Das letzte Mal, als ich Breaking Bad, eine der erfolgreichsten Serien aller Zeiten,vollständig gesehen habe, ist Jahre her. Ich muss 16 oder 17 Jahre alt gewesen sein. Vor einiger Zeit schaute ich die Serie ein zweites Mal und entdeckte, wie ein erneuter Blick auf ein bekanntes Werk die Wahrnehmung stark verändern kann. Das Drogenepos enthüllt auf einen zweiten Blick noch einmal ganz andere Facetten.
Die Sprache macht die Musik
Zum einen möchte ich auf die Synchronisation eingehen: Ich habe Breaking Bad anfänglich auf Deutsch geschaut und muss nun bei meinem zweiten Blick auf Englisch feststellen, dass die originalen Stimmen um einiges fruchtbarer wirken. Redewendungen und Sprichwörter ergeben mehr Sinn, Stimmen und Tonlagen der Charaktere sind passender, der gesamte Sprachfluss und die Handlungen wirken organischer und natürlicher. Ein Beispiel: Wer einmal die berühmte „I am the one who knocks!“-Szene in beiden Sprachen vergleicht, kann folgenden Unterschied bemerken: Walter wirkt im Deutschen weniger hart in der Wortwahl. Es hat sogar einen Hauch von Vernunft, als er erklärt was passieren würde, wenn er beschließen würde, „nicht mehr zur Arbeit zu gehen“. Er wirkt, als denke er an das Wohl des „Unternehmens“. Walter spricht im Original jedoch kalt von „business“. Und nicht von „was ich im Jahr verdiene“, sondern vulgärer, „what I make a year“.
Auch wenn es im Englischen nicht zwangsweise ruchlos klingt, in der Szene ist es ruchlos gemeint. Im Deutschen hätte man das eher mit „was ich pro Jahr raushole“oder „was ich pro Jahr klar mache“ übersetzen können. Das wirkt auch egoistischer. Und die deutsche Synchro leidet leider unter politischer Korrektheit. Es gibt beispielsweise eine Szene in der vierten Staffel, in welcher der beförderte Jesse aufgefordert wird, seine Meth-Kochkünste hochqualifizierten Kartellchemikern vorzustellen. Nachdem der Chefchemiker Jesses Fähigkeiten und Autorität anzweifelt, sagt Jesse im Original so etwas wie „heul nicht wie eine kleine Schlampe“ („bitch“), aber auf Deutsch wird „bitch“ durch „Mädchen“ ersetzt. Auch wenn es banal klingt, die Substitution „Mädchen“ nimmt der Aggression dieser Szene einiges an Wind aus den Segeln.
Zwischen Sanftmut und Dunkelheit: Wie die Stimme die Atmosphäre ändert
Ich neige dazu, einige Charakter nun mit anderen Augen zu sehen. In der deutschen Synchronisation hat Walter White beispielsweise die Stimme eines ruhigen alten Großvaters (Joachim Tennstedt), sanft und unschuldig im Gegensatz zur Originalstimme von Bryan Cranston, die dunkel und aggressiv ist. Und ich vermute, dass das unter anderem ein Unterschied ist, der mich diesen Charakter mit einer anderen Färbung sehen lässt, zumindest in den ersten drei Staffeln. In der deutschen Version empfand ich immer Mitleid mit ihm; er war ein sanfter alter Mann, der all das nur tat, um seine Familie zu unterstützen.
Tennstedts eher gemächliche, teils verletzliche Stimme fährt geschmeidig auf Schienen, nimmt Höhen und Tiefen, aber entgleist nie greifbar bedrohlich. Aber bei Cranstons Original umwölkt diesen Charakter eine aggressive, gewittrige Atmosphäre. Die dunkle Stimme speit in jenen Szenen, in denen Walter aus der Haut fährt, nur so vor Wut und Besessenheit. Sie ähnelt einem donnergrollenden Gewitter, dem Brummen eines wütenden Bären („I am the one who knocks!“). Im Englischen wird seine Bedrohlichkeit durch Tonlage und Klangcharakter unbeschreiblich akzentuiert. Joachim Tennstedts Stimme ist zu weich und zu glatt, um die animalische Schlagkraft Walters zu vermitteln.Walter wirkt im Deutschen auch stets vernünftiger auf mich. In den ersten drei Staffeln habe ich abwechselnd dieselben Szenen auf Deutsch und Englisch verglichen, und ich komme nicht um den Eindruck herum, dass Cranstons Originalstimme eine signifikant andere Atmosphäre vermittelt.
Verlorene Emotionen
Nicht nur Walters Stimme, auch Jesses Stimme verliert im Deutschen an Schlagkraft. Es gibt eine Szene im Krankenhaus, nachdem Jesse von Hank verprügelt wurde und Walter ihn davon überzeugen will, wieder mit ihm zusammenzuarbeiten. Dabei muss gesagt sein, Aaron Paul ist ebenfalls ein großartiger Schauspieler; sein gesamter emotionaler Zustand, seine Wut, Verzweiflung und Traurigkeit wirken in allen Szenen meisterhaft überzeugend. Und dieser emotionale Zustand wird auch durch seine unverfälschte Stimme hervorragend vermittelt. Als ich diese mit der deutschen Synchronisation verglich, war diese ernüchternd. Die deutsche Synchronisation (Marcel Collé) versuchte, diesen emotionalen Ausbruch im Krankenhaus nachzuahmen, aber ich konnte mich nicht davon abbringen, mir den Synchronsprecher im Studio vorzustellen, wie er das Skript abliest, mit den Anweisungen der Produzenten im Hintergrund. Marcel Collé konnte das brillante Schauspiel von Aaron Paul einfach nicht adäquat imitieren.
Ein anderer Blick auf den Anti-Helden
Ich vermute, dass die deutsche Version Walter Whites einen anderen Eindruck der Person vermittelt. Mir ist aber noch etwas aufgefallen: Ich habe einen Freund, der Breaking Bad mit seinen Jungs vor kürzerer Zeit zum ersten Mal gesehen hat, und dieser erzählte mir, dass sie alle in Walter den ambivalenten Lieblingshelden sahen und besonders in seiner Frau Skyler die große Feindin, die alles ruiniert. Als ich Breaking Bad das erste Mal auf Deutsch sah, hatte ich dieselbe Sichtweise. Man vernimmt deckungsgleiche Berichte von vielen Personen. Woher stammt dieser Unterschied in der Einschätzung? Wird die Sichtweise durch einen zweiten Blick oder durch die Synchronisation verändert?
Ich vermute zwar, dass die wesentlich weichere und hellere Synchronstimme Walters plus Sprachverzerrungen der Übersetzung einen nicht zu vernachlässigenden Unterschied darstellen, wie man seine Person sieht und bewertet. Andererseits muss man ganz klar dazu erwähnen, dass es noch viele andere Faktoren gibt, welche die Wahrnehmung der Hauptcharaktere beim zweiten Blick verändert haben können. Beim ersten Mal identifizierte ich mich sehr mit Walter und verharmloste seine Taten. Beim zweiten Blick war der Ausgang hingegen ja bereits bekannt und man gewinnt dadurch eine Form von Distanz. Es war mir wie einmal Hals über Kopf verliebt gewesen zu sein und nach ein paar Jahren ernüchtert festzustellen, dass die Person gar nicht das ist, was man einst in den Himmel gehoben hatte.
Albuquerque im Spiegel: Wie eine Serie die Zerrissenheit Amerikas entblößt
Breaking Bad ist bei einer zweiten Betrachtung noch faszinierender. Natürlich ist ein Grund die atemberaubend fließende Wandlung Walters (und Jesses). Im Nachhinein sind mir aber noch andere Dinge, eher gesellschaftskritischer Natur, aufgefallen: Einerseits, die Kulisse ist hervorragend gewählt: Albuquerque, eine Stadt in New Mexico, die wie viele andere US-Städte von Drogenhandel und -konsum geplagt ist. Die beste Gelegenheit, um eine kriminelle Karriere für seinen Protagonisten anzureißen. Das immer sonnige Wetter wirkt wie eine hervorragende Antithese zu den dunklen Drogenaktivitäten. Genauso das bürgerliche Umfeld Walters zu den proletarischen Charakterköpfen der Drogenszene.
Alles wirkt wie eine Karikatur der amerikanischen Gesellschaft selbst. Lateinamerikanische Einwanderer, die das südliche Nordamerika mit billigen Drogen fluten, ein ohnmächtiger Staat und eine Gesellschaft, die sich längst der Drogenkultur gebeugt hat. Skurrile Subkulturen, die den bürgerlichen Amerikaner aus seiner Idealvorstellung reißen. Es ist doch faszinierend, wie die Serie es schafft, all die sozialen Gegensätze so originalgetreu abzubilden. Einerseits haben wir das amerikanische Bürgertum, dem Walt und seine Familie angehört. Und in derselben Stadt leben massenhaft Junkies, Mörder und eine hochorganisierte Drogenindustrie.
Verloren gegangene Nuancen
Beim Schauen des englischen Originals kommt vor allem etwas zum Vorschein, was die deutsche Synchro natürlich nicht schafft: Die sprachlichen Unterschiede der Gruppen:Soziolekte und Akzente.Einerseits Jesse, der (als im Bürgertum geborener Weißer)den Slang der Unterschicht spricht. Dieser ist ganz eindeutig vom Ghetto-Soziolekt der Schwarzen und Latinos geprägt.Seine Art zu sprechen und seine vulgären Ausdrücke stehen im konstanten Kontrast zu Walters Sprachduktus und dem seiner Familie. Die zum Schmunzeln anregenden Sprachbarrieren treten immer wieder auf und können im Deutschen nicht adäquat hervorgehoben werden.
Seien es Ausdrücke wie „G‘s“ („Grand“; tausend Dollar), „Ice“ (Crystal Meth) oder „Cheese“ (Geld), die Walter komplett fremd sind. Oder die Entrüstung Skylers in der Szene, als diese in der ersten Staffel bei Jesse anruft, wirkt um vieles witziger, wenn man den Duktus der beiden im Original vergleicht. Der mit Vulgärsprache bestückte, lakonische Slang bewirkt bei ihr deutliche Empörung und Verwirrtheit. Diese Diskrepanz hebt umso stärker hervor, in welch komplett unterschiedlichen Realitäten diese Gruppen leben.
Am Ende ist es Authentizität
Mir ist aufgefallen, dass Breaking Bad vor allem deshalb so erfolgreich sein muss, weil sie authentisch wirkt. Auch das ist mir früher nie so aufgefallen. Klar, die Serie empfand ich als gut, aber mit einem reiferen Blick auf die Gesellschaft fällt auf, wie die Macher sehr viel Wert auf soziale Originalität gelegt haben. Menschen aus jeder sozialen Schicht und Minderheit können authentische Elemente wiedererkennen. Viele Personen mit ihrer Biographie wirken zwar skurril und irgendwo überzeichnet, aber doch real. Jesse, ein Junge aus gut behütetem Elternhaus, der auf die schiefe Bahn geraten ist. Der anfängliche Walter White selbst, ein typischer „Nice Guy“, bürgerlicher, harmloser Amerikaner. Kein sonnengebräunter, muskelbepackter oder überdurchschnittlich attraktiver Hollywood-Archetyp. Generell wirkt keine Person der Serie so, als wäre sie rein den Hollywood-Idealen nach selektiert.
Es gibt Lydia, eine Logistik-Chefin, die als Frau sehr authentisch wirkt. Hochkriminell, intelligent, aber trotzdem ängstlich und verletzlich. Keine Frau, die aus feministischen Motiven eiskalt und unverwundbar wirken muss. Generell wirken all die Frauen in Breaking Bad wahrscheinlich und nahbar. Skyler White, eine pflichtbewusste Ehefrau und Mutter, die emotional angreifbar, aber auch selbstbestimmt ist. Ihre Schwester, die zu emotionaler Labilität und Neurosen neigt und nichts für sich behalten kann. Beide haben relativ durchschnittliche Gesichter und wirken nicht wie dem Modekatalog entnommen.
Auch die Junkies und Kriminellen sind authentisch. Sie reden und bewegen sich genauso, wie man es sich vorstellt. Die Drogeninfrastruktur und deren Hauptcharaktere sind von Kartellen und ethnischen Minderheiten dominiert. Genauso, wie es in der Realität nun mal ist. Keine woken Diktate, die Frauen und Minderheiten mit der Brechstange gut dastehen lassen sollen. Jeder Charakter bekommt eine eigene Tiefe zugestanden. Das muss gesagt werden, denn die Serie steht dadurch vor allem im Kontrast zur heutigen Zeit.
Das toxische Versprechen des amerikanischen Traums
Am Ende fällt eine fundamentale Gesellschaftskritik auf: Walters Werdegang entspricht einem amerikanischen Ideal: Vom Tellerwäscher zum Millionär. Glaube an dein Ziel, arbeite hart und du wirst reich werden. Sorge selbst für dein Brot, dich und deine Familie. Verlass dich nicht auf Andere, nimm dein Schicksal selbst in die Hand. Nur du bist für dich verantwortlich. Aber: Im modernen Amerika scheint dieses Narrativ viel greifbarer und unkomplizierter, wenn man dem in der Kriminalität nachgeht. Der Geist des individualistischen Amerika scheint selbst sein größter Feind zu sein. Die Motive der Individuen, die nicht weiterreichen als das Wohlergehen der eigenen Familie, vergiften die Gesellschaft, deren Menschen scheinbar nur noch in einem Kampf ums Dasein leben.
Fazit
Zuletzt muss ich generell empfehlen, als gut empfundene Serien und Filme häufiger zu sehen. Wenn es die Sprachkenntnisse zulassen, möglichst in Originalsprache. Deutsche Synchronisationen sind zwar allgemein gut und versuchen nah am Original zu arbeiten (was auch zur vermehrten Übernahme englischer Begriffe führt). Doch vor allem bei Filmen und Serien, die eine tiefere Botschaft vermitteln wollen oder sehr auf Sprache setzen, bietet das Original eine qualitativere Perspektive. Allgemein gilt: Durch das erneute Betrachten der gleichen Bilder kann der Blick auf das zuvor Unbekannte, im Hintergrund Schlummernde, gerichtet werden. Weil die Grundgeschichte und der Ausgang bereits bekannt sind, entsteht Raum, über einzelne Nuancen, Aussagen und Charaktere tiefer nachzudenken. Ein zweiter Blick ist demnach keine zweite Erfahrung, sondern eine neue.