Wolf Larsen, der Seewolf, ist eine beeindruckende und zugleich beängstigende Gestalt. Als Kapitän eines heruntergekommenen Robbenfängers herrscht er über eine Mannschaft, die primitiv, dreckig und verroht ist. Den Männern an Männlichkeit und Geisteskraft überlegen, unterwirft er sie mit Gewalt seinem Willen. Seine übermenschliche Kraft wird in einer legendären Szene sichtbar: Mit nur einer Hand zerquetscht er eine rohe Kartoffel.
Faszination und Angst – Im Bann des Seewolfs
Durch ein Schiffsunglück in der Bucht von San Francisco gelangt auch unser Protagonist, der gut situierte Literaturkritiker Humphrey van Weyden, auf das unheilvolle Schiff. Mit Bestürzen muss er feststellen, dass das Leben an Bord all dem widerspricht, was er zuvor gelernt hat. Wer nicht spurt, wird mit Schlägen gefügig gemacht. Und während er dazu gezwungen wird, die Rolle des Schiffsjungen zu übernehmen, zieht ihn der grausame Kapitän in seinen Bann. Van Weyden lässt dabei das Gefühl nicht los, er wäre ihm schon einmal begegnet.
Es ist nicht bloß die körperliche Kraft, die uns am Seewolf fasziniert, sondern der eiserne, unbarmherzige Wille, mit dem er die Welt bezwingt. Bis auf van Weyden ist er der einzige belesene Mann an Bord, denn er hat seinen Intellekt an Literatur und Lexika geschärft. Als Nihilist und Materialist verachtet er das Christentum und sieht jegliche Moral als ein Zeichen von Schwäche. Trotz seines Nihilismus und seiner Todesverachtung stellt er sich auf die Seite des Lebens: „Natürlich ist das Leben wertlos, nur nicht für einen selbst.“ Für ihn ist es ein darwinistischer Kampf, bei dem sich der Stärkste durchsetzt.
Die Herrschaft des Seewolfs zerbricht
Larsen verkörpert den Typ eines Rechten, der gerne von minderjährigen „Edgelords“ im Internet nachgeahmt wird. Sie verstecken sich hinter einer Maske der Überlegenheit, die kalt berechnend auf die Welt herabschaut und der alle moralischen Skrupel fremd sind. Damit wollen sie schockieren und provozieren. Sie träumen davon, ebenso ein Hüne zu sein, vor dem die Menschen erzittern, wie Larsens Matrosen vor ihrem Kapitän.
Doch ohne Moral gibt es kein Vertrauen und ohne Vertrauen keine Führung. Die Schreckensherrschaft Larsens ist fragil, denn die gedemütigten Männer werden nur durch Angst und Gewalt in Schach gehalten. Der Wunsch nach Flucht und Meuterei wird immer stärker und so ist es nur eine Frage der Zeit, bis in einem Moment der Schwäche die Macht des Kapitäns zerbricht. Und während van Weyden lernt, auf eigenen Beinen zu stehen, sich durchzusetzen und den Härten des Lebens zu trotzen, sehen wir schließlich den mächtigen Wolf Larsen scheitern.
Nietzsches Übermensch muss scheitern
Autor Jack London nimmt mit der Schöpfung des Seewolfs Nietzsches Übermenschen-Philosophie in die Kritik. Dabei beleuchtet er die unheilvolle Kombination von Materialismus und Nihilismus, bei der alles auf den praktischen Nutzen reduziert wird – auch die Moral. An sich ist die Welt dieser Auffassung nach sinnlos und leer. Der Mensch, bloß zufällig in sie hineingeworfen, ein Tier unter Tieren. Kein Wunder, dass eine solche Weltsicht oft in Sinnlosigkeit und Depressionen mündet, denn jeder Lebensbejahung muss eine bewusste Entscheidung, ein Willensakt, zugrunde liegen.
Wolf Larsen hat diese Entscheidung für das Leben getroffen. Doch auch ihn reißt der Nihilismus in den Abgrund. Der Seewolf – das ist der Übermensch, wie er notwendig scheitert. Am Ende erweist er sich als eine tragische Figur, denn er bleibt weit hinter dem Potenzial zurück, das ihm dank seines Willens, seiner Kraft und seines Verstandes gegeben ist. Wie kommt es dazu?
Die vermeintlich klaren und unsentimentalen Kalkulationen, auf denen die Ideen eines Übermenschen wie Larsen basieren, sind schlichtweg falsch. Wenn jede Wahrnehmung der Welt als subjektiv abgetan wird – wie kann dann ein Mensch die objektive Wahrheit des Nihilismus erkennen? Wenn der Mensch die Wahrheit nicht wissen kann, wie kann er dann die Wahrheit über die Wahrheit wissen?
Während van Weyden an den Erfahrungen wächst und aus ihnen lernt, weil er ihre Wahrheit zulässt, hat sich Larsen die Tür zur echten Welt verschlossen. Er entfernt sich vom Leben, denn jede Wahrnehmung wird durch das Raster seiner Ideologie gepresst. Diese Diskrepanz zwischen persönlichem Erleben und abstrakten philosophischen Überlegungen spürt auch Larsen, wenn er feststellt: „Mein Fehler war, dass ich je ein Buch aufgeschlagen habe.“
Adventsvierteiler – Format einer vergangenen Zeit
Inspiriert ist die Verfilmung von dem gleichnamigen Werk Jack Londons, das aber um Auszüge aus seinen weiteren Romanen ergänzt wurde. Es handelt sich dabei um einen der besten “Adventsvierteiler” – so werden die von dem ZDF in den 60er bis 80er-Jahren produzierten vierteiligen Abenteuerfilme bezeichnet, von denen jeden Adventssonntag eine Episode ausgestrahlt wurde.
Viele der damals produzierten Filme entsprechen heute nicht mehr unseren Sehgewohnheiten. Wer jedoch einen langsamen und atmosphärischen Abenteuerfilm sucht, für den ist der Seewolf die richtige Wahl. Durch zeitliche Rückblenden werden verschiedene Handlungen miteinander verknüpft und so sehen wir den Protagonisten auf dem Schoner die Seefahrt kennenlernen, wie er als Kind heimlich auf Zügen trampt oder in der Wildnis ums Überleben kämpft. Passend ist auch das Stilmittel, die Handlung durch eine Erzählstimme zu kommentieren, die das innere Erleben des Protagonisten schildert und für eine Atmosphäre sorgt, die moderne Abenteuerfilme nicht mehr zu bieten haben.