In den dunkeln Wäldern des Oderbruchs an der deutsch-polnischen Grenze wird dem Morast der Jahrzehnte ein düsteres Geheimnis entrissen. Nach tagelangen Bergungsarbeiten stehen die Ermittler vor einem Leichenberg, den jemand dort im Sumpfgebiet über Jahre hinweg aufgetürmt haben muss. Eine merkwürdige Besonderheit ist allen Toten zu eigen: Ihre Leichen sind blutleer. Einige Tote verschwanden spurlos vor Jahrzehnten, andere Opfer wurden erst unlängst in die Grube gestossen und geben noch schwache Lebenszeichen von sich.
Ein ortskundiger Deutscher und sein polnischer Kollege beginnen darauf, als Sonderermittler auf beiden Seiten des Grenzflusses sowohl der Landschaft als auch den Anwohnern ihre Geheimnisse zu entlocken. Die Spur verflüssigt sich im dunkeln Wasser der Oder und mündet in alten Blutlinien, die seit Generationen den Boden der Auenlandschaft mit Blut tränken.
Inhaltliche Qualitätsproduktion – vom ÖRR!?
Die achtteilige Serie «Oderbruch» wurde von der ARD und «CBS Television Stations» produziert und feierte ihre Erstaufführung im Sommer 2023. Ab Januar 2024 wurde sie öffentlich ausgestrahlt und zeitgleich auf der ARD-Netzseite veröffentlicht.
Düstere Sumpflandschaft, rätselhafte Tote, zwei Ermittler auf der Suche nach den Hintergründen und ein möglicherweise weitverzweigtes Netzwerk der Verantwortlichen. Diese Kurzbeschreibung lässt Kenner bereits einige Parallelen zu einer der bekanntesten Serienproduktionen des Misterycrime-Genres ziehen: Der ersten Staffel von True Detectives. Der Kultproduktion aus den USA vermag Oderbruch jedoch nicht das Wasser abzugraben. True Detectives fesselt vor allem durch die philosophische Thematisierung von Religion, Glauben, Tod und Leben. Diese Themenkomplexe werden während der Handlung durch die charakterliche Gegenüberstellung der beiden FBI-Ermittler Rust und Marty ergründet.
Einen derartigen Handlungsstrang lässt Oderbruch vermissen, doch handelt es sich ohne Frage um eine sehenswerte ARD-Produktion für das Jahr 2024. Die schauspielerische Besetzung wird nicht durch Diversitätsquoten getrübt. Abgesehen von ein paar unbedeutenden Nebenrollen ist der Cast durchgehend realistisch mit Deutschen und Polen besetzt. Die optische Darstellung der acht Folgen, die jeweils um die 50 Minuten dauern, sind für mein persönliches Befinden auch untypisch für eine ÖRR-Produktion. Die chronische Überbelichtung und statische Kameraführung des deutschen Fernsehens wurden weggelassen, um einer passend düsteren Stimmung den Weg zu ebnen. Ebenfalls kommt die Produktion ohne übertriebene Soundeffekte aus und schafft es, ähnlich wie Breaking Bad, gerade durch die Abwesenheit von musikalischer Untermalung Spannung zu erzeugen.
Blutlinien ohne Nazi-Bezug
In den umliegenden Gebieten bei Krelow und den Seelower Höhen kam es gegen Ende des 2. Weltkriegs zu den letzten grossen Abwehrschlachten des Dritten Reiches. Tausende Soldaten fanden dort ihren Tod und das Feuchtgebiet wurde zu ihrer letzten Ruhestätte. Gleich zu Beginn wird ein ansässiger Einwohner verhört, der ehrenamtlich die Gebeine von toten Soldaten, die im Oderbruch gefunden werden, registriert und bestattet. Was für einen Rechten instinktiv als klares Vorzeichen gedeutet wird, dass die Handlung anschliessend wohl irgendwie mit dem Nationalsozialismus verflochten werden wird, stellt sich als unberechtigte Sorge heraus.
Die Macher haben es geschafft, ein blutig-historisches Mordkomplott in einer historisch mit dem Dritten Reich eng verflochtenen Gegend zu drehen, ohne irgendwelche faden NS-Bezüge einzubauen, die den Unterhaltungswert deutlich geschmälert hätten. Die blutleeren Körper der Toten bieten indes einen Hinweis darauf, in welche Richtung die Handlung weiterführend aufbauen könnte. Auch hier sind die Bemühungen der Schöpfer Arend Remmers, Adolfo J. Kolmerer und Christian Alvart lobenswert. Obwohl die Hintergründe teilweise offengelassen werden, wurde dem alten Mythos ein realistischer Unterbau gegeben.
Vergangenheit und Schicksal
In Oderbruch müssen sich die Protagonisten ihrer Vergangenheit stellen, vor der sie lange versucht haben wegzulaufen. LKA-Kommissar Roland Voit (Felix Kramer) wird hinzugezogen, da er in Krelow aufgewachsen ist und als Einheimischer Land und Leute kennt. Dabei kommt es zum Wiedersehen mit seiner zerbrochenen Jugendliebe Magdalena Kring (Karoline Schuch). Sie verlor in der Oder Flutkatastrophe 1997 ihren Bruder Kai unter mysteriösen Umständen und zog daraufhin aus der Gegend weg. Als der Leichenberg entdeckt wird, kehrt sie mit der Hoffnung zurück, endlich Klarheit über das damalige Verschwinden ihres Bruders zu erhalten.
Die Jugend im dünn besiedelten Oderbruch mit einem gegen ihren geliebten Bruder Kaj gewalttätigen Vater, prägen bis in die Gegenwart hinein auch noch das Gesicht der erwachsenen «Maggie». Ihre eher schweigsame Rolle wird von einer Miene begleitet, die sowohl Entschlossenheit als auch Kummer ausdrückt. Im Laufe der Geschichte stellt Oderbruch mit Magdalena Kring eine realistische Variante des starken, unabhängigen Frauencharakters dar, dem auch Rechte etwas abgewinnen können. Insgesamt lebt Oderbruch von einer realitätsnah wirkenden Darstellung seiner Charaktere. Die Protagonisten müssen sich im Verlauf der Handlung der zugrunde liegenden Botschaft der Serie stellen: Du kannst weder vor deinem Schicksal noch vor deinem eigenen wahren Selbst davonlaufen.
Lebensnahe Geschichte ohne Happy End
Für einen Mysterykrimi nicht untypisch, hat Oderbruch darauf verzichtet, die Geschichte im Stil einer Heldenreise zu erzählen. Es gibt also keine Hauptprotagonisten die ausziehen, um die Welt zu retten, dies über viele Umwege hinweg schliesslich schaffen und danach die Geschichte mit einem frohen Ende ausklingen lassen. Stattdessen handelt es sich um ein verschachteltes Drama an persönlichen Erzählungen, Familiengeschichten, Erkenntnissen und Verstrickungen, bei denen die Protagonisten, ganz wie im richtigen Leben, oftmals ohne Vermögen die Dinge zu ändern dastehen und sich mit der Realität und dem Leben zu arrangieren haben. Diese dramatisch-tragische Erzählform mag zwar nicht allen gefallen, wünschen sich Menschen doch naturgemäß, dass alles schon irgendwie gut werden wird, doch sie lässt eine Handlung umso näher an das reale Leben heranrücken.
Das Abtauchen lohnt sich!
Schlussendlich bleibt an dieser Stelle nur noch die Empfehlung an alle Leser in die Geschichte von Oderbruch einzutauchen. Es gestaltet sich durchaus schwierig, eine Rezension über eine Serie zu schreiben, ohne Spoiler einzubauen oder den Plot sonst irgendwie zu ruinieren. Dieser Artikel soll deshalb auch mehr ein Hinweis an potenzielle Liebhaber des Myterycrime-Genres sein, die Deutsch und rechts sind. Wer in der Vergangenheit Serien wie «True Detectives» oder «Dark» etwas abgewinnen konnte, sollte Oderbruch definitiv eine Chance einräumen. Nicht zuletzt, da die Produktion ohnehin bereits mit euren GEZ-Abgaben finanziert wurde. Wenn ihr auf der Seite der ARD euer Alter bestätigt, lassen sich dort alle acht Teile ansehen.
Wenn es sonst genügend Beispiele für die Abschaffung der GEZ-Gebühren und die Trockenlegung des ÖRR-Sumpfes gibt, ist Oderbruch tatsächlich einmal eine Ausnahme.