Jeder kennt die Geschichte von Siegfried von Xanten, dem Drachentöter, denn sie wurde bereits unzählige Male wiedergegeben. Doch wer kennt die Legende von Dietrich von Bern, der am Ende des Nibelungenliedes auftritt? Wer war dieser Berner, dessen Anwesenheit allein ausreichte, um den mächtigen Krieger Hagen von Tronje einzuschüchtern?
Die unbesungene Nr. 2 der deutschen Heldensaga
Laut der Sage wurde Dietrich in der Stadt Bern, dem heutigen Verona, geboren und war der erstgeborene Sohn des Gotenkönigs Dietmar, der aus dem Amelungengeschlecht (Amaler) stammt.
Schon früh zeigte sich, dass Dietrich ein ungestümer Jüngling mit gewaltigen Kräften war, der damit jedoch nicht umzugehen wusste. In seiner Not rief König Dietmar den erfahrenen Ritter Hildebrand zu seinem Hof, der den ungestümen Dietrich unter seine Fittiche nehmen sollte. Hildebrand folgte der Bitte und es begann für Dietrich eine jahrelange, beinharte Ausbildung unter der eisernen Hand seines Waffenmeisters, der den Jüngling lehrte, seine Kräfte zu zügeln und richtig einzusetzen.
Als Dietrich endlich die Volljährigkeit erreichte, begann er mit seinem Meister auf Abenteuerreise zu gehen, um sich einen Namen zu machen. Er vollbrachte große Heldentaten, schlug gewaltige Feinde nieder, sammelte Gefährten um sich und schloss viele Freundschaften, vor allem mit mächtigen Herrschern wie Etzel dem Hunnenkönig, aber auch mit den sagenhaften Bewohnern aus der Alten Welt, wie Laurin dem Zwergenkönig.
Man kann sagen, die Saga um Dietrich bestand nicht aus einer einzigen großen Heldentat, wie bei Siegfried mit dem Drachen, sondern aus zahllosen kleineren Heldentaten, die ihn zu so einer großen Heldengestalt gemacht haben. Leider erfährt Dietrich nicht dieselbe Popularität, wie sie Siegfried bekam. Seine Geschichte wird hauptsächlich in Büchern weitererzählt und in den meisten Nibelungenverfilmungen ist seine Rolle minimal oder wird komplett ausgelassen.
Deswegen ist die Graphic Novel eine wunderbare Abwechslung, doch leider eine Einzigartigkeit.
Die deutsche Comicszene, ein unterschätztes Medium
Wenn man an deutsche Comics denkt, was kommt einem als erstes in den Sinn? Natürlich die Fix-und-Foxi-Reihe, die man heute mitleidsvoll belächelt im Angesicht von Namen wie Marvel, DC und Disney, wie auch den frankobelgischen Comics oder den japanischen Mangas.
Dabei gibt es keinen Grund auf die Fix-und-Foxie-Reihe herabzublicken. Als sie in dem 50er-Jahre vom Kauka-Verlag veröffentlicht wurden, löste dies, trotz Widerstand der Bundesregierung, für die Comics nichts anderes als „Schmuddelhefte“ waren, einen wahren Comicboom in Deutschland aus. In ihren besten Zeiten lag die Auflage bei 400.000 verkauften Exemplaren in der Woche. Außerdem war die Comicreihe im Ausland sehr beliebt und brachte dem Erfinder, Rolf Kauka, den Ruf ein Deutschlands Walt Disney zu sein, zu welchem er eine Freundschaft pflegte.
Im Zuge wurden weitere Comicverlage gegründet, ausländische Comics wurden ins Deutsche übersetzt und gaben einheimische Comiczeichner die Chance, ihre eigenen Ideen umzusetzen und sich einen Namen zu machen. Wie auch Peter Wiechmann, der langjährige Chefredakteur vom Kauka-Verlag, der unter anderem mithalf Lucky Luke, Asterix, Tim und Struppi, Spirou und Fantasio ins Deutsche zu übersetzten, aber auch eigene Comics kreierte wie Thomas der Trommler, Bens Bande, Hombre, Andrax oder Captain Terror.
Im Jahr 1981 bis `83 brachte Wiechman, zusammen mit seinem Partner, dem spanischen Comickünstler Raphael Mendez, die Abenteuer von Dietrich von Bern heraus, die in der Fix-und-Foxi-Extra-Sonderheftreihe veröffentlicht wurde.
Einzigartiger Zeichenstil und große Erzählung
Wer die früheren Arbeiten von Wiechmann und Mendez kennt, sieht sofort, dass es sich hier um ein künstlerisches Meisterwerk handelt mit einem einzigartigen Zeichenstil, der sich von der breiten Masse abhebt. Die Figuren wirken lebendig, die Landschaft real und die Kämpfe geradezu echt. Man sieht, wie viel Leidenschaft und Herzblut in dieses Projekt geflossen ist.
Die Geschichten befassen sich um die wichtigsten Etappen aus Dietrichs Leben:
- Seine Ausbildung unter seinem Meister Hildebrand.
- Seinen ersten Kampf gegen das Riesenpaar und die Erlangung von Nagelring und Hildegrim.
- Seine Freundschaft mit Heime und Wittich.
- Seinen ersten Krieg auf der Seite von Etzel gegen den polnischen Kriegshäuptling Osanterix.
- Die Rettung von Wittich aus Osanterix Gefangenschaft.
- Der Streit zwischen Wittich und Heime um das Schwert Mimung, worauf Dietrich sein Schwert Nagelring an Wittich verschenkt.
- Dietrich Kampf gegen den Riesen Ecke und die Erlangung von Ecksachs.
- Sein Abenteuer in König Laurins Rosengarten.
- Der Verrat seines Onkels Ermanarich und die Flucht aus seinem Königreich.
- Sein Exil am Hofe Etzel.
Leider haben es nicht alle Geschichten in den Comic geschafft: So fehlt unteranderen der Rosengarten von Worms und Königin Virginal von Tirol komplett und wichtige Ereignisse wie die Rabenschlacht, Alpharts Tod und das Nibelungenlied werden nur in einem Nachwort erwähnt. Dazu noch handelt es sich in den letzten beiden Kapiteln um eine hinzugedichtete Begegnung zwischen Dietrich und Merlin aus der Artus-Sage, die man, meiner Meinung nach, komplett hätte weglassen können.
Der deutschen Comicszene fehlt ein Markenzeichen
Tatsächlich gibt Wiechmanns und Mendez mit Dietrich von Bern der deutschen Comicszene das Markenzeichen, das sie so dringend braucht. Geschichten über Superhelden sind das persönliche Markenzeichen der US-Comicverlage. In den frankobelgischen Comics (z.B. Tim und Struppi, Spirou und Fantasio, Lucky Luke, oder Yuko Tsuno) geht es um ganz gewöhnliche Leute, die aber dann in ein fantastisches Abenteuer gestürzt werden. Oder bei den typisch japanischen Shounen-Mangas (Dragon Ball, Naruto, Bleach, One Piece usw.) beginnt die Geschichte mit einem extrem schwachen Niemand, der im Verlauf der Story immer stärker wird und am Ende gegen denn Oberbösewichten antritt.
Dementsprechend wäre es ein hervorragendes Markenzeichen für die deutsche Comicszene, sich auf die Abenteuer von Sagenfiguren zu konzentrieren, von denen es einige schon auf den Markt gibt. Wie die Comicserie Sigurd vom deutschen Comiczeichner Hans-Rudi Wäscher oder ROLAND, RITTER UNGESTÜM vom Belgier François Craenhals oder Prinz Eisenherz des Amerikaners Hal Foster, nur um ein paar Namen zu nennen.
Auf diese Weise könnte man z.B. das Hildebrandslied in Comicform nacherzählen. Gemacht hat es bis jetzt noch keiner.
Vergessen, wiedergefunden…..und leider vergriffen
Auch wenn die Arbeiten von Wiechmann und Mendez einzigartig waren, blieb ihnen ein großer Erfolg leider verwehrt. Endlich brachte im Jahr 2010 der Verlag Cross Cult eine Neuauflage der gesammelten Werke der beiden heraus: Thomas der Trommler, Hombre und Dietrich von Bern wurden allesamt, für eine begrenzte Auflage, als Hardcoverbücher auf den Markt zurückgebracht. Doch heute sind sie nur noch auf eBay oder Kleinanzeigen zu bekommen.
Dabei sei erwähnt, dass die Cover von Cross Cult generisch aussehen sind und nicht mit der Qualität des Inhalts mithalten können. In den Bänden findet man neben den Comicgeschichten auch zahlreiche Erzählungen über die damalige höfische Zeit, Hintergrundinfos über die Produktion, Interviews und einigen verworfenen Konzeptzeichnungen wieder.
Schlusswort
Ich mach es kurz: Dietrich von Bern ist die perfekte Begleitlektüre für Fans der Nibelungenverfilmungen; für all diejenigen, die auf der Suche nach klassischen Ritterabenteurer sind oder die Geschichten mögen, die mit „Es war einmal“ beginnen. Jede Seite des Werks habe ich genossen und war am Ende umso enttäuschter, wie unbekannt dieses einzigartige Meisterwerk deutscher Comic-Kunst eigentlich ist.
Jeder, der einmal über eine eigene Comicserie nachgedacht hat, die rechts und patriotisch erzählt werden soll und sich von der heutigen destruktiven linken Unkultur hervorhebt, dem kann ich die Comicwerke von Peter Wiechmann als Inspirationsquelle weiterempfehlen.