird.
Und zuletzt: Was sind die nächsten Gelegenheiten, ALLERSEELEN im Konzert zu erleben? Gibt es da schon Pläne?
Wir hatten im August 2024 eine Einladung für ein großes Festival in Litauen. Weil wir aber nicht bereit waren, uns auf einen pro-ukranischen Kurs festzulegen, sondern auf unserer Neutralität beharrten, wurden wir ausgeladen. Dort wurde also nicht nach musikalischen Kriterien geurteilt, sondern nach politischen bzw. politisch korrekten. Vermutlich bekam das Festival Geld aus der EU mit ihrer großen NATO-Nähe.
Wir hatten vor kurzem auch ein Angebot für mehrere Rußland-Konzerte. Da aber Flüge in dieses schöne Land derzeit teuer und nur umständlich über Drittstaaten möglich sind, haben wir beschlossen, zu warten, bis es wieder direkte Flüge gibt. Durch die wenigen Live-Auftritte zur Zeit bleibt uns glücklicherweise mehr Zeit für Soundtüfteleien für künftige Tonträger wie die DoLP „Abenteuerliches Herz“, die inspiriert ist durch Ernst Jünger, und die nächste CD, „Alle Lust will Ewigkeit“, die natürlich von Friedrich Nietzsche beeinflußt ist. Wir bleiben also dem abendländischen Symbolismus treu.
Lieber Gerhard, vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Rudolf Seitner (Sonnenkind)
Links zu Allerseelen:
http://allerseelen.bandcamp.com/music
https://retortae.bandcamp.com/music