In The Substance (2024) erzählt die Geschichte einer Frau, die mithilfe einer mysteriösen Substanz einen medizinischen Eingriff an sich selbst vollzieht, durch den sie in den Körper einer jüngeren, attraktiven Version von sich selbst schlüpfen kann und sich in dieser Fantasie eines schöneren Ichs verliert. Interessante Idee, richtig? Body Horror vermischt mit nuancierten Beobachtungen über Schönheitsideale und den sich daraus ergebenen Fallstricken.
Simple Handlung, holzschnittartige Charaktere
Das hätte der Film sein können, wäre er nicht bis zum Anschlag gefüllt mit platten politischen Botschaften. Die Protagonistin ist ehemalige Fernsehtänzerin und jetzt zu alt dafür, und das bleibt den ganzen Film über ihre einzige Eigenschaft. Ihr schönes Selbst, in das sie sich dank der „Substanz“ zeitweise verwandeln kann, ist Fernsehtänzerin und attraktiv und hat darüber hinaus keine Eigenschaften. Man würde meinen, dass ein Film, der sich mit Oberflächlichkeit auseinderzusetzen versucht, wenigstens den wichtigsten Charakteren mit ein paar Eigenschaften abseits ihrer Schönheit oder Nicht-Schönheit ausstattet, aber an Charakterentwicklung zu arbeiteten, hätte dem Film wertvolle Minuten für die politische Botschaft gekostet. Diese war denkbar einfach: „Frau nicht mehr hübsch = hat schweres Leben“ und sie wurde mit einer schamlosen Penetranz in jede Szene gepresst. Die alte Elisabeth wird von ihrer Arbeit gekündigt, Männer beachten sie nicht, die Menschen sind unhöflich zu ihr. Die neue, schöne Elisabeth erhält ihre alte Anstellung mit Kusshand, bekommt Geld, Ruhm und die Aufmerksamkeit von Männern. Dass diese Aufmerksamkeit oberflächlich ist und die Männer sie offensichtlicherweise nur als lebendig gewordene Sexpuppe sehen, ist unwichtig. Der Inhalt ihrer angeblichen Schönheitsprivilegien ist genauso oberflächlich wie ihre Schönheit selbst.
Männer werden noch oberflächlicher skizziert. Der Manager der Firma, bei der Elisabeth tanzt, ist plump, sexistisch und machthungrig, eine offensichtliche Darstellung des typischen „alten, weißen Mannes“. Diese Eigenschaften ersieht der Zuschauer nicht etwa durch sein Verhalten und Gebaren, sondern sie werden mit platten Aussagen auf die Leinwand gebracht; „Hübsche Mädchen sollten immer lächeln!“, verkündet er vor einer Schar weiterer „alter, weißer Männer“ oder „Erneuerung ist unvermeidlich. Und mit 50 hört sie auf.“, während er in einem Nobelrestaurant Garnelen in sich reinstopft. Ähnlich dargestellt wird eine kurze Affäre, die die junge Elisabeth mit nach Hause nimmt. Er ist nett zur jungen Elisabeth, weil sie hübsch ist und unhöflich zur alten Elisabeth, weil sie dies nicht mehr ist. Der einzige Mann, der von dieser Dichotomie abweicht, ist der „nette Typ“. Er mochte Elisabeth anscheinend schon seit der Schulzeit, schafft es aber erst, sie zu fragen, mit ihm auszugehen, als sie karrieremäßig wieder auf dem absteigenden Ast ist. Seine Nettigkeit definiert sich aber mitnichten dadurch, dass er Elisabeth vielleicht als ganzen Menschen abseits von ihrem Sexappeal sieht, sondern er findet sie lediglich auch als ältere Frau immer noch „das schönste Mädchen der Welt“. Es mutet absurd an, dass dieser Mann als „der Gute“ dargestellt wird, wo er genauso wie alle anderen Elisabeth auf ihr Aussehen reduziert, nur dabei lediglich seinen Toleranzrahmen weitergezogen hat.
Kein Charakter des Filmes vermag es, die Schön-Hässlich-Dichotomie wirklich aufzubrechen und damit dieses Konzept tatsächlich infrage zu stellen. Die Hässlichkeit der alten Elisabeth ist absolut- sie beeinträchtigt alle Bereiche ihres Lebens und alle Menschen, mit denen sie in Kontakt kommt. Keine Person entwickelt sich im Verlauf des Streifens weiter, niemand weicht von der gezeigten simplen Weltanschauung ab. Der Film kennt keine Graustufen. Der Film hätte doch zum Beispiel auch die Fallstricke der Schönheit darstellen können, etwa, indem die junge Elisabeth durch ihre überproportionierte Schönheit ihren Charakter aushöhlt. Oder, indem sie tatsächlich erkennt, dass alle Liebe ihr gegenüber nur dünn und oberflächlich ist, und niemand wirklich an ihrem Charakter interessiert ist. Aber einen solchen Charakter gibt es ja nicht. Der Film verlangt Frauen als mehr als ihre Schönheit zu sehen, gibt aber selbst keine Möglichkeiten dazu.
Ist es nun ein Horrofilm oder nicht?
Dies zeigt sich auch im Filmischen. Der Film ist voll von Nahaufnahmen der Körper der beiden Hauptdarstellerinnen. Ihre Körper werden porno-artig aus jedem Winkel abgelichtet, jedem Zuschauer muss unmissverständlich klar werden, wer hier die Hübsche ist. Wieder wird nichts dem Zuschauer und seinem eigenen Denken überlassen und die Charaktere nicht selbst als Sexpuppen zu sehen, fällt hier wirklich schwer.
Die letzte Szene dann, in der Elisabeth sich durch ihren Schönheitswahn in ein verwachsenes Körperwesen verwandelt, zeigt auch, was das eigentliche Interesse des Filmes neben seiner oberflächlich vorgetragenen politischen Botschaft ist: er will schockieren. Minutenlang sehen wir dem Elisabeth-Wesen dabei zu, wie es schreiende Zuschauer mit Blut bespritzt und wie sich der Film wieder und wieder an seiner Ekelhaftigkeit ergötzt. Klar, es ist ein Horrorfilm, aber erst in dieser fast letzten Szene gibt der Film ehrlich zu, dass er nur schockieren will.
Dieses Ende hätte am Ende jedes billigen Splatters stehen können, es ist weder ein subtiler Horror, der ohne Blut und Innereien auskommt, noch wird spannungsvoll ein Konflikt hergeleitet, der sich dann in einem so blutrünstigen Finale auflösen muss. In den ersten zwei Dritteln ist der Film einfach eine Aneinanderreihung von Darstellungen der Botschaft „Alte, hässliche Frauen werden von der Gesellschaft unterdrückt“, eingebettet in eine grobe Handlungsidee, die anderswo wirklich Potential haben könnte. Dann endet er platt und stumpf und mit viel Blut. Nachdem so penetrant politische Botschaften in jede Szene gedrückt wurden, ja, jede Szene nur einer Verfilmung dieser Botschaft in verschiedenem Gewand diente, mutet dieser Abschluss unpassend und absurd an, so als hätte der Film nach zwei Dritteln einfach die Spur gewechselt.
Solche Filme hinterlassen bei mir meisten keinen wirklich bleibenden Eindruck. Keine großen Überraschungen, nichts inhaltlich wirklich Neues, lediglich das Wiederkauen einer politischen Idee im löchrigen Gewand eines Horrorstreifens. Die politische Botschaft will sich nicht so recht einprägen, auch wenn sie mit einem Vorschlaghammer in den Kopf eines jeden Zuschauers geschlagen wurde. Denn: Sie ist nicht wirklich neu und sie ist plump. Schönheitswahn, Oberflächlichkeit oder das Jemanden-auf-seinen-Körper-reduzieren sind mittlerweile Begriffe, die jeder Zuschauer kennt und der Film vermag es nicht, diese aus einem neuen, wirklich innovativen Blickwinkel zu betrachten, sie in einer anderen Situation zu versuchen, sie auf eine interessante Weise zu verarbeiten. Stattdessen müssen die Begriffe in aller Deutlichkeit wie für ein Kleinkind ausbuchstabiert und wieder und wieder in der gleichen Manier dem Zuschauer präsentiert werden.
Ein besseres Beispiel: Dorian Gray
Wie also Abhilfe schaffen bei solchen billigen Propagandastreifen? Meiner Meinung nach gibt es dabei zwei Möglichkeiten: die filmische Qualität hoch- und/ oder die politische Botschaft runterschrauben. Ein gutes Beispiel für einen thematisch ähnlichen Film, der aber qualitativ in einer anderen Liga spielt, ist die Verfilmung von Das Bildnis von Dorian Gray aus 1976. Dieser Film verfolgt eine ähnliche Idee: Dorian Gray fürchtet sich vor dem Älterwerden und lässt durch eine Art Pakt ein Gemälde von ihm an seiner statt altern, während der echte Dorian jung und makellos bleibt. Und auch in diesem Film verfängt sich der Protagonist in den Wirren seines eigenen Experiments und vergeht schließlich daran.
So ähnlich die Idee ist, so unterschiedlich wurde sie umgesetzt. Dorian Gray ist nämlich ein einfacher Horrorfilm, der keine Ansprüche an eine starke politische Botschaft stellt. Dennoch bleiben die Inhalte mehr hängen. In Dorian Gray wird die Idee eines vernichtenden Schönheitsideals nicht von Minute eins in Großbuchstaben auf dem Bildschirm platziert, sondern entwickelt. Die Idee des magischen Gemäldes und Dorians Obsession mit seiner eigenen Schönheit baut sich Szene für Szene und Dialog für Dialog auf und verlangt dem Zuschauer ab, aufmerksam zu sein, bis er selbst den verhängnisvollen Pakt versteht, den Dorian eingegangen ist. The Substance präsentiert die Idee ab der ersten Minute und zeigt dann in grauenvollem Detailreichtum deren Folgen. Man hätte doch zum Beispiel auch zeigen können, wie Elizabeths Obsession mit ihrer eigenen Schönheit entstand, wie sie durch Situationen in ihrem Leben zu einer verzerrten Wahrnehmung kommt und dann von der „Substanz“ hört, ihr vielleicht zunächst kritisch gegenübersteht oder mit anderen Charakteren darüber diskutiert, bis sie sich zu ihrer Benutzung hinreißen lässt. Damit wäre mehr über Schönheitswahn gesagt worden als durch die tausendfache Ablichtung Elizabeths Körper aus allen erdenklichen Winkeln.
Dass in The Substance alles direkt und im Großformat gezeigt wird, stellt einen weiteren Makel dar. Klar, der Zuschauer sieht direkt, was Sache ist, aber er wird eben auch nicht zum Denken ermutigt, die Handlung selbst zu verstehen und zu verknüpfen. In Dorian Gray wird das magische Gemälde nach der Anfangssequenz nur zweimal gezeigt, während es an Dorians statt altert. Das zweite Mal ist ganz am Ende des Filmes. Ich als Zuschauer habe den ganzen Film darauf gewartet, endlich, endlich dieses Gemälde zu sehen, die Schrecken des Alterns darauf abgebildet zu sehen, und dass der Film dieses Bedürfnis nicht sofort befriedigt hat, hielt die Spannung bis zum Ende hoch. Genau wie das alternde Gemälde wird auch Dorians nach und nach moralisch verwahrlosender Charakter langsam dem Zuschauer gezeigt. Man entdeckt Dorians Verwahrlosung selbst beim Schauen, ohne dass der Film es einem direkt präsentiert. The Substance ist dagegen plakativ. Elizabeths Obsession mit ihrem jüngeren Ich zeigt sich, indem ihr älteres immer schneller altert und offensichtlich wahnsinnig wird. Ohne jede Subtilität beobachten wir die alte Elizabeth dabei, wie sie ihre Wohnung verkommen lässt und Fast Food in sich reinstopft, während ihre Hände und Füße aussehen wie die einer Mumie. Natürlich hat das einen schockenden Charakter, dies geht aber auf Kosten einer tieferen Auseinandersetzung mit dem Material.
Filme wie The Substance oder auch der meiner Meinung nach sehr ähnliche Poor Things sind ein Symptom linker Kunstpolitik. Kunst darf nicht mehr subtil und anspruchsvoll oder einfach nur schön sein, sie muss eine Botschaft haben, und zwar die richtige. Und diese Botschaft muss allen Zuschauern deutlich gemacht werden, sonst würden ja einige diskriminiert werden (die, die nicht imstande sind, sie zu verstehen) oder sie würden die falschen Schlüsse daraus ziehen (die, die die Botschaft verstehen, aber andere Meinung sind). Darunter leidet, wie man an solchen Filmen leider sehen kann, das Niveau. Die Handlungen sind einfach, die Charaktere oberflächlich, die Überraschungen vorhersehbar. Und die politische Botschaft- sie bleibt platt und inhaltslos.