Wir wollen uns in diesem Artikel mit Politik beschäftigen. Und zwar konkret mit der Mode unserer werten Volksvertreter. Sie finden das langweilig? Dann lassen Sie mich Ihnen mit den Worten Oscar Wildes entgegnen: „Nur die oberflächlichen Menschen urteilen nicht nach dem Äußeren.“ (Das Bildnis des Dorian Grey, Kapitel 2) Ich möchte Wilde darin recht geben, und vielleicht auch Sie überzeugen, daß diese Geisteshaltung gerechtfertigt ist.
Die Politgarderobe als Ausdruck unserer Gesittung
Auf den Gedanken brachte mich ein Beitrag unseres geliebten Bundeskanzlers auf X, dessen Inhalt uns hier aber gar nicht interessieren soll. Ohnehin dürfte uns dabei wenig entgehen. Nein, unser Augenmerk wollen wir auf das beigefügte Foto legen, das sicher wieder einiges an Steuergeld gekostet hat und dessen Optik meiner Einschätzung durchaus repräsentativ ist für die politische Welt der BRD.
Diese #Koalition hat viele gute und wichtige Gesetze auf den Weg gebracht, um Deutschland mit Tempo zu modernisieren. Es wird gut gearbeitet und wir werden weiter hämmern und klopfen – aber künftig besser mit Schalldämpfer. Unsere Ergebnisse können sich nämlich sehen lassen. pic.twitter.com/HablSr43Ui
— Bundeskanzler Olaf Scholz (@Bundeskanzler) August 30, 2023
Ich bin nun nicht so verkrampft, daß ich die Ansicht vertrete, Männer müßten unbedingt Anzug tragen. Wünschenswert ja, doch er ist kein Muß. Zwar finde ich es würdelos, wenn mir greise Herren in Jogginghose und Windjacke begegnen, und auch Männer, über deren Bierbauch sich ein bunt bedrucktes Leibchen spannt, kann ich nicht mehr ernst nehmen. Frauen, die meinen, ihre weibliche Silhouette durch Hosen ruinieren zu müssen, sind selbst schuld. Wenn es der Durchschnittsbürger aber für sich ausmacht, bei Hemd und Nietenhose zu verharren, so werde ich ihm keinen Strick daraus drehen. Mache ich auch oft genug so.
Wenn es aber an die gehobene Schicht geht, um jene, die ihren Körper nicht zum Arbeiten und nicht einmal mehr zum Fortbewegen brauchen, weil sie im gepanzerten Wagen gefahren werden und nur durch die Flure gut klimatisierter Paläste wandeln, so stelle ich höhere Ansprüche an das optische Erscheinungsbild. Ansprüche, die oft genug nicht erfüllt werden, wie wir gleich feststellen werden.
Am Geld mangelt es nicht
Vorneweg: Ich habe selbst noch keinen Sakko, der wirklich sitzt. Bei jedem Stück findet sich die eine oder andere Falte, sei es am Rücken, unter den Achseln, oder gar in der Taille, die darauf hinweist, daß Sakko und Träger nicht perfekt zueinanderpassen. Vielleicht läßt sich das auch nur durch einen Maßanzug beheben. Oft genug messe ich einige meiner Stücke vor dem Spiegel und überlege selbstkritisch, ob das noch vorzeigbar ist, oder ich mich nicht doch lieber davon trennen sollte.
Und dann sehe ich Fotos von BRD-Politikern, ganz wie das oben angegebene, und denke mir, daß anscheinend kein Anlaß zu solcher Selbstkritik besteht, wenn auch die Führung des Landes es nicht besser hinbekommt.
Da frägt man sich doch, wie das sein kann. Wir reden hier von Leuten, die 16.000€ im Monat verdienen; die sich Visagisten für 137.000€ halten, oder auch Fotographen für 350.000€. Man sollte doch meinen, daß eingedenk dieser Spendierhosen noch Geld für eine vernünftige Garderobe übrigbleibt? Denn auch der beste Fotograph kann kein gutes Foto machen, wenn das Motiv nichts taugt.
Was für ein Erscheinungsbild!
Stattdessen sieht man auf dem Gruppenfoto Sakkos, deren Schöße zu kurz sind, während die Hände in den Ärmeln versinken. Man kann sich nur wundern, wie irgend jemand, selbst bei völliger Ahnungslosigkeit, zu dem Ergebnis kommen kann, daß dieses Sakko paßt. Man merkt doch beim Anprobieren, daß hier etwas nicht stimmt, selbst wenn man von Taillierung nie gehört hat.
Und dann sieht man da noch ganz andere Mißverhältnisse. Mal ist das Sakko so eng geknöpft, daß es an ein OP-Abdecktuch erinnert, in das der Chirurg gleich sein Skalpell rammt; dann wieder ist die Brust zu weit und beult ebendort. Kaum ein Anzug paßt, wie er passen soll, schon gar nicht, wenn man die Hosen beachtet. Denn auch diese sollen faltenfrei fallen.
Man muß Scholz zugutehalten, daß immerhin er von der Einheitsuniform des Politikers abweicht und etwas trägt, was ich in Sachen Paßform und Tuch durchaus ansprechend finde. Die Hosen wären mir zu eng, aber der Sakko ist hübsch.
Der König in Jogginghosen
Diese Kritik mag in Zeiten von Jogginghosen und Kapuzenpullovern kleinkariert, ja snobistisch klingen, aber ich bin der Ansicht, daß ich von den Repräsentanten meiner Nation – ob ich nun überhaupt von ihnen repräsentiert werden will oder nicht – erwarten darf, daß sie das auch optisch tun. Daß sie optisch nicht unter mir stehen, sondern das beste aus ihrer Erscheinung machen, das möglich ist. Daß sie ein gutes Licht auf das Land werfen.
Denn als Repräsentaten haben sie eine Verpflichtung gegenüber denen, die sie repräsentieren. Sie gehören nicht mehr nur sich ganz allein und können daher nicht alles tun, was sie wollen. Wer damit nicht klarkommt, soll einen anderen Lebensweg einschlagen als den des Politikers. Man kann nicht alles haben – auch wenn das heute jeder zu glauben scheint.
Man kann keine repräsentative Position ausüben und in verwahrlosten Schlabberklamotten durch die Gegend laufen. Es hat seinen Grund, daß Könige und Kaiser sich in Ornat aus Hermelin und Samt hüllten: Ihr Amt erhält durch diese optische Entrückung einen sakralen Aspekt, der Respekt erzeugt. Nicht jeder Hergelaufene kann sich so kleiden, und zu Zeiten Ludwigs XIV. war sogar reglementiert, wer Silber- und Goldstickereien an seiner Kleidung tragen durfte – damit niemand dem König Konkurrenz macht. Das Repräsentative erhält seinen Wert nur dadurch, daß es aus der Masse heraussticht. Deshalb die Schlösser und Paläste, deshalb das Gold und die Edelsteine. Denn wer würde einem Monarchen mit Ehrfurcht begegnen, der in Jogginghosen herumläuft und in einer Mietwohnung von drei Zimmern haust?
Durch die Optik das Volk vertreten
Ganz ähnlich verhält es sich bei modernen Abgeordneten. Sicher: Diese repräsentieren den Souverän nur als Volksvertreter, im Gegensatz zum König, der ihn verkörpert, sollen sich also hüten, in einer pompösen Hermelinrobe vor das Volk zu treten.
Aber ich denke, man kann auch von ihnen durchaus erwarten, daß sie sich nicht völlig gehen lassen, sondern Achtsamkeit auf eine ordentliche Erscheinung legen. Sonst sollte man vielleicht die Plenarsäle dem Erscheinungsbild des Plenums anpassen und vom klassizistischen Palast in die nächstbeste Turnhalle verlegen.
Politiker werden bezahlt, um zu repräsentieren, und dazu gehört es auch, optisch besser zu sein als der Durchschnitt. Und das ist nicht getan, indem man sich den erstbesten Anzug anzieht, weil dieser – bedauerlicherweise – im Bürgertum nicht mehr getragen wird und daher schon durch seinen bloßen Schnitt etwas Elitäres an sich hat. Nein, er sollte schon auch passen.
Und davon sind die Politiker auf besagtem Foto weit entfernt.
Eine Gesellschaft des Verfalls
Man frägt sich, warum man sich bei deren Gehalt nicht einfach einen Maßanzug schneidern läßt. Die Kröten, die das kostet, sind doch Erdnüsse angesichts der Diäten. Und will man nicht immerhin halbwegs bequem eingekleidet sein?
Nun mag mancher einwenden, daß man vom gut sitzenden Anzug ja gar nichts wissen könne, weil man kein Vorbild hat. Das mag immerhin zum Teil stimmen, aber es entwickelt sich von ganz allein ein Verständnis für Dinge, denen man auch nur einen Bruchteil seiner Aufmerksamkeit schenkt. Selbst ohne Vorbild merkt man durch eigene Erfahrung, was besser paßt und was nicht, und tastet sich sukzessive in eine bestimmte Richtung. Unschuldiges Unwissen, das sich gleichwohl achtsam bemüht, erscheint mir nicht plausibel bei Leuten, die seit Jahren Anzug tragen und dabei stets dieselben Fehler machen.
Schenkt man der Garderobe womöglich gar keine Beachtung? Will man womöglich keine Energie in sein Äußeres investieren? Fühlt man sich nicht länger bemüßigt, seriös aufzutreten? Ist man so bequem, daß man tut, wie einem ist, weil Konsequenzen im Zeitalter krankhafter Toleranz ohnehin nicht zu fürchten sind? Weil sich niemand angewidert abwendet ob dieser optischen Beleidigung, die schon das Aussehen bietet? Und paßt das nicht hervorragend in unsere Zeit, der ohnehin schon längst jede Ästhetik verlustig ging, deutlich sichtbar nicht nur in der Mode, sondern auch in der Architektur? (Dem geneigten Leser wird aufgefallen sein, daß es hier längst nicht mehr nur um Politiker geht.)
Früher sahen Männer noch Ehrwürdig aus
Ist es Zufall, daß so gern mit Bildern aus vergangenen Tagen geworben wird? Seien es die Tage der Schwarzweißfotographien, als Männer noch Dreiteiler und Hüte trugen, oder noch wesentlich ältere Bilder, bis hin zu den Tagen des Barock mit Kniestrümpfen und Allongeperücken. Obwohl der dort gezeigte Stil nicht länger gelebt wird, heute bisweilen undenkbar ist, sieht doch jeder, daß er ansprechender ist als der heutige: Nobles und Ehrwürdiges wird mit jenen alten Tagen verbunden.
Natürlich ist das kein Zufall, und der Grund ist auch ein ganz einfacher: Weil sich der Träger Mühe gegeben hat, so auszusehen, und nicht nur kurz die Jogginghose überstreife, für die es nicht einmal eines Gürtels bedarf.
Leute durch das Bewerbungsgespräch rasseln zu lassen, weil sie im Schlafanzug kommen, halte ich für gerechtfertigt, ja, für erstrebenswert. Denn der Teil der Persönlichkeit, der so nachlässig und faul ist, sich nicht einmal um einen guten Eindruck zu bemühen, wenn es wirklich nötig ist, wirkt auch in allen anderen Situationen fort. Der erste Eindruck zählt eben doch.
Daß die gesamte Gesellschaft so nachlässig geworden ist, daß man heute praktisch alles tragen kann, ohne anzuecken, ist auch nicht gerade schmeichelhaft für unsere Zeit. Es impliziert, daß es nichts mehr gibt, in das man Mühen investiert; es ist Ausdruck einer Konsumgesellschaft, die selbst Beziehungen zum Wegwerfprodukt herabwürdigt. Wollen wir das? Wollen wir so leben?
Rechte retten die Kultur
Jeder fühlt, daß mit der Moderne etwas nicht stimmt. Konsequenzen will daraus gleichwohl niemand ziehen. Ist es die Feigheit, sich ein eigenes Urteil anzumaßen, wenn die ganze Gesellschaft gegen einen ist? Ist man zu bequem, etwas an den Dingen zu ändern, in die man hineingewachsen ist, gleich, wie fehlerhaft sie auch sein mögen? Wagt man nicht aus der Menge herauszustechen? Oder ist es gar noch schlimmer, und völliges Desinteresse ist der Grund, der die Leute am Handeln hindert?
Ist eine solche Geisteshaltung legitim? Läßt sich darauf eine funktionierende Gesellschaft errichten? Haben sich unsere Altvorderen dafür geschunden? Würden sie den modernen Geist billigen?
Und werden unsere Enkel dereinst mit derselben Ehrfurcht auf Fotographien ihrer Großväter blicken, wie wir es taten? Werden sie darüber hinwegsehen, daß statt würdevollen Anzügen ein ewig Kind gebliebener Graubart in zerrissenen Jeans und buntem Leibchen zu sehen ist?
Oder sollten nicht vielmehr gerade wir Rechte zu dem zurückkehren, was sich durch Qualität auszeichnet? Wir nehmen für uns ein Leistungsdenken in Anspruch, stählen unsere Körper und schätzen einen gebildeten Geist. Während bei Linken nahezu alles toleriert wird und auch das Niederste noch gut genug ist, zeichnet sich die Rechte insbesondere durch ihre hochstrebende Geisteshaltung aus. Sollte nicht auch unsere Garderobe Ausdruck dieser Gesittung sein?
Sollten wir nicht auch in der Mode das vorleben, was anderen zum Vorbild dienen kann und sie damit für uns einnehmen? Sollten wir beim Kleiderkauf nicht vorgehen wie beim Aufbau unserer Weltanschauung und uns nicht rein ökonomischen Gesichtspunkten unterwerfen, um das Billigste zu fördern, sondern Acht geben auf unsere Sehnsucht nach dem Wahren, Guten und Schönen?
Und sei es nur, damit Aufnahmen von dir und deiner Gang später so aussehen: