Es war ein trostloser Tag, jener 19. Januar 1959 in Düsseldorf. An diesem Tag beging der Dichter und Pädagoge Hans Venatier mit 53 Jahren durch die Einnahme von Gift Selbstmord. Ein beachtenswerter patriotischer Schriftsteller zog damit einen späten Schlußstrich, den so mancher seiner Kollegen schon 1945 gezogen hatte.
Über Venatiers Tod und dessen Umstände wurde später viel spekuliert. Man schob es auf seine angegriffene Gesundheit, doch diese spielte dabei keine entscheidende Rolle. Vielmehr war es die Unmöglichkeit eines Arrangements mit der BRD, in deren Fadenkreuz der gutgläubige Venatier geriet. Wie kam es dazu?
Freikorpskämpfer und Patriot
Hans Venatier wurde am 15. Februar 1903 in Breslau geboren. Schon als Schüler war er patriotisch eingestellt. So nahm er 1920 in gutem Glauben am gescheiterten Kapp-Lüttwitz Putsch und kurze Zeit später am Kampf der deutschen Freikorps in Oberschlesien teil.
Aus dieser Zeit, in der er die patriotische Aufopferung deutscher Jugend an den brennenden Grenzen des Vaterlandes selbst miterlebte, stammt sein späterer Glaube an die Jugend und ihre Mission – unabhängig vom jeweiligen politischen System. Hier fand er auch jene tiefen „überzeitlichen Werte“ antiker Tradition, die fortan sein Leben bestimmten und die er künftig als Pädagoge fördern wollte.
1932 trat Venatier in die NSDAP ein. Nachdem er sich im Nationalsozialistischen Lehrerbund durch sein kulturpolitisches Wirken auf Kreisebene einen Namen gemacht hatte, führte ihn die Berufung zum Hochschul-Dozenten für Deutsche Geschichte und Methodik des Geschichtsunterrichts nach Hirschberg in Schlesien. Erste gedruckte Artikel lassen sich ab 1932 in mehreren Zeitschriften nachweisen. 1935 wurde er Mitglied im Reichsverband Deutscher Schriftsteller. Sein erster Gedichtband erschien 1935 unter dem Titel „Menschen, Erde, Sterne“. Die Drucklegung seines bekanntesten und erfolgreichsten Romans „Vogt Bartold“ erfolgte 1939, dessen Inhalt ganz in die Zeit passt.
Vogt Bartold. Der Roman des deutschen Ostens. (1939)
Der Roman handelt vom „großen Zug gen Osten“, der deutschen Ostsiedlung im Mittelalter. Beschrieben wird die Motivation deutscher und holländischer Bauern, aus der heimatlichen Enge in ein freies, unkultiviertes Land aufzubrechen und sich dort nach dem Motto „Des Ersten Tod, des Zweiten Not, des Dritten Brot“ eine neue Heimat zu erkämpfen.
Die systematisch angeworbenen Bauern wurden mit Land und Privilegien seitens der Landesherren belohnt. Die Urbarmachung des schlesischen Bodens, auf dem einst schon Germanen siedelten, bevor deren Mehrzahl im Rahmen der Völkerwanderung abwanderte, war eine einzigartige Kulturleistung, die von der Gründung zahlreicher Städte mit deutschem Recht gekrönt wurde.
Sprachgewaltig und emotional, ist „Vogt Bartold“ wohl das beste und bedeutendste Werk von Venatier. Der Roman ist in einer Sprache geschrieben, die die Erwartungen, die Begeisterung und die Schwere der Aufgabe für die deutschen Siedler wiedergibt. Der Wiener Gelehrte Dr. Fritz Stüber schrieb über den Roman: „Venatier wies selbst darauf hin, daß es ihm so gründlich er jahrelang alle zugänglichen Quellen studiert hatte, darum ging, Dichtung zu schaffen; daß sein Werk nicht selbst als historische Quelle mißverstanden werden dürfe“. Zum Titelhelden erklärte Dr. Stüber: „Frei erfunden ist nur Vogt Bartold als Personifikation einer Idee, der Landnahme kraft Rechtens der Arbeit, der bäuerlichen Rodung“.
Kriegsjahre und Vertreibung
1940 bis 1943 war er als Offizier an der Front, bis er aus gesundheitlichen Gründen ausgemustert wurde. Im Frühjahr 1945 leitete er eine Parteidienststelle, die sich an der improvisierten Organisation der Evakuierung der Zivilbevölkerung vor der heranrückenden Roten Armee maßgeblich beteiligte. Es gelang auch, seine Familie aus dem Inferno des Ostens zu retten. Von seiner letzten Prager Dienststelle aus konnte er sich bis nach Bayern durchschlagen. Am 31. Mai 1945 wurde er in Bayern von der amerikanischen Besatzungsmacht verhaftet und für drei Jahre inhaftiert.
Glaubens und Bruderkrieg: Narren Gottes (1948)
In diesem dichterischen Werk beschäftigt sich Venatier mit den Glaubensauseinandersetzungen nach dem Dreißigjährigen Krieg. Hier finden sich deutliche Parallelen zu der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die heutige Zeit. Er macht die verheerenden Auswirkungen von religiösem Fanatismus und deutscher Zwietracht deutlich. Venatier schrieb: „Ich wählte das historische Kostüm, um mit aller Schärfe zeigen zu können, wohin ein Kampf der Konfessionen führen müsse, daß nämlich Bruderliebe in Bruderhaß verwandelt wird“. Die Verfolgung aufgrund eines Glaubens ging noch lange Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg weiter.
Hans Venatier schrieb zu seinem Buch:
„Das Werk ist in zehnjähriger Arbeit entstanden und nach Quellen mit dichterischer Freiheit gestaltet. Alle vorkommenden Personen sind historisch. Auch der barockisierende Stil ist den Quellen entnommen. Um das Buch aus der Sphäre des Privaten in jene Weite zu erheben, in der wirkliche politische Entscheidungen über eine ganze Landschaft gefällt werden, habe ich nicht die Form des Romans, sondern die der Chronik gewählt.“
Den Krieg überlebt, Probleme in der Nachkriegszeit
Letztlich nur als „Mitläufer“ eingestuft, bekam Venatier nach schwierigen Jahren des Wartens endlich die Genehmigung, 1950 als Gymnasiallehrer in Betzdorf (Sieg) zu unterrichten. Vielen erging es nach Kriegsende schlechter: Ihre Bücher wurden verboten und vernichtet, ihr Vermögen wurde eingezogen, sie erhielten Schreibverbote. Andere mußten selbst im hohen Alter, auch wenn sie krank waren, schwere körperliche Zwangsarbeit leisten.
Manchem Schriftsteller war es unmöglich geworden, noch etwas in einem etablierten, unter strikter alliierter Aufsicht wieder zugelassenen Verlag zu veröffentlichen. Während einige versuchten die Seite zu wechseln, blieben andere ihren Vorstellungen treu. Nicht wenige Verzweifelte ersäuften ihre Wut und ihren Frust im Alkohol oder begannen, sich einfach ins karge Privatleben zurückzuziehen.
Venatier wiederum ging daran, nach dem Schock der Niederlage die Chance auf einen Neuanfang zu nutzen. Mit anfangs großem Optimismus arbeitete er, in Erwartung der verhießenen, neuen „demokratischen“ Verhältnisse, an einer Synthese aus alten, „überzeitlichen Werten“.
Positiv in die Zukunft: Der Major und die Stiere (1953)
Der Roman „Der Major und die Stiere“ ist ein versöhnliches, teils humoristisches Buch. In dem Roman finden sich die Menschen in einem kleinen bayerischen Dorf in einem pragmatischen Prozeß des Kennenlernens zusammen, ob deutsche Zivilisten oder amerikanische Besatzer.
Das Menschliche siegt über das Fraternisierungsverbot und die Zumutungen der Besatzungsmacht. Es blendet die unschönen Seiten der Kriegszeit und des folgenden Besatzungsterrors genauso aus, wie die vergangenen eigenen Untaten. Das Alte war unwiederbringlich verloren und das Neue erschien als eine Chance, die ergriffen werden mußte.
1955 wurde „Der Major und die Stiere“ von Eduard von Borsody mit prominenten Schauspielern verfilmt.
Rückbesinnung auf die Werte der Antike
In dieser Zeit des Umbruches galt besonders die Antike für Venatier als Vorbild, war doch nicht nur die jüngste deutsche Geschichte als Anknüpfungspunkt für eine zukünftige Werteorientierung diskreditiert. Die Antike hatte ein starkes Ethos, starke Persönlichkeiten, starke, gesunde Gemeinschaften und höchste staatsmännische und kulturelle Leistungen hervorgebracht. Das waren jene „überzeitlichen Werte“, die Venatier propagierte.
Den Westen, der nur mittels Masse siegte, sah Venatier kritisch. Massen waren ihm ohnehin suspekt. Die Herausbildung von geeignetem Führungspersonal hingegen, durch eine entsprechende Erziehung im Sinne der Antike, galt dem Pädagogen Venatier als oberste Priorität. Dafür „brannte“ Venatier und wie man aus Eltern- und Schülerkreisen erfahren konnte, trugen seine Bemühungen allmählich Früchte. Andererseits kam ihm langsam zu Bewußtsein, daß sein Wirkungskreis zu klein war und er allein nicht viel ausrichten konnte.
Politische Satire über die BRD: Der Boss und seine Narren (1956)
Venatier schrieb darüber: „Kein Roman, sondern Skizzenbuch zu politischen und geistigen Problemen der Gegenwart“ und „Das Buch richtet sich nicht gegen den Staat, sondern gegen die Untugenden der Staatsbürger“.
Keinesfalls wollte er die neue Demokratie grundsätzlich infrage stellen. Jedoch mahnte er: „Wenn der Staat gedeihen soll, dann brauchen wir nicht „Versicherungsscheine“, sondern Gläubigkeit und Hingabebereitschaft. Ich weiß als Historiker, daß noch jeder Staat kaputt ging, dessen Bürger diese Eigenschaften vergaßen“.
Venatier wollte konstruktiv kritisch am neuen Staat mitwirken: „Was ich wollte, – rücksichtslos mit den Mitteln der Satire die faulen Stellen zum Bewußtsein bringen, die der Bildung einer echten Staatsgesinnung, einer echten europäischen Gesinnung im Wege stehen. Tut, was die Narrotanier tun, und der Staat geht zum Teufel“. Mit „Narrotanier“ meinte er einen negativen Typus, der sich in der BRD entwickelt hatte und dabei war, die Chance auf eine wirkliche, auf überzeitlichen, antiken Grundwerten basierende Erneuerung zu vereiteln. Venatier kam zu dem Schluß, daß die neue Demokratie nur mit einer frischen, unverbrauchten und sittlich erzogenen Jugend zu verwirklichen sei.
Schlußstrich und Kritik am 3. Reich
Hans Venatier zog für sich aus der Zeit des Nationalsozialismus eine persönliche, kritische Bilanz, die er in der Zeitschrift „Nation Europa“ unter dem Titel „Ist das Neofaschismus?“ in der Dezemberausgabe 1958 veröffentlichte. In seinem in rechten Kreisen vielbeachteten Artikel „Ist das Neofaschismus“ verlieh er seinem Unmut Ausdruck, daß er und seine patriotischen Gleichgesinnten als „Neofaschisten“ bezeichnet wurden.
Für Venatier war das Dritte Reich ein abgeschlossenes Kapitel, über das er kritisch schrieb: „Weiß Gott, es wäre mir lieber, wir Deutschen hätten alle eine saubere Weste behalten“. Ebenso: „…ein Führer ohne Kontrolle wird hypertroph“. Venatier verwahrte sich gegen den Verdacht einer rückwärtsgewandten Apologie: „Will man die Verfassung stürzen? Einer Diktatur den Weg ebnen? Die NSDAP restaurieren? Man ist weit davon entfernt.“ Wie man unschwer erkennen kann, hatte Venatier tatsächlich eine grundsätzlich positive Einstellung zu Staat und Demokratie gefunden.
Die „neue Zeit“ war ein gewollter totaler Bruch mit der Geschichte
Venatier wird bald schmerzlich aufgezeigt, wo sich für die Repräsentanten der jungen BRD ein Problem mit seinen Ansichten abzuzeichnen begann: Venatiers Wertevorstellungen waren schon oder noch zu extrem für die neue Zeit: „Die Demokraten von heute beklagen sich, daß die Jugend keine Ideale habe. Im gleichen Augenblick verfluchen sie die Männer als Staatsfeinde, die der Jugend Ideale zu geben vermögen. Treue, Ehre, Opfersinn“.
Die westlichen Sieger zielten auf die völlige Umerziehung und Verwestlichung der BRD ab. Sie sorgten für eine Schwächung von vielem, was einen starken, gesunden deutschen Staat hätte ausmachen können. Von der Etablierung eines Schuldkults bis zur Glorifizierung des „American way of life“ wurde das Deutsche Volk einer einzigartigen Gehirnwäsche unterzogen. Nachdem die Masse der Jugendlichen, lebenshungrig und dem Materiellen zugewandt, die Amerikanisierung zunehmend begieriger aufnahm, verbreiterte sich die absichtlich herbeigeführte Kluft zwischen Jung und Alt.
Die BRD fällt ihm in den Rücken
Es kam wie es kommen mußte: Venatier wurde schließlich zum Gespräch ins Kultusministerium vorgeladen und darüber informiert, daß er einer politischen Überwachung unterliege. Venatier berichtet darüber in seinen letzten Aufzeichnungen:
„Als ich nach den Vernehmungen das Ministerium in Mainz verließ, stand mir klar vor der Seele, was zu tun ist… Ich habe versucht, Staatsgesinnung zu lehren und der Jugend zu dieser festen, den Staat tragenden Gesinnung zu verhelfen. Man verdächtigt mich, heimtückisch den Nationalsozialismus wiedereinführen zu wollen. Man hält mich für einen Lügner und eine Wühlmaus. Es gilt nur der Haß gegen einen „Ehemaligen“. Ich habe mein Wort gegeben. Ich habe sie beschworen, mir zu glauben: Es hat nichts genützt … Ich wäre auch bereit gewesen, mich zum Kampfe zu stellen, wenn nur einer der drei Herren … mir die Hand gegeben hätte mit den Worten: Wir vertrauen Ihnen, auch wenn wir aus dienstlichen Gründen das Verfahren eröffnen müssen. Die, für die ich gearbeitet habe, vertrauen mir nicht. Das ist bitter … Weil man als Jüngling Nationalsozialist war, als Mann für den besten Teil seines Lebens in der Ecke zu stehen, wo man sieht, daß gearbeitet werden muß, das ist für einen Mann nicht tragbar. Wenn ich mir den Tod gebe, so ist es aus Verzweiflung darüber, immer und ewig von einer Atmosphäre des Mißtrauens umgeben zu sein …“
Fazit
Hans Venatier war ein patriotischer Idealist. Sein Kampf galt seinem Volk, seine Hoffnung lag bei der Jugend. In dem Bestreben, überzeitliche Werte zu vermitteln und zu erhalten, versuchte er nach der Niederlage von 1945 seinen Frieden mit der BRD zu machen. Die dunklen Seiten des Dritten Reiches, die gemachten Fehler und Fehlentwicklungen, waren ihm schmerzlich bewußt. Sein Glaube an die neue Demokratie wurde zerstört, nachdem man ihn überwachen ließ, seine berufliche Grundlage bedrohte und seine politischen Vorstellungen als inakzeptabel ablehnte.
Als Dichter hinterließ Hans Venatier ein beachtenswertes Werk, das noch zum größten Teil auf eine Veröffentlichung wartet. Sein Freitod war Ausdruck von Erschöpfung und Enttäuschung. Er und sein Werk verdienen es, unvergessen zu bleiben.