Wie konnte das passieren? Ein Film, produziert vom WDR im Jahr 2005, der dermaßen politisch inkorrekt ist und so schonungslos den Selbstbetrug unserer linksliberalen Eliten aufdeckt? Wohl nur, weil Regisseur Züli Aladağ aus der Türkei stammt und ihm damit ein größerer Spielraum des Sagbaren zusteht.
Linker Boomer trifft auf Kanake
Auf der einen Seite steht die deutsche Familie Laub: Modernes Haus mit Garten, weltoffen, pazifistisch, links. Als angehender Professor für Literatur ist Herr Laub ein Sinnbild für die Eliten in unserem Land. Er steht stellvertretend für die Generation der Babyboomer, mit dem Glauben, alle Konflikte gewaltfrei durch Gespräche lösen zu können. Doch wie soll er damit umgehen, wenn sich jemand nicht an die Regeln hält? Wenn jemand einfach dreist darauf beharrt, immer mehr für sich herauszunehmen? Dafür gibt es in seiner intellektuellen Parallelwelt keine Lösung.
Dies wird ihm zum Verhängnis, als sein Sohn auf den asozialen jugendlichen Türken Can (ausgesprochen Dschan) trifft, der eine kriminelle Jugendbande anführt und mit „Dope“ auf dem Pausenhof dealt. Mit Can spielt Oktay Özdemir die Rolle seines Lebens. Es gelingt ihm meisterhaft das darzustellen, was man unter dem Begriff „Kanake“ versteht und dabei den Puls der Zuschauer in die Höhe zu treiben. Abgerundet wird das Bild durch sein schmieriges Grinsen mit Zahnlücke, wodurch Can trotz seiner Dominanz der widerwärtige und hässliche Antagonist bleibt. Zwar ist Can in einer traditionellen türkischen Familie aufgewachsen, doch gehört er nun eine neuen migrantische Subkultur mit Rapmusik, Drogen und Alkohol an.
Sohn Felix als Opfer des Linksliberalismus
Schon in der ersten Szene darf Felix, der Sohn der Familie Laub, erfahren, was der real existierende Multikulturalismus bedeutet. Er wird auf dem Pausenhof von Can und seine Clique abgepasst, die ihm Drogen aufdrängen wollen. Einen Schnitt weiter sehen wir Felix barfuß nach Hause kommen. Seine nagelneuen Sportschuhe wurden ihm „abgezogen“. Da er sich nicht traut auszusprechen, was passiert ist, versucht er sich bei seinen Eltern herauszureden.
Felix ist ein schwacher, weicher Junge, er spielt Cello und interessiert sich für Rennfahren. Ohne Selbstbewusstsein und ohne Freunde ist er dem aggressiven Can hilflos ausgeliefert. Nun liegt es an Herrn Laub, seinem Sohn beizustehen und vor den Übergriffen zu schützen. Doch bereits bei der ersten Konfrontation mit Can kann sich Herr Laub nicht durchsetzen. Nach einem anfänglichen Überraschungsmoment wird seine Autorität untergraben, Can und seine Bande verspotten ihn und er muss erfolglos abziehen.
„Ihr habt mich falsch erzogen!“
Im Verlauf des Films erweist sich Herr Laub als der Gegenspieler von Can, während Felix zwischen den Fronten steht. Can versucht immer wieder, Felix auf seine Seite zu ziehen und gegen seinen Vater auszuspielen. So gibt er ihm nach Demütigungen immer wieder das Gefühl, doch noch dazuzugehören. Damit treibt er einen Keil zwischen Vater und Sohn. Gerade Felix, der unter dem eskalierenden Streit zu leiden hat und dabei schon mal einen Faustschlag ins Gesicht bekommt, würde gerne von Can akzeptiert werden und hasst seinen Vater, weil er sich nicht durchsetzen kann.
Damit steht Felix stellvertretend für eine Generation, die ohne Vorbilder aufgewachsen ist und deren Väter keine Familienoberhäupter mehr sind. Felix wirft seinem Vater vor, ihn falsch erzogen zu haben. Zeitgleich biedert er sich immer weiter der türkischen Jugendkultur an.
Can eskaliert immer weiter
Während wir Mitleid mit Felix verspüren, der Opfer des Linksliberalismus geworden ist, beobachten wir mit Genuss, wie Herr Laub auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt und mit den katastrophalen Folgen der Masseneinwanderung konfrontiert wird. Can wird immer aggressiver und dringt wiederholt in das Haus der Familie Laub ein.
Doch das ist nicht die einzige Krise des Vaters. Zeitgleich zerbricht ein weiteres linkes Traumgebilde: Die offene Beziehung, die er mit seiner Frau führt. Can kommentiert es höhnisch: „Du hast dein scheiß viel Geld, scheiß geile Frau, scheiß großes Haus, aber du hast keine Ehre.“ Für ihn ist die Sache klar: Laub ist ein „Opfer“, das „keine Ehre“ hat, eine „Schwuchtel“ und kein Mann. Als auch der Staat nicht durchgreift und die Justiz Can weiterhin auf freiem Fuß lässt, wird Herr Laub an seine Grenzen gebracht.
Fazit
„Wut“ ist eine echte Überraschung. Auch wenn damals viel über die Ausstrahlung debattiert wurde, so zeigt es doch, wie viel größer der Raum des Sagbaren in den 0er Jahren noch gewesen ist. Die filmischen Abstriche, die man bei einer Fernsehproduktion machen muss, werden durch die treffsichere Gesellschaftskritik mehr als ausgeglichen.
Aladağ ist eine packende Inszenierung gelungen, die kein Blatt vor den Mund nimmt und mit ihrer überspitzten Darstellung den Finger in die Wunde legt. Das Bild wird von vielen in sich stimmigen Details abgerundet. Zum Beispiel durch die Musikauswahl, welche die verschiedenen Milieus gezielt voneinander abgrenzt.