Wir schreiben das Jahr 1875 und befinden uns in Boston, der damaligen linksliberalen Hochburg der Vereinigten Staaten. Die Handlung spielt in der prunkvollen Welt des Geldadels und konzentriert sich auf eine Gruppe reicher Frauen mit viel Freizeit, deren Lieblingsbeschäftigungen Feminismus, Spiritismus und Homöopathie sind.
Warum geht’s?
Jetzt, nachdem der Norden den Sezessionskrieg (1861-1865) gewonnen hat und die Sklaverei abgeschafft worden ist, ist die „Befreiung der Frau“ das nächste Thema auf der Liste der Progressiven. Der Geisterbeschwörer und Wunderheiler Dr. Tarrant führt eine Art parasitäres Dasein im Kreise dieser Frauen; seine Tochter Verena, die über rhetorisches Talent verfügt, lässt er feministische Kampfreden vor den reichen Damen aufführen.
Eine von ihnen, Olive Chancellor (Vanessa Redgrave), eine Lesbe in ihren 50ern und fanatische Feministin, verliebt sich in sie. Sie fühlt sich einerseits sexuell zu Verena hingezogen und möchte andererseits ihr rednerisches Talent nutzen und sie zu einer feministischen Führungsfigur formen. Daraufhin beschließen Olive und Dr. Tarrant ein Geschäft: Sie zahlt ihm 5.000 Dollar für das Privileg, ein Jahr lang Verenas Erziehung überwachen zu dürfen, was sich im Folgenden auch jährlich wiederholen solle (1875 sind 5.000 Dollar so viel wert wie heute 120.000 Dollar).
Der gutaussehende, rechte Gentleman
Bei einer von Verenas Reden ist zufällig Basil Ransome (Christopher Reeve) zugegen, ein entfernter Cousin aus dem Süden, der, obwohl er ein scharfer Gegner des Feminismus ist, sich sofort in sie verliebt. Basil ist nicht nur ein männlicher und gutaussehender Gentleman, sondern auch wirklich rechts. Er ist Veteran aus dem Sezessionskrieg, in welchem er für die Konföderation gekämpft hat. Als Essayist schreibt er zu Themen wie Ruhm, Ehre und Adel.
Als einer seiner Artikel abgelehnt wird mit der Begründung, er sei „out of time“ mit einer Differenz von 300 Jahren, sagt Ransome: „Was meine Meinung zu Minderheitenrechten angeht, bin ich tatsächlich nicht zeitgemäß. Aber ich komme nicht 300 Jahre zu spät, sondern bin 300 Jahre zu früh!“. Er erklärt Verena frei heraus, dass er Frauen „for public uses“ als unterlegen und zweitklassig ansehe, sie aber für hervorragend geeignet halte für alles Private und die Familie. Er lehnt den Feminismus ab, glaubt nicht, dass Frauen unterdrückt würden, hält sie im aktuellen Zustand schon für sehr mächtig und findet, dass ihre „Gleichstellung“ de facto nur zur Unterjochung der Männer führen würde: „Darf ich ihnen von der Schönen Helena erzählen? Sie hatte nicht einmal das Wahlrecht und hat dennoch ein Blutbad verursacht.“
Die Gegenspielerin – Eine verbitterte Feministin
Trotz seiner reaktionären Ansichten kann er sich in der Welt der reichen Suffragetten bewegen, weil er vor allem ein echter Sympath ist. Christopher Reeve ist für diese Rolle prädestiniert, spielt er doch schon in „Superman“ überzeugend den moralisch integren Helden. Seine Gegenspielerin Olive wird hingegen als unsympathisch porträtiert. Sie ist ein feindseliger, dogmatischer und verbitterter Charakter, trotz all ihres Humanitarismus.
Außerdem macht sie aus ihrem Herzen eine Mördergrube und bringt es nicht über sich, Verena ihre sexuelle Zuneigung zu gestehen („Boston Marriage“ war in den USA lange Zeit eine Bezeichnung für eine lesbische Lebensgemeinschaft, was dem Titel des Filmes eine zweite Bedeutung gibt). Basil ist hingegen ungezwungen; frei heraus sagt er zu Verena: „Ich glaube nicht, dass Sie wirklich meinen, was sie predigen. Sie wollen es allen recht machen, aber das entspricht nicht ihrem Wesen. Sie sind für etwas anderes bestimmt. Für ein privates Leben. Für die Liebe, Verena. Für mich.”
Die Geschichte handelt nun davon, wie Verena zwischen diesen beiden höchst gegensäzlichen Polen, der linken Kampflesbe und dem rechten Südstaatler, hin und hergerissen wird. Das Einzigartige an diesem Film ist, dass der erzreaktionäre und vollkommen unapologetisch rechte Basil Ransome tatsächlich der Sympathieträger und am Ende auch Gewinner dieser Auseinandersetzung ist!
Satire auf die linksliberale Oberschicht
Henry James’ Roman war eine beißende Satire auf die damalige selbstgefällige linksliberale Oberschicht, welche als klare Vorläuferin zu unserer heutigen Elite erkennbar ist, die ebenfalls damit beschäftigt ist, ihr Geld und ihren Einfluss dazu zu verwenden, zerstörerische Ideologien auf die Menschheit loszulassen, ohne sich im geringsten darüber Sorgen zu machen, irgendwann die Rechnung für ihr zersetzendes Verhalten zu kassieren. Das Buch war zum Zeitpunkt seines Erscheinens schon ein Skandal – um so mehr macht es Staunen, dass diese Verfilmung überhaupt gedreht und zudem noch positiv rezipiert wurde. Schwer vorstellbar, dass die Macher des Filmes …
- Der homosexuelle Regisseur James Ivory, dessen letztes Machwerk „Call me by your Name“ eine Art schwules Romeo und Julia ist
- Sein indisch-muslimischer Liebhaber Ismail Merchant als Produzent
- Die Holocaustüberlebende Ruth Prawer Jhabvala als Drehbuchautorin
… auch nur im geringsten mit Basil Ransomes Ansichten sympathisieren – und dennoch sehen wir ihn als Helden dort auf dem Bildschirm: stark, strahlend und unbesiegt bis zum Ende. Ein kleines Wunder. Auch, was die Komik von Figuren wie Olive und Dr. Tarrant anbelangt, oder jene, wenn zwischen exorbitant reichen Frauen Sätze fallen wie „Kann etwas Gutes aus einer Gesellschaft hervorgehen, in der Frauen wie Sklaven behandelt werden?“ – kann man wirklich nur rätseln, ob sie von den Machern bewusst eingefügt wurde, oder ob sie nur ein unfreiwilliges Nebenprodukt ist.
Faszination für das 19. Jahrhundert
Das Trio Ivory-Merchant-Jhabvala hat schon eine Menge Literaturverfilmungen von großen Autoren wie E. M. Foster und Henry James bewerkstelligt, die alle in einem ähnlichen Setting spielen. Sie zeigen immer eine große Nostalgie für das 19. Jahrhundert, in welchem es all das noch gab: Heteronormativität, Patriarchat und eine fast vollständig weiße Gesellschaft. Die Protagonisten dieser Filme, die ausnahmslos der Oberschicht angehören, haben alle mit den Umständen dieser Zeit zu kämpfen; dennoch sticht ins Auge, dass diese alte Welt in vielerlei Hinsicht attraktiver ist als jene neue, die die Eliten nach den ganzen „Befreiungskämpfen“ am Ende für uns schufen.
Wer die übliche linke Propaganda ausblenden kann, kann an solcher Art Filme durchaus seine Freude haben; „The Bostonians“ aber bietet noch mehr: Der Held ist nicht wie sonst ein Rebell gegen das Patriarchat, sondern ein Rebell gegen die Zerstörung desselben! Das macht „Die Damen aus Boston“ tatsächlich zu dem einzigen dezidiert antifeministischen Film, den ich kenne.