18:30. Tag 2. Der stürmische Wind pfeift über den See und rauscht in die hohen Kiefern am Ufer. Langsam setzt die Dämmerung ein und die bittere Kälte fährt dir in die Glieder. Die schwirrende Wolke aus Mücken zwingt dich in deine klamme Kleidung. Der Hunger drückt auf dein Gemüt, während der erhoffte Funke auf den Zunder trifft und ein wärmendes Feuer entfacht. Du bist alleine in der schwedischen Wildnis. Weit und breit ist keine Menschenseele, die dir helfen könnte, gegen Wind, Nässe und Viehzeug anzukommen. Die langersehnte Rettung kommt erst Ende der Woche und es fängt schon wieder zu regnen an. Und du denkst dir: Was würde Outdoor Illner jetzt tun?
Überleben als TV-Format
So oder so ähnlich fühlen sich die Teilnehmer der ersten Staffel von 7 vs Wild, ein sehr erfolgreiches Überlebensformat aus der Feder Fritz Meinekes.
Was als kleines YouTube-Projekt begann, ist mittlerweile in der Internet-Generation weit bekannt. Die Serie entreißt die Kandidaten aus dem monotonen Alltag und setzt sie sieben Tage auf sich allein gestellt in einem schwedischen Nationalpark aus. Die Geborgenheit der Komfortzone weicht der Willkür der Natur. Ein spannendes und doch zugleich beruhigendes Format, welches den Teilnehmern beim Ankämpfen gegen die eigene Ohnmacht folgt.
Jeder der sieben Teilnehmer darf sieben Gegenstände auswählen, die ihm helfen, sieben Tage und sieben Nächte alleine an einem schwedischen See fernab jeder Zivilisation zu überleben. Kein Handy, kein Internet, kein Kontakt zu anderen Menschen. Zur gestellten Ausrüstung gehört ein Satz Kameras, um das Treiben zu dokumentieren und ein Notfalltelefon. Wählt man den Notruf, ist man raus.
Das Format lebt von dem Gedanken, wie man selbst in den gegebenen Situationen handeln würde. Wie erträgt man die vielzähligen Strapazen? Welche Gegenstände sind nützlich? Feuerzeug, Schlafsack, Messer. Oder doch lieber Seife und eine Zahnbürste? Wo baue ich ein Nachtlager? Was esse ich? Fälle ich einen Baum oder ist das doch zu energieintensiv?
Das Motiv der Serie
Neben den ganzen vorhersehbaren Herausforderungen wie Kälte, Hunger oder Angst vor Bären kämpfen die Kandidaten mit weiteren unerwarteten Problemen. Ist der Durst gestillt, der Körper erwärmt und die Socken trocken, beginnt der Kampf mit sich selbst. Der Mangel an Beschäftigung und schnellen Medien endet in entzugsartigen Zuständen und mentalem Zerfall. Die Menschen können mit ihren Gedanken nicht alleine sein. Ohne Ablenkung und stimulierende Beschäftigungen drehen die Menschen schon nach ein paar Tagen durch. Die Hoch- und Tiefpunkte der Emotionen sind für so ein einfach gehaltenes Format sehenswert.
Es macht Spaß, die Erfolgserlebnisse mit den Kandidaten zu teilen. Der Bau von Schutzhütten, Beeren sammeln und Fische fangen, sind unterhaltsame Aktivitäten und authentisch. Mit den Errungenschaften stellt sich auch eine tiefe Dankbarkeit gegenüber der Natur ein. Jedem Sonnenuntergang, jedem Aussichtspunkt, jeder Entdeckung, jeder Höhle und zuletzt auch der Erfahrung an sich wird Dank zum Ausdruck gebracht.
Eine Woche in der Wildnis rüttelt an der Selbstverständlichkeit der alltäglichen Dinge. Schnell empfinden die Kandidaten die kulturellen Errungenschaften wie Kühlschränke, billige Nahrung und Kalorien, Häuser, Betten und Hygiene wie Wunder. So entwickelt sich Dankbarkeit zum zentralen Motiv der Serie.
Das moderne Verhältnis zur Natur
Die öffentliche Wahrnehmung der Mutter Natur wandelte sich über die Jahre von der unantastbaren Gaia, der gebenden und nehmenden Gottheit, über märchenhafte Erzählungen mit Nymphen, Feen, Erlkönig und Hexen zu etwas, dass optisch am ehesten Greta Thunberg ähnelt. Einer hilflosen, unschuldigen, gar kindlichen Darstellung. Die wohlwollende gütige Natur wird von bösen Menschen vergewaltigt und wenn wir nicht sofort aufhören, sterben alle Eisbären und alle Korallen. Dabei ist Flora und Fauna so empfindlich, dass es eigentlich schon zu spät ist.
7 vs. Wild kehrt die Darstellung der gutmütigen und harmlosen Natur öffentlichkeitswirksam um. Das schönste Urlaubsparadies wird schnell zum lebensfeindlichen Ort. Wird Regen im Alltag als lästig empfunden, so ist es in der Serie katastrophal. Hunger, Krankheit und Durst testen das Durchhaltevermögen der meist unprofessionellen Teilnehmer.
Die schöne Natur zeigt ihre hässliche Fratze und zehrt Tag für Tag an den Kandidaten. So wandelt sich das Format zügig vom eigentlichen Überleben zum sieben Tage Aushalten. Schnell wird realisiert, dass die Wildnis ein unbarmherziger Ort ist und der Mensch an diese Umstände nicht angepasst ist. Mehrmals wird die Tortur von Teilnehmern mit der Hölle verglichen. Ohne die erlaubten Hilfsmittel ist der Mensch erst recht nicht zum Überleben fähig.
Die schwache Greta-Thunberg-Mentalität äußert sich dennoch bei vielen Kandidaten. So wird davon abgesehen, Äste von lebenden Bäumen abzusägen, weil es ja der Natur minimal schadet oder es wird sieben Tage einfach gar nichts gegessen, weil man der Natur nichts entnehmen möchte. Die Bereitschaft zur eigenen Selbstgeißelung, um minimale Beschädigung der Natur zu vermeiden, ist gelebte aktuelle Geisteshaltung. Zum Glück zeigt die Serie die direkten Folgen von diesem verschobenen Naturverständnis: Leid.
Die Natur des Menschen ist die Kultur
Diejenigen, die verstanden haben, dass die Natur kein überempfindliches Ökosystem ist, rechtfertigen sich für jede abgesägte Astgabel und jeden gefangenen Fisch. Natürlich ist alles mit angemessener Dankbarkeit verbunden. Das Gegenteil, die sinnlose Verwüstung, findet gar nicht statt.
Dieses Format ist ein wirksames Signal, dass die bare Natur uns lebensfeindlich und die Kultur unser evolutionäres Zuhause ist. Das grüne Weltbild zerbricht in dieser Sendung und schafft es nur wegen der Limitierung auf sieben Tage, gesichtswahrend davonzukommen.
Rechte wissen, dass die Natur und ebenfalls der Mensch Gutes und Böses in sich trägt. Es benötigt Kultur, um das Gute und Schöne hervorzuheben und dem Bösen Einhalt zu gebieten. 7 vs. Wild schafft es, das erhabene Gefühl der Vitalisierung in Gegenwart der Naturgewalt auf den Zuschauer zu übertragen und die Kultur-Natur-Balance wiederherzustellen.
Die negativen Seiten: Wo ist die deutsche Sprache?
Dass die Akteure bei 7 vs Wild ihr Geld im Internet verdienen, bemerkt man an der Sprache. Jedes noch so einfache Wort wird aus dem Englischen entnommen. So gibt es kein Dreibein, Trockensack oder Herausforderungen, sondern Tripods, Drybags und Challenges. Aus Planen werden Tarps, aus Feuerbogen Bowdrills, aus Werkzeugen werden Tools. Orte werden Spots. Der schlimmste Fall ist der worst case etc.
Auch vor Verben wird nicht halt gemacht. Es wird gescoutet und gemoved. Dinge sind clean, smooth oder rough. Die vereinzelte Nutzung von Anglizismen im Internet ist in Ordnung, aber wenn meine Eltern beim Schauen einen Übersetzer brauchen, ist es definitiv zu viel.
Auch die überschwängliche inszenierte Dramatik durch musikalische Untermalung ist an vielen Stellen eher lächerlich. Wenn im Übergang der totgespielte Song „Heart of Courage“ heroisch zwischen den Kandidaten wechselt, um dann einen weinerlich gebrochenen Mann zu zeigen, der mit seinen Gedanken hadert, passt die Dramatik nicht mit den gezeigten Bildern. Sonst ist die Serie eher beruhigend, da unkommentiert die Videoaufzeichnungen der Kandidaten aneinander geschnitten werden. Ruhiger als anderer überstimulierender Medienmüll zumindest.
Die Nachfolger Staffeln und das Influencer-Problem
Dem massiven Erfolg der ersten Staffel schloss sich eine zweite und dritte Staffel mit erhöhtem Budget an. So wird in Staffel zwei eine tropische Insel als Austragungsort erwählt und in Staffel drei eine nordamerikanische Pazifikinsel. In der letzteren Staffel gingen die Kandidaten paarweise an den Start und die Überlebensdauer verdoppelte sich auf 14 Tage. Die vierte Staffel in Neuseeland läuft gerade.
Durch den Erfolg gesellte sich die Prominenz des Internets zum Teilnehmerfeld und das senkt den Sehgenuss sehr. Denn ab Staffel zwei werden die Sprachstörungen intensiver. Gewisse Kandidaten können kaum vollständige Sätze formulieren. Das Internet und die sozialen Medien haben die Gehirne gekocht und lassen keinen vernünftigen Ausdruck mehr zu und das gerade von Personen, deren hauptberufliche Arbeit aus Reden besteht.
Was bei der Generation Internet neben den Sprachstörungen ebenso negativ auffällt, ist das fehlende Schamgefühl. So wird in der ersten Staffel noch mit Bedacht an die Vollständigkeit über den Stuhlgang im Wald berichtet. So steigert sich das in Staffel drei. Es wird offen und mit Vorsatz über das Masturbieren geredet und tatsächlich auch mit entsprechender Handlung zelebriert. Zum Glück wird der Akt von der Kamera verschont, aber die Erfahrungsberichte werden mit Freude ausführlich geteilt. Direkt im Anschluss lesen die Herren persönliche Briefchen der Freundin vor. In dem Schreiben wird erwähnt, wie stolz man doch auf die Buben ist. Absoluter Irrsinn.
Die Zielgruppe hat sich gewandelt
Außerdem sind die Anwandlungen von YouTubern, Streamern und Influencern nicht mehr nachvollziehbar. Hatte man in Staffel eins noch das Gefühl, dass die Teilnehmer hauptsächlich im Leben stehende Normies sind, so sind die Kandidaten in späteren Folgen eher befremdlich.
Es hat den Anschein, dass nach der ersten Staffel die Zielgruppe Kinder, naturferne Städter und Internetbenutzer ausgemacht wurden und entsprechend bedient werden. Für gestandene Erwachsene ist der Großteil der Kandidaten eine seelische Belastung und zerstört den beruhigenden Aspekt der Serie. Das Überspringen von Teilnehmern ist in den späteren Staffeln absolut notwendig. Auch wird die gestelzte Dramatik von Staffel zu Staffel erhöht und macht die Serie unattraktiver.
Jedoch haben auch die späten Staffeln positive Momente. Von schönen Erkundungen und harmonischer Szenerie bis hin zu kreativer Nahrungsbeschaffung und dem Bau von Schutzhütten. Der Entdeckung von Flora und Fauna wird ebenfalls mehr Aufmerksamkeit gewidmet als in der ersten Staffel. Jedoch beschränkt sich das auf wenige ertragbare Kandidaten.
Die neuesten Folgen tue ich mir nicht mehr an.
Fazit
Outdoor & Survival sind rechts. Wenn so ein Format in die breite Öffentlichkeit durchbricht, dann ist es in meinen Augen etwas Gutes. Die selten gezeigten Aspekte der unbarmherzigen Natur erden nicht nur die Kandidaten, sondern auch die Zuschauer. Gleichzeitig ist die schwedische Szenerie beruhigend wie ein Waldspaziergang und macht Lust, das Internet auszuschalten und rauszugehen. Und das ist immer eine gute Idee.