Mit dem zu Weihnachten 2023 erschienenen Rogue Trader erfüllte sich für viele Warhammer-40k-Fans ein lang gehegter Traum: Endlich ein virtuelles Rollenspiel im 40k-Universum, das man genießen kann, ohne hunderte Euro für Miniaturen, Regelwerke und Lore-Bücher auszugeben.
Doch der Druck auf Entwickler Owlcat Games war offenbar so groß, dass das Spiel in unfertigem Zustand auf den Markt kam – ein leider weit verbreitetes Phänomen in der Videospielbranche. Rogue Trader war zum Release von zahlreichen Bugs und Fehlern geplagt, sodass die Kritiken bestenfalls zwischen „mittelmäßig“ und „gut“ lagen.
Doch statt aufzugeben, zeigte Owlcat Durchhaltevermögen: Fast ein ganzes Jahr lang veröffentlichten die Entwickler wöchentlich Patches und Updates, um die Probleme zu beheben.
Dieser Respekt gegenüber der Community hat sich ausgezahlt – das Spiel wurde über eine Million Mal verkauft. Inzwischen erscheinen auch die ersten DLCs mit Storyerweiterungen und Zusatzinhalten. Der erste, im September 2024 veröffentlichte DLC trägt den Titel Warhammer 40.000: Rogue Trader – Void Shadows und bringt neben neuen Charakteren auch eine der gefährlichsten Xenos-Spezies ins Spiel: die Genestealer.
Fleisch und Blut des Imperators
Eine der spannendsten Neuerungen von Void Shadows ist die neue Begleiterin Kibellah, Mitglied des Todeskults „Bloodspan Web“. Dieser Kult fanatischer Attentäter verehrt den Imperator als „Todlosen“ und versucht, seinen Willen zu deuten, indem er das Tarot des Imperators liest. Ein Satz speziell gefertigter psionisch-reaktiver Wahrsagekarten, die mit dem Geist des Imperators und somit dessen Willen und Gabe der Voraussicht in Verbindung stehen sollen.
Die Kultisten werden von klein auf im Namen des Imperators erzogen und trainiert, ihre körperlichen und geistigen Grenzen zu überwinden. Sie sind immun gegen fast alle bekannten Gifte – und unberechenbar in ihrem religiösen Fanatismus.
Wer die Lore kennt, weiß: Todeskulte gelten im 40k-Universum als eine der unberechenbarsten Strömungen des Imperiums. Ihre Handlungen wirken oft willkürlich, und selbst die Adepta Sororitas fürchten ihren kompromisslosen Glauben. Genau solch ein Kult verbirgt sich in den Tiefen unseres eigenen Schiffs.
Kibellah ist eine großartige Ergänzung: Sie bringt nicht nur eine neue Klasse, den Klingentänzer, ins Spiel, sondern überzeugt auch mit ihrem düster-morbiden Humor. Man könnte sie als eine Grimdark-Version von Wednesday Addams beschreiben – ein makaberer Kommentar zum Leben und Sterben im 41. Jahrtausend.
Die komplexe Welt eines Leerenschiffs
Mit Void Shadows dürfen wir erstmals das Innenleben eines imperialen Leerenschiffs erforschen. Ein Leerenschiff ist jedoch nicht mit den Raumschiffen aus Star Wars oder Star Trek zu vergleichen. Es ist ein gigantisches, gotisches Bauwerk, das mehr einer Kathedrale im All gleicht – ein Symbol für die Macht und den Griff der Menschheit nach den Sternen.
Jedes dieser Schiffe ist eine autarke Stadt, in der Generationen geboren und gestorben sind. Selbst die kleinsten Modelle blicken auf Jahrhunderte- oder Jahrtausende alte Geschichte zurück.
An Bord gibt es Fabriken, Schmelzöfen und Hydrokulturfarmen, die die Besatzung über Jahrzehnte hinweg versorgen können, ohne dass ein Hafen angelaufen werden muss.
Die Gesellschaftsstruktur eines Leerenschiffs gleicht einem klassischen Drei-Klassen-System. Familienclans übernehmen bestimmte Aufgaben, geben ihr Wissen über Generationen weiter – und je wichtiger ihre Funktion, desto höher ihr Status.
Intrigen, Rivalitäten und Machtspiele sind daher an der Tagesordnung.
Besonders eindrucksvoll ist der astrophatische Chor, das Zentrum der Langstreckenkommunikation. Eine Mischung aus Orgel, Spieluhr und Enigma-Maschine – in gigantischem Maßstab. Auch die Schiffskapelle samt Krypta unserer Vorgängerin sowie die gefährlichen Unterdecks dürfen wir betreten.
Und hier zeigt sich, dass „Stadt“ gewissermaßen wörtlich zu verstehen ist. Während man bei einem Schiff eigentlich an einen klar kartografierten Ort, mit klar strukturierten Korridoren und voller Überwachung vor Augen hat, sind die Decks eines solchen Leerenschiffs mehr organisch gewachsene Gebilde. Sie sind gewaltig, unübersichtlich und manche Sektionen werden nie oder nur selten besucht, sind komplett in Vergessenheit geraten oder sind durch Umbau- oder Reparaturmaßnahmen verschwunden und nur noch über obskure Schächte zu erreichen.
Wie in den Alien-Filmen kann sich in dieser Unterwelt unseres Schiffes alles Mögliche verstecken, wuchern, sich vermehren, ohne dass wir die geringste Ahnung davon haben. Hier zeigt sich die Schattenseite: Dämonen oder Xenos nisten sich ein und können, wenn sie nicht rechtzeitig beseitigt werden, zur tödlichen Bedrohung für das ganze Schiff werden.
Doch keine dieser Gefahren reicht an die Bedrohung der Genestealer heran.
Die Dinger aus einer anderen Galaxis
In Void Shadows bekommen wir es mit den Genestealern zu tun. Während andere Xenos plündern, versklaven oder vernichten, verfolgen die Genestealer ein noch perfideres Ziel: Sie wollen andere Spezies unterwandern und zu abartigen Hybriden machen. Sie sind Infiltrationskreaturen der Tyraniden, dem gefährlichsten räuberischen Schwarm des 40k-Universums.
Sie vereinen das Grauen von H. R. Gigers Alien mit der Paranoia aus John Carpenters The Thing. Darum sind sie auch unter einem anderen Namen bekannt: Symbionten. Denn sie können sich mit jeder bekannten Spezies kreuzen und jede Gesellschaft unterwandern.
Einige Beispiele aus der Lore verdeutlichen ihre Gefährlichkeit:
In den Ciaphas-Cain-Romanen tauchen sie sogar im Tau-Imperium auf. In „Das große Werk“ (Guy Haley) infiltrierten sie den Space-Marine-Orden der Scythes of the Emperor. In „Ghost Warrior“ (Gav Thorpe) eroberten sie ein ganzes Asuryani-Weltenschiff, dessen Patriarch sich mit einem Splitter der Eldar-Gottheit Kaela Mensha Khaine vereinte – und so zu einem gottgleichen Monstrum wurde.
Nur Orks, Drukhari und Necrons scheinen immun gegen ihre Unterwanderung zu sein. Menschen sind dagegen ihr bevorzugtes Ziel – aufgrund ihrer Zahl, ihres Reproduktionszyklus und ihres autoritären Regierungssystems, das Revolutionen begünstigt.
Die Vermehrung der Genestealer ist ebenso perfide wie effektiv: Ein einziger reinblütiger Symbiont kann ein Opfer hypnotisieren und mit dem „Kuss des Symbionten“ infizieren. Das Opfer wird Teil des Schwarmbewusstseins und gibt die Infektion über seine Nachkommen weiter. So entsteht innerhalb weniger Generationen ein ganzer Kult – und der ursprüngliche Symbiont steigt zum Patriarchen auf.
Hier trifft Kosmischer Schrecken auf Body Horror. Ganz wie in Lovecrafts „Schatten über Innsmouth“ sind die Kinder der Menschen, die sich mit dem Hybriden vermehren, alienhaft entstellt, während ihre „menschlicher“ aussehenden Nachkommen dazu dienen, die restliche menschliche Besatzung des Schiffes zu infiltrieren, weitere menschliche Partner zu finden und ihre Gene auch mit diesen weiterzugeben und sich weiter zu vermehren. Der Hybridisierung folgt der Untergang.
Sobald die Zahl der Genestealer groß genug ist, destabilisieren sie gezielt die Gesellschaft, damit sie wehrlos ist, wenn die Tyranidenschwarmflotten eintreffen. Denn die Patriarchen sind zugleich psionische Leuchtfeuer, die die Schwärme anlocken, die den namensgebenden Schatten im Warp werfen.
Die effektivste Methode, einen Kult zu vernichten, ist die Tötung des Patriarchen. Doch selbst das garantiert keinen Sieg – ein einziger Überlebender genügt, um den Kreislauf neu zu beginnen.
Wie katastrophal das enden kann, zeigt die „Hammer and Bolter“-Episode „A New Life“. Sie verdeutlicht, dass das totalitäre System des Imperiums nicht nur aus Willkür besteht, sondern als notwendiger Schutzmechanismus gegen genau solche Gefahren dient.
Nicht umsonst heißt es:
Verabscheue die Hexe.
Fürchte den Xenos.
Töte den Mutanten.
Interessante, aber zu wenige Neuerungen
Die Storyerweiterung ist gelungen, doch mit rund 15 Stunden Spielzeit wirkt der Content von Void Shadows im Vergleich zur riesigen Hauptkampagne etwas knapp.
Besonders schade ist, dass das Thema Paranoia kaum aufgegriffen wurde. Gerade die Genestealer hätten sich perfekt für ein Szenario im Stil von The Thing oder Alien angeboten: Dunkle Korridore, die Angst vor dem nächsten Angriff, und das nagende Misstrauen gegenüber den eigenen Gefährten oder wichtigen Besatzungsmitgliedern.
Auch das Versprechen, das Schiff vollständig erkunden zu können, wurde nur teilweise eingelöst. Zwar gibt es einige neue Bereiche, doch die Auswahl bleibt begrenzt.
Wie spannend wäre es gewesen, wenn man vergessene Module entdeckt hätte – etwa verlassene Offiziersquartiere, stillgelegte Fabrikdecks, Hydroponikgärten oder verseuchte Unterdecks. Ein nervenaufreibendes Katz-und-Maus-Spiel mit einem Scanner durch dunkle Gänge hätte perfekt gepasst. So bleibt es bei mehr vom gleichen (guten) Gameplay, das wir schon aus dem Hauptspiel kennen und weiterer interessanter Geschichten, die uns das Leben auf unserem Leerenschiff näher bringt.
Auch gestrichene Storyelemente wie der Planet Santiel’s Pride, der ursprünglich wichtig für die Hauptquest war, hätten wieder aufgenommen und ins Spiel integriert werden können, da sich der DLC nicht als Fortsetzung der Geschichte ans Ende anschließt, sondern mitten in die Hauptgeschichte integriert wurde.
Doch trotz dieser verpassten Chancen bleibt der DLC atmosphärisch dicht und unterhaltsam.
Auf in die Leere!
Lohnt sich der Kauf? Ja.
Für 18 Euro bietet Void Shadows eine lohnende Erweiterung mit rund 15 Stunden Inhalt, einer neuen Begleiterin, einer zusätzlichen Klasse, neuen Mechaniken und Ausrüstung.
Man merkt, dass Owlcat Herzblut investiert hat – und Respekt gegenüber der Community zeigt, was in der heutigen Spielewelt selten geworden ist.
Im Juni 2025 erschien das nächste DLC, Lex Imperialis, das sich um den Adeptus Arbites, das Justizsystem und den imperialen Zehnt drehen wird. Das werden wir uns in Zukunft wahrscheinlich auch noch anschauen.
Doch bis dahin gilt: In der Leere hört dich niemand schreien.