Als der Schattenmacher vor einigen Monaten sein Video zu liminalen Räumen hochlud, traf das für mich einen Nerv. Nicht unbedingt das Hauptthema, sondern eine ketzerische Frage, die im Hinblick auf die moderne Designkultur oder vielmehr Unkultur gestellt wurde. Wer hat eigentlich entschieden, dass allerlei bauliche und funktionale Einrichtungen des Lebens (Deckenkacheln, Bushaltestellen, Mülleimer, Lichtschalter, Türgriffe) so aussehen müssen, wie sie aussehen: kalt, funktional, hoch prozessiert, anti-ästhetisch. Der weiterführende Gedanke traf mich dann direkt, dass dies nicht nur auf die Architektur und bauliche Raumausstattung zutrifft, sondern sich ebenso in alle Lebensbereiche hinein gefressen und jede Art von Gebrauchsgegenstand vereinnahmt hat. Das war für mich keine grundsätzlich neue Beobachtung, nur braucht man hin und wieder diesen äußeren Denkanstoß, um die vielen Einzeleindrücke in einem größeren Kontext zu sehen und ein Muster zu erkennen.
Man könnte dieses Phänomen als Anti-Ästhetik bezeichnen. Es spielt sich nicht auf einer Skala des Schönen und des bewussten oder fahrlässig Hässlichen ab. Modernes Funktionsdesign ist selten explizit hässlich. Manchmal trifft es sogar den Nerv klassischer Schlichtheit. Primär ist es vor allem eines: funktional. Es entzieht sich der Ästhetik als Kategorie. Seine Eigenschaften sind Funktionalität, Austauschbarkeit und Unauffälligkeit. Und das ist das schleichend Giftige an ihr. Ohne das dies bewusst und explizit entschieden oder gewollt worden wäre, breitet sie sich langsam aus und ersetzt fast unmerklich das Schöne in der Welt durch das rein Praktische.
Anti-Ästhetik beginnt bei den alltäglichen Dingen
Wurde zum Beispiel ein anti-ästhetisches Funktionshaus in unsere Nachbarschaft gebaut, können wir daran erst einmal nichts ändern. Wir stören uns vielleicht regelmäßig daran, dass es da ist, aber als etwas Äußeres ist es uns dann auch bewusst. Dabei sind wir in unserem täglichen Leben von so viel mehr anti-ästhetischer Funktionalität umgeben. Die Gegenstände, auf die wir alltäglich starren, die wir täglich benutzen und die sogar jederzeit ausgetauscht werden könnten, aber nicht werden, sind uns häufig so selbstverständlich, dass wir ihnen sehr viel gleichgültiger begegnen. Dabei verbringen wir mit ihnen weitaus mehr Zeit als in globalistisch rationalisierten Innenstädten. Noch vor der Architektur sollte man sich daher fragen, ob man nicht schon im eigenen Haushalt damit anfangen kann, sich mit mehr Schönheit zu umgeben.
Diese Frage stellte sich mir dann auch wieder ganz praktisch,als ein weiteres Stück meiner schwindenden Porzellanteller zu Bruch ging und damit einer Reihe von Gedecken folgte, die aus Tollpatschigkeit oder den schlichten jahrzehntelangen Gebrauchs wegen den Weg alles irdischen gegangen waren. Es war Zeit, Geld in die Hand zu nehmen und den Geschirrschrank wieder aufzufüllen. Im Grunde muss Geschirr nicht viel können. Es muss nur geeignet sein, das Essen aufzunehmen, ausreichend groß sein für eine vernünftige Portionsgröße und sollte sich einfach reinigen lassen, weshalb heutzutage auch Spülmaschinentauglichkeit sicher eine Rolle spielt. Der erste Durchschnittsreaktion wäre also gewesen, zum örtlichen größeren Supermarkt mit Haushaltswaren-Abteilung oder zum nahen Möbelhaus zu gehen und sich dort für ein paar Euro das Stück mit irgendwas einzudecken, das praktisch, funktional und kostengünstig ist. So machen das viele und deshalb sind Schränke in der ganzen Republik mit unendlichen Variationen blanker Funktionsteller angefüllt, häufig weiß manchmal auch in gedeckten Farben. Für mich kam das nicht in Frage.
Wertiges wird weitergegeben
Seit ich denken kann, esse ich von schmucken Porzellan. Das hatte keinen besonderen Grund, der in Eitelkeit oder überschießendem Wohlstand begründet gewesen wäre. Die Teller waren halt da. Als meine Eltern nach dem Ende der DDR einen eigenen Hausstand gründeten, wurde der Hausrat für die neue Familie primär aus dem zusammengewürfelt, was Freunde und Familie bereitstellen konnten. Von den Großeltern gab es ein Service mit dem klassischen blauen Zwiebelmuster. Eine Reihe großer Essteller, Suppenteller, Frühstücksteller, eine größere und eine kleinere Schale, Teekanne, Zuckerdose und wohl noch einige Stücke, die ich nie kennengelernt habe, weil meine Eltern wiederum die Teile, für die sie nicht unmittelbar selbst Verwendung hatten, an die anderen Großeltern weiterreichten. Und dazu kamen eben noch andere einzelne Teller oder Gefäße, die dann die bunte Mischung komplett machten. Der Besteckkasten sah dann ähnlich zusammengestückelt aus. Aber für die schwierige Zeit direkt nach dem Mauerfall kein schlechter Start für eine junge Familie. Ich bevorzugte schon als Kind die Teile mit dem zeitlosen blauen Muster gegenüber den schmucklosen Stücken oder den lustigen Tellern mit aufgemalten Dinos, mit denen mir meine Mutter eine Freude machen wollte.
Als ich zuhause auszog und selbst eine Ausstattung für eine Wohnung brauchte, machten meine Eltern das, was man mit schönen Dingen in Familienbesitz tut: man gibt sie weiter. Ich übernahm den Teil des Porzellans, der die vergangenen Jahre überstanden hatte. In dem Fall war das für meine Mutter keine schwere Trennung. Ich denke, jeder jüngere Rechte ist mit dem Phänomen von Normie-Eltern vertraut und sie bildete da keine Ausnahme und ersetzte die abgegebenen alten Teile, die sie ohnehin als altmodisch und langweilig empfand, durch das Modegeschirr eines schwedischen Möbelhauses.
Ein gut gedeckter Tisch macht Freude
Für mich war wie gesagt nie der Wert des Porzellans das Entscheidende. Wertvoll in monetärer Hinsicht war es vermutlich ohnehin nie, da es keine Stempel oder sonstige Erkennungszeichen aufwies, die es als Produkt einer bestimmten Manufaktur hätten ausweisen können. Vollständig war es ebenfalls nie. Für mich war das Entscheidende immer die wertige Beständigkeit und vor allem, dass es schön anzusehen war, wenn ich damit einen Tisch deckte oder schlicht davon essen konnte. Wir nehmen täglich bis zu drei Mahlzeiten ein, davon wenigstens eine Große und verbringen damit einen guten Teil unseres täglichen Lebens vor Geschirr sitzend mit Besteck in der Hand. Warum also sollte das, was wir täglich verwenden, dann nicht auch schön und edel aussehen? Früher bewahrte man das gute Porzellan natürlich auch als Gedecke für besondere Anlässe und größere Feste auf. In meiner Jugend feierten wir regelmäßig zu runden Geburtstagen oder bei allen möglichen Anlässen wie Geburten, Jugendweihen oder Trauerfeiern noch im erweiterten Familienkreis mit zum Teil 30 bis 50 Verwandten. Seitdem sind die Anlässe, das gute Geschirr aus dem Schrank zu holen, immer seltener, die Verwandtschaft immer verstreuter und weniger geworden.
Einen schönen Teller kann man auch dann wertschätzen, wenn man ihn regelmäßig benutzt. Mir geht das zumindest so. Ein schöner, verzierter Teller weckt bei mir ein Gefühl von Heimeligkeit. Es ist toll davon zu essen und er erinnert nicht ständig an (Schul)Kantinen, Raststätten oder Krankenhäuser, wo es um Nahrungsaufnahme aber nicht um Genuss geht. Deshalb war ich auch jedes Mal tief betrübt, wenn ein Stück zu Bruch ging, was sich bei regelmäßiger Nutzung natürlich nie ausschließen lässt, selbst wenn man sorgsam damit umgeht. Vor allem schätzt man sie mehr wert als den billigen Schweden-Teller. Zerbricht der, ist es zwar auch ärgerlich, aber für ein paar Euro hat man schnell ein identisches Stück im Schrank stehen. Im Fall der Zwiebelmuster-Teller war es nicht nur ihr Alter, sondern da unklar war, von welcher Firma und aus welcher Produktionsreihe die Teller stammten, waren sie auch praktisch nicht zu ersetzen.
Porzellan als Statement
Da sich aber nun die Notwendigkeit zeigte, ohnehin neue Teller anzuschaffen, stand ich vor der Wahl, was ich nehmen sollte. Viele Porzellan-Hersteller haben sich vor allem auf ein Nobel-Segment verlegt, beliefern also wohlhabende Privatleute mit teuren Einzelstücken oder produzieren wertiges Geschirr für Hotels und Gastronomien. Die Entwicklung ist verständlich, da Porzellan, noch dazu in klassischem Design, als bieder und spießig gilt. Darauf sollte man nicht viel geben. Heutzutage gilt alles schon als Kitsch, das überhaupt noch einen klassischen ästhetischen Anspruch erhebt. Ein bürgerliches Massengeschäft, wie vor einigen Jahrzehnten, ist so aber nicht mehr zu machen und so scheint die Suche nach anderen Zielgruppen für die Manufakturen nur allzu verständlich.
Das Porzellan hat größtenteils als Bürgertums-Marotte ausgedient. Wie für Normies üblich orientiert man sich auch hier an den gängigen Trends. Klassisch gestaltetes Porzellan passt nicht mehr in die loftartig offene Küchen-Wohnzimmer-Amalgation moderner Wohnkonzepte. Hier finden eher übergroße Teller, in schlichtem Funktionsdesign, ergonomisch oder fließend geformt, Verwendung. Das bedeutet aber auch: Wer heute klassisches Porzellan benutzt, setzt gewissermaßen auch ein Statement. Es ist längst nicht mehr nur ein geistloser Klassenfetisch sondern eine bewusste ästhetische Wahl. Und das muss nicht teuer sein.
Schaut man, anders als die Don Alphonsos dieser Welt, nicht nur auf den antiquarischen Wert oder eine mögliche Preisentwicklung, die ein Stück einer namhaften Manufaktur vielleicht in einigen Jahrzehnten haben könnte, kann man auch als Normalbürger an ein edel aussehendes Service kommen. Da reden wir noch gar nicht nur von Haushaltsauflösungen, wo die Enkel den lang gehüteten Hausrat der Großeltern für ein paar Euros verramschen oder Flohmärkten (sofern man nicht an professionelle Abzock-Händler gerät) wo man Schätze wie gut gepflegte Services zum Teil weitestgehend vollständig und praktisch kaum benutzt, finden kann. Denn noch immer wird man auch bei Manufakturen fündig.
Ästhetik muss kein Luxus sein
Man muss allerdings gewisse Abstriche hinnehmen können. Zwiebelmuster zum Beispiel stellen kein standardisiertes Design dar. Jede Manufaktur hat da ein eigenes Muster und betont bestimmte Aspekte anders. In meinem Fall wollte ich eigentlich einen Ersatz für die verloren gegangenen Teller haben und daher Porzellan eines Herstellers haben, das dem Muster sehr nahe kommt. Die Manufaktur Meißen (ja das berühmte Meißener Porzellan wird nach wie vor hergestellt) oder Hutschenreuther aus Bayern hätten Designs gehabt, die dem sehr nahe gekommen wären, aber als ich die Preise zwischen 70€ und 140€ für EINEN Teller gesehen habe, bin ich fast vom Stuhl gekippt. Deshalb wanderte mein Blick nach Thüringen.
Die AfD hat mit ihren Erfolgen in Thüringen immer wieder Schlagzeilen gemacht. Sei es die Zustimmung der CDU zu einem Antrag oder die Landratswahl in Sonneberg. Anders als zuvor bei wichtigen Oberbürgermeister-Wahlen wie in Görlitz war es hier nicht mehr möglich mit einer Altparteien-Einheitsfront den Kandidaten Robert Sesselmann der AfD zu verhindern. Der ohnmächtige Hass, der sich auf den Landkreis und dessen Bewohner daraufhin entlud, war ein weiteres amüsantes und zugleich entlarvendes Eskalationsspektakel. Selbsternannte Demokraten, die den Boykott eines ganzen Landkreises fordern, weil ihnen das Ergebnis einer demokratischen Wahl nicht recht ist. Aber angesichts „unverzeihlicher“ und „rückgängig“ zu machender Landtagswahlen auch schon kein Novum mehr. Und das kann im Vorzeige-Land erfolgreicher AfD-Fraktionsarbeit künftig noch öfter passieren.
Schönes aus Thüringen
Warum also nicht demonstrativ die regionale Wirtschaft unterstützen? Jenseits des Landkreises Sonneberg, südlich von Jena, liegt das schöne Örtchen Kahla mit seiner malerischen Altstadt eingeschmiegt in einen Bogen der Saale. Und dort hat auch die nach dem Ort benannte Porzellanmanufaktur ihren Sitz. Das Schöne ist, dass man bei Porzellan in der Regel weiß, woher es kommt, wo es produziert wird und dass es sich dabei in der Regel um mittelständische Unternehmen handelt. Ein Einkauf unterstützt damit direkt heimische Traditionsunternehmen und Arbeitsplätze. Kahla dürfte einigen sicher noch aus DDR-Zeiten ein Begriff sein, allerdings hat sich das Unternehmen ebenfalls erfolgreich über die Wende hinaus erhalten, war jedoch während der Corona-Pandemie in wirtschaftliche Schieflage und Insolvenz geraten, die zu meinem Glück erst einmal abgewendet werden konnte.
Hier wurde ich dann auch fündig. Zwar ist das traditionelle Kahlaer Zwiebelmuster recht weit von dem meines alten Porzellans entfernt, aber nicht weniger schön anzusehen mit seinem kräftigen Blauton. Beim Unternehmen findet man aber auch zeitgenössische und schöne moderne Designs. Zu wessen Stil klassisches Porzellan doch nicht so recht passt (das ist schließlich völlig in Ordnung, solange man überhaupt ästhetische Ansprüche stellt), der kann hier trotzdem fündig werden. Und das wie schon zu alten VEB Zeiten zu einem guten und akzeptablen Preis. Ein einzelner Teller ist hier schon für etwas zwischen 15€ und 20€ zu haben. Im Service natürlich auf den Stückpreis deutlich günstiger. Das ist freilich immer noch kein Vergleich zu Discounter-Haushaltskeramik, aber dafür erhält man hier ein wertiges, ästhetisches Stück Essgeschirr, dessen Herkunft man kennt und an dem man auch lange Jahre seine Freude haben wird. Hier ein wenig mehr Geld in die Hand zu nehmen ist sicher zu verschmerzen.
Porzellan ist regional und heimatverbunden
Und Kahla zeigt auch bewusst die regionale und heimatliche Verwurzelung. Als ich das doppelt gepackte und ordentlich mit Kartonschnipseln ausgestopfte und damit optimal versandgesicherte Paket auspackte, fiel mir neben einem netten Brief der Manufaktur (Standardbrief natürlich, aber eine Aufmerksamkeit, die ich schon als Kunde des Antaios Verlags sehr schätze und die eben nicht selbstverständlich ist) dann auch eine kleine Broschüre in die Hand, die die Stadt Kahla, die umliegende Natur und örtliche Sehenswürdigkeiten vorstellte. Eine nette Dreingabe, die gleich ein wenig Lust auf eine Reise nach Thüringen im kommenden Frühling macht.
Das neue Geschirr, sechs Ess- und sechs Suppenteller, haben sich schon jetzt zu mancher Mahlzeit bewährt und erfreuen auch mein Auge, wenn ich nur allein davon esse, aber besonders wenn ich den Tisch damit eindecke. Die Lust, Freunde zum Essen einzuladen, hat damit auch gleich noch einmal zugenommen. Ginge es allein um den praktischen Nutzen, könnten wir unser Essen auch aus Näpfen oder Plastikgeschirr zu uns nehmen, doch um sich wohlzufühlen, gehört eine gemütliche und schöne Atmosphäre und eben das richtige Geschirr auch dazu.
Für eine Ästhetitisierung des Alltäglichen
Dadurch ist mir auch noch einmal bewusst geworden, wie wichtig es ist, der um sich greifenden funktionalen Hässlichkeit oder viel mehr Anti-Ästhetik auch im Kleinen zu begegnen. Wir können erst zu einer Welt der Schönheit im Großen, wie zum Beispiel in der Architektur oder der darstellenden Kunst, zurückfinden, wenn wir wieder damit beginnen, Ansprüche an die Ästhetik des Alltäglichen zu stellen.