Das Bildungswesen unserer Zeit macht bekanntlich gar nichts richtig. So läßt die BRD inzwischen die literarischen Ergüsse von Anhängern der Klimareligion im Abitur diskutieren. Derweil fallen Persönlichkeiten, die sich wirklich um Deutschland verdient gemacht haben, in völlige Vergessenheit. Einer dieser Betrogenen ist August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, den meisten vermutlich nur noch als Dichter des Lieds der Deutschen bekannt, das auch der BRD als Nationalhymne dient – wiewohl man zusehends Abstand davon nimmt, auch nur die dritte Strophe zu singen.
Zwischen Kinderliedern und politischem Sprengstoff
Doch dieser Koloß des neunzehnten Jahrhunderts, gerade zur rechten Zeit geboren, um all die Umwälzungen dieser Zeit hautnah mitzuerleben, hat es verdient, genauer unter die Lupe genommen zu werden. So stammen einige der heute bekanntesten Kinderlieder aus Fallerslebens Feder.
„Alle Vögel sind schon da“, „Ein Männlein steht im Walde“, „Kuckuck, Kuckuck, ruft aus dem Wald“, „Der Kuckuck und der Esel“, „Wer hat die schönsten Schäfchen“ und „Winter ade“ – all diese Lieder wurden von ihm verfaßt.
Jeder kennt sie; jeder hat sie als Kind gesungen. Den Autor indes kennt kaum jemand, was möglicherweise auch gewollt ist. Denn Fallerslebens Leben und Werk sind voll Sprengstoff. Sprengstoff, der auch hundertfünfzig Jahre später in seiner Explosivität kaum nachgelassen hat: Zeitlebens trat Hoffmann für ein freies, geeintes Deutschland ein, und auch damals schon hatte man für solche Anliegen mit politischen Repressionen zu rechnen.
Eine Jugend in den Napoleonischen Kriegen
Hoffmann von Fallersleben wurde 1798 als Sohn eines Bürgermeisters geboren. Die Napoleonischen Kriege erlebte er so aus der naiven Perspektive eines Kindes. In seiner Autobiographie äußert er sich kaum negativ über die Besatzungszeit und lobt sogar die durch Napoleon eingeführten Neuerungen.
Daß diese später von den deutschen Fürsten zurückgenommen und dafür geheime Polizei und Zensur eingeführt wurden als Mittels zur „gänzlichen Unterdrückung der Wahrheit und jeder vaterländischen und freigesinnten Regung“, zündet in ihm den Funken politischen Bewußtseins. Vermutlich ist auch das Vorgehen gegen seine eigene Familie 1811 nicht ganz unschuldig daran, daß Hoffmann „von dieser Zeit an einen unauslöschlichen Haß gegen jede geheime Polizei behalten“ hatte.
Auffällig ziellos ist seine Studentenzeit: Er studiert praktisch einmal durch den ganzen Fächerkanon, um jedes Semester wieder etwas neues zu wählen. Von Theologie und Logik wechselt er zur klassischen Philologie und hört Kunstgeschichte, studiert in Göttingen, Jena und Bonn; mokiert sich über seinen Professor August Wilhelm Schlegel, weil dieser Goethe und Schiller immer als „mein unsterblicher Freund“ erwähnt; doch wahres Feuer fängt er erst im Alter vom 20 Jahren, als Jakob Grimm ihn in einem „herzlichen, liebevollen Ton“ frägt, ob ihm sein „Vaterland nicht näher“ liege, als Griechenland und Rom. Diese Zufallsbegegnung sollte prägend sein für Hoffmanns ganzes Leben, denn fortan widmete er sich den vaterländischen Studien, namentlich deutscher Sprache, Literatur- und Kunstgeschichte.
Begründer der deutschen Philologie
Zusammen mit den Gebrüdern Grimm, die heute nur noch für ihre Märchen bekannt sind und doch das noch heute umfassendste Wörterbuch zur deutschen Sprache verfaßt haben, kann man Hoffmann von Fallersleben als einen der Begründer der Germanistik bezeichnen: Angestellt in preußischen Staatsdiensten an der Zentralbibliothek in Breslau in Schlesien ist er einen großen Teil seines Lebens damit beschäftigt, die Literaturbestände deutscher Bibliotheken zu sichten und auf wissenschaftlich wertvolle Inhalte zu untersuchen. Denn viele Werke liegen zu dieser Zeit nur als Handschriften, sprich: Unikate vor, und können erst gedruckt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Ausflüchte und Beschwichtigungen verzögern Hoffmanns Aufstieg, bis ihm die Arbeit verleidet ist. In seiner Autobiographie beschwert er sich gar, überhaupt noch ernsthafte Verpflichtungen gegen die Zentralbibliothek Breslau zu haben, und sich nicht ganz seiner Leidenschaft widmen zu dürfen. Die vier bis sechs Stunden Bibliotheksdienst am Tag waren zu viel für den Dichter.
Ein Werk mit Folgen: Die Unpolitischen Lieder
In diese fast spießbürgerliche Zeit nun donnert 1840 mit lautem Krachen jenes lyrische Werk, das Hoffmanns Leben vollständig ändern sollte. Bislang vornehmlich Autor harmloser Liebeslieder, wendet er sein Schwert, getarnt als „Unpolitische Lieder“, nun gegen die Karlsbader Beschlüsse, die den Fürsten Garant sein sollten, im Sattel zu bleiben. In seiner typisch volksnahen Art schießt er gegen Zensur, Überwachung, geheime Polizei und Staatswillkür.
Auch Hoffmanns bekanntestes Lied, das Lied der Deutschen, das so melodisch anhebt mit „Deutschland, Deutschland über alles“, fällt in diese Epoche. Statt als Teil der Unpolitischen Lieder wurde es einzeln abgedruckt – wie es auch vielen anderen von Hoffmanns Liedern ging. Bei der Gesamtausgabe dieser in allen möglichen Zeitschriften, Tageszeitungen und Flugblättern erschienenen Gedichte darf man also wirklich von „gesammelten Werken“ sprechen.
Ernste Folgen hatte der zweite Teil der Unpolitischen Lieder, der Hoffmann 1841 bis in die höchsten Ebenen des Staates unbeliebt macht. Doch obwohl es geraten gewesen wäre, vor Gericht das Unschuldslamm zu mimen, widerrief der Dichter nichts und kroch nicht vor den Behörden. Stattdessen antwortete Hoffmann auf der reinen Sachebene, sich auf keine Interpretation seiner Lieder einzulassen. So spreche ein Dichter nicht notwendig „nur seine eigene Meinung“ aus, sondern vielmehr „die Stimmung der Zeit“.
Fallersleben verliert seine Professur
Doch daß ein Staat an der Kritik, die ihm entgegenschlägt, selbst schuld sein könnte, war für das absolutistische Preußen natürlich undenkbar. So wundert es wenig, daß die Lieder verboten wurden und Hoffmann seiner Professur enthoben. Selbstredend ohne Pension, wie man es bei einer Absetzung aus politischen Gründen erwartet.
Man darf gespannt sein, wie die freiheitlich demokratische BRD im Fall des Professors Michael Meyen urteilen wird, dessen berufliche Existent durch seine privaten Veröffentlichungen ähnlich gefährdet ist wie die Hoffmanns.
Die Staatswillkür gipfelte im Verbot des Verlages, der die Unpolitischen Lieder publiziert hatte. Der Verleger klagte dagegen, und zwar mit dem durchaus stichhaltigen Argument, die Unpolitischen Lieder seien von der Zensur überprüft und freigegeben worden.
Selbst wenn der Zensor also etwas zu großzügig gewesen wäre, und eine höhere Instanz die Freigabe wieder einkassiert: Dem Verleger dürfte man dafür wohl keinen Vorwurf machen! Er sollte im guten Glauben auf das ihm mitgeteilte Imprimatur das Werk verlegen können. Doch Pustekuchen: Der Verlag blieb verboten und das Ministerium ließ sich nicht einmal zu einer Begründung herab.
20 Jahre politisch verfolgt
Und auch bei der Entlassung Hoffmanns aus dem Staatsdienst blieb es freilich nicht – sie sollte nur der Anfang sein eines von ständiger Repression geprägten Lebens. Nicht nur blieb von einer Sammlung von hundert deutschen Liedern, die Hoffmann herausgeben wollte, nach der staatlichen Zensur nur ein kleiner Teil übrig – obwohl die Werke nicht einmal von Hoffmann selbst waren.
Auch als er 1843 seine Familie in Fallersleben besuchte, lungerten plötzlich Dragoner im Dorf herum. Hoffmann wurde die Lage so unheimlich, daß er bei Nacht und Neuschnee durch mehrere Hecken flüchtete und die hannoverschen Lande verließ.
„Diese Geschichte bildet den Anfang einer Reihe von Verfolgungen und Belästigungen, denen ich bis zum Jahre 1861, also fast zwanzig Jahre in meinem Geburtslande Hannover ausgesetzt war“, schreibt er in seinen Memoiren.
Die Gebrüder Grimm distanzieren sich
Auch Privatpersonen reagierten auf die staatliche Verfolgung: Am 26. Februar 1844 wird er ohne Angabe von Gründen aus Berlin ausgewiesen. Daraufhin veröffentlichen die Gebrüder Grimm, mit denen er erst zwei Tage zuvor den Geburtstag Wilhelm Grimms gefeiert hatte, einen Artikel in der Zeitung, Hoffmann sei ihnen ein „ungelegener Gast“ gewesen, der „alle Freude störte“.
Wie Hoffmann selbst zugibt, fühlte er sich durch diese Bloßstellung zweier Menschen, die er „so sehr liebte und verehrte“ verletzt. Er ging den Brüdern fürderhin aus dem Weg. Erst Jahrzehnte später wagte Hoffmann den Versuch einer Versöhnung, was ihm bei Jacob Grimm auch gelang. Derweil teilte ihm Wilhelm Grimm postalisch mit, lieber der alten Zeiten zu gedenken, als mit dem Hoffmann der Gegenwart zu verkehren.
Im Gegensatz zu den Grimms waren andere Bekannte Hoffmanns weder Manns genug, ihrem politisch verfolgten Freund beizustehen, noch so ehrlich, hart mit ihm zu brechen. „Die meisten nahmen Rücksicht auf befreundete hochgestellte Beamte oder geld- und einflußreiche Leute anderer Gesinnung. Man mied mich eben nicht, aber man suchte mich auch nicht. Niemand machte mir einen Gegenbesuch.“
Doch nicht alles sollte sich für Fallersleben zum schlechten wenden: Durch seine Lieder erlangte er auch eine große Beliebtheit bei Studenten, die ihm auf den zahlreichen Reisen dieser Jahre ihre Bewunderung aussprachen. Rudolf Müller nahm ihn auf seinem Landgut in Mecklenburg auf, wo sich Fallersleben ganz seinen Kinderliedern widmete, und Dr. Samuel Schnelle verhalf ihm zur mecklenburgischen Staatsbürgerschaft, um möglicher Anklagen Preußens vorzubeugen.
Die Märzrevolution – Aus Hoffnung wird Enttäuschung
Als der Biedermeier durch die Märzrevolution 1848 zerschlagen und der Spießbürger plötzlich politisch wurde, war Hoffmann begeistert, schickte sich doch die Welt „unzufrieden mit ihren alten Zuständen“, an, „neue, bessere zu erkämpfen“. Lange sollte dieses Feuer jedoch nicht brennen, bevor die Ernüchterung eintrat:
„Ich hatte genug von diesen gewaltigen Anstrengungen aller Parteien, alles in Verwirrung zu bringen, um schließlich weder für sich noch für das Vaterland etwas zu erreichen.“
„Meine Waffe war das Lied, und diese Waffe galt bei dem großen Haufen und seinen Führern, die nur mit roher Gewalt noch etwas auszurichten hofften, gar nichts mehr.“
Auch mußte er feststellen, daß der königliche Amnestieerlaß vom 20. März bezüglich aller wegen politischer oder durch die Presse verübter Vergehen für ihn anscheinend nicht galt: Sein Antrag auf Wiedereinsetzung wurde abgewiesen und am 11. Dezember wurde er sogar erneut Berlins verwiesen.
Man möchte sagen, daß für Hoffmann Im Jahr der Revolution ein privater Biedermeier begann: Er vermählte sich mit seiner Nichte Ida und hatte von da an nicht nur sich selbst, sondern einen ganzen Hausrat zu versorgen. Um auf eigenen Füßen zu stehen, sah er sich schließlich gezwungen, seine Privatbibliothek, die er über Jahrzehnte gesammelt und in der sich auch seltene Exemplare befanden, zu verkaufen. Der preußische Staat nutzte Hoffmanns Notlage schamlos aus:
„Ich war außer mir. Einem wohlhabenden, angesehenen, regierungsbeliebten und in seinen Augen anständigen Manne hätte der Herr Geheimrat so etwas nie zu bieten gewagt, aber einem gemaßregelten, verfolgten, endlich wieder amnestierten armen Teufel wie mir konnte er mit vergnügter Aussicht auf Erfolg einen solchen Spottpreis bieten.“
In seiner Not und weil kaum Aussicht auf einen anderen Käufer bestand, nahm er dieses Angebot schließlich zähneknirschend an.
Sein Kindheitstraum erfüllt sich
Erst 1860 konsolidierten sich Hoffmanns wirtschaftliche Verhältnisse, indem Victor I. Herzog von Ratibor ihn zu seinem Bibliothekar in Schloß Corvey ernannte.
Trotz seines Alters nahm Hoffmann an den politischen Ereignissen dieser Zeit Anteil und dichtete für die Soldaten im deutsch-französischen Krieg. „Ich müßte mich selbst aufgeben, wollte ich den Glauben an ein einiges freies Deutschland je verlieren.“ Am Ende seines ereignisreichen Lebens durfte der von rheumatischen Schmerzen und dem Tod vieler Freunde und insbesondere dem seiner geliebten Ida gebeutelte Hoffmann nochmals das Licht der Sonne auf sein Haupt scheinen sehen:
Am 18. Januar 1871 donnerten im Spiegelsaal von Versailles die Hochrufe auf Seine Majestät, Kaiser Wilhelm, und beendeten damit das jahrzehntelange Ringen um die deutsche Einheit.
Es wundert wenig, daß dieser Mann, der so viel erlebt, erduldet und auch erlitten hat, dem Tod gefaßt und furchtlos begegnete. Als er Januar 1874 mit plötzlich ertaubten Gliedern in seinem Arbeitszimmer zusammenbrach, meinte er zu seiner Schwägerin Alwine: „Weine nicht, es ist bloß ein Schlaganfall.“ Ein zweiter traf ihn einige Tage später, und beendete das Leben des Dichters am 19. Januar 1874 im Alter von 75 Jahren.
Er wurde neben seiner Ehefrau beigesetzt, in dem Grabhügel, den er selbst für sie auserkiesen hatte. Von seinen vier Kindern überlebte nur sein Sohn Franz Hoffmann das Kindesalter, um das Erbe des Vaters anzutreten.
Hoffmann als Dichter aller Deutschen
Über Hoffmanns Lyrik mag man denken, was man will. Kinder- und Volkslieder berauben ihn des elitären Nimbus, den etwa Wagner für sich geltend machen kann. Seine Autobiographie geht viel leichter von der Hand als Schillers Prosa. Hoffmann ist kein Dichter der elfenbeinenen Intelligenz, sondern des Volkstums. Sein Werk richtet sich nicht an eine auserlesene Elite, sondern an alle Deutschen.
„Meine ganze Poesie […] ist reine Lyrik und dazu rein deutsche und will auch weiter nichts sein, unzertrennlich vom Gesang…“
Gerade deshalb haftet sein Werk auch heute noch unverdorben im kollektiven Gedächtnis, während Goethe und Schiller zu leeren Namen geworden sind, die von der herrschenden Kaste ganz nach ihrem Willen mißbraucht und umgedeutet werden.
Niemand kann bestreiten, daß Hoffmann ein charakterstarker Mann war, der seine Überzeugungen niemals verriet. Das hat er mehrmals unter Beweis gestellt, und seine Integrität ist über jeden Zweifel erhaben. Selbst die Fotografien in hohem Alter zeigen einen Mann, dem der Schalk im Auge sitzt; dem all die politischen Repressionen nicht die Lebenslust verderben konnten, und der sich die Fröhlichkeit nie verbieten ließ.
Die Fortsetzung des Artikels erscheint in Kürze und widmet sich der Unpolitischen Lieder.