Ein aus den New Yorker Slums stammender 18-jähriger Junge soll seinen eigenen Vater in einem Streit erstochen haben. Die Todesstrafe droht und 12 Geschworene müssen ein einstimmiges Urteil fällen: Schuldig oder nicht-schuldig.
Der Gerichtsprozess soll zweifelsfrei offenbart haben, dass der Junge schuldig ist. Ein nachvollziehbares Tatmotiv, zwei belastende Zeugenaussagen, fadenscheinige Alibis, ein einzigartiges Corpus delicti. Deshalb ist für die meisten der Schuldspruch klar, ohne weiter darüber beraten zu müssen. Außerdem: Es ist ein ätzend heißer Tag, der heißeste im Jahr. Die Juroren werden bis zu einem verkündeten Urteil eingeschlossen und es herrscht eine klaustrophobische Atmosphäre. Sie sitzen beengt an einem Tisch, schwitzen sich die Anzüge voll und die meisten wollen nichts mehr, als alles hinter sich zu bringen.
Ein einsamer Skeptiker gegen den Rest
Nur ein einziger Querulant, ein langer, stoisch wirkender Mann mit hellen Augen und buschigen Augenbrauen, Geschworener Nr. 8 (Henry Fonda), findet, dass man erst noch darüber reden müsse, bevor man einen Jungen auf den elektrischen Stuhl schickt. Er scheint anfangs nicht unbedingt Argumente parat zu haben, er verweist lediglich darauf, dass er nicht wisse, ob der Junge schuldig oder nicht schuldig sei. Die Schwere eines Schuldurteils will er nicht über die leichte Schulter ergehen lassen. Er deutet an, berechtigte Zweifel zu hegen. Sein Motiv macht er dann schnell deutlich: Sein Gefühl sage ihm, es sei ungerechtfertigt, einen Menschen pauschal abzuurteilen, der sein Leben lang Opfer der Umstände war. Er räumt jedoch trotzdem ein, dass er dem Alibi des Jungen nicht recht vertraue: „Glauben Sie ihm seine Geschichte?“ „Ich weiß nicht, ob ich sie glaube oder nicht, aber eher nein.“
Es steht 11 zu 1 und in der Sicherheit, es hier nur mit einem gefühlsgeleiteten Gutmenschen zu tun zu haben, den man schnell durch Zureden überzeugen könne, wird auf ihn eingeredet. Es stellt sich jedoch nach persönlichen Stellungnahmen heraus, dass viele Juroren eher ihrem reinen Gefühl nach den Jungen als schuldig befunden haben. Und der Querulant hält hartnäckig seine Zweifel, sucht den Dialog durch logisches Argumentieren.
Es beginnt sich mit der Zeit herauszukristallisieren, bei welchen Menschen persönliche Vorurteile eine größere Rolle als die sachliche Auseinandersetzung, die Suche nach Wahrheit, spielen. Dabei werden auf brillante Art und Weise unterschiedliche Charakterköpfe aufeinander losgelassen, die jeweils andere Interessen hegen. Der die tiefenmenschliche Psyche verschleiernde Vorhang wird nach und nach geöffnet und es beginnt sich eine Gruppendynamik zu entwickeln, die den ursprünglichen Konsens der Mehrheit schleichend in Frage stellt.
Objektivität und das menschliche Urteil
Die Stimmung beginnt sich zu verändern und hochzukochen, individuelle Einzelinteressen prallen aufeinander. Der eine will den Angeklagten nur aufgrund seiner sozialen und ethnischen Zugehörigkeit verurteilen. Der andere will schnell zu einem Baseballspiel. Ein anderer, der Hauptantagonist, Geschworener Nr. 3, ein jähzorniger, sozial unverträglicher Mann, will sich unterbewusst am Angeklagten rächen, in welchem er seinen eigenen Sohn projiziert. Die Suche nach Wahrheit wird durch verschleierte Einzelinteressen zum Konfliktherd.
Und genau hier greift die philosophische Genialität des Films, die eine eminente Frage in den Raum stellt: Wie sachlich-logisch und frei von emotionalen Vorurteilen sind menschliche Urteile wirklich, mögen sie oberflächlich auch noch so objektiv argumentiert sein? Aber das ist längst nicht die einzige Ebene der Konflikte, die der Film zutage bringt. Hier spielen sich auf verschiedenen Zweigen Diskussionen ab. Darunter die „nature-versus-nurture“-Diskussion, deren Wichtigkeit keiner abstreitet, aber keinen echten Aufschluss über die Schuldfrage gibt:
„Ja gut, der Junge ist das typische Produkt seiner Umgebung. Daran können wir nichts ändern. Wir sollen auch nur entscheiden, ob er schuldig oder unschuldig ist. Und nicht, warum er so aufgewachsen ist.“
Die Sprache der Beweise: Drehen und wenden, wie man will?
Der Anlass für „nicht-schuldig“ (was wohl nicht „unschuldig“ meinen soll), sollte ein „berechtigter Zweifel“ sein. Doch was bedeutet das? Wie relativ sind vermeintliche „Beweise“ und wie glaubwürdig Zeugenaussagen? Kann man sie nicht drehen und wenden, wie man will und hängt deren Stärke nicht einfach nur von der Sprache ab, in der man sie verpackt? Es soll sich herausstellen, dass diese Erkenntnis langsam ins kollektive Bewusstsein durchsickert. Menschliche Beobachtungen und Schlussfolgerungen in einem Kriminalfall seien keine exakte Wissenschaft. Und je mehr berechtigte Zweifel an den Argumenten der Staatsanwaltschaft zutage treten, desto mehr rücken die Juroren von ihrer anfänglichen Meinung ab.
Der Film illustriert anschaulich den sozialpsychologischen Prozess von Konsensbildung. Viele anfangs unbekümmert Wirkenden vertrauten lediglich auf die Argumente der Staatsanwaltschaft, ohne eigenes Hinterfragen. Keiner würde sich vorstellen, dass staatliche Autoritäten und deren Urteile einen Menschen unschuldig bestrafen würden. Und schließlich machte der Angeklagte sowieso schon einen anrüchigen, schuldigen Eindruck. Besser einen zweifelhaft unschuldigen Menschen töten als einen Mörder laufen zu lassen.
Neben dieser offensichtlichen Genialität des Filmes demonstriert er aber auch noch etwas anderes: Er illustriert anschaulich fast alle wichtigen Temperamenttypen von Männern in der Gesellschaft und wie diese in einer Art sozialen Versuchsanordnung miteinander in Konflikt geraten oder Allianzen bilden würden. Zugrunde sollte ein basales Ziel liegen, nämlich die Findung der Wahrheit. Jeder Geschworene bildet hierbei einen Typ Mensch ab, der sich in der Gruppendynamik unterschiedlich entwickelt.
Respektlos und aggressiv: Der jähzornige Juror
Er ist in erster Hinsicht der Antagonist von Nr. 8, dem gewissenhaften Querulanten. Anfangs vorgebend, persönlich uninteressiert am Fall zu sein und nur Tatsachen zu betrachten, artet er immer mehr in Wutausbrüchen aus, während er verbittert seine eigene Meinung dominant in den Raum stellt. Vor Respektlosigkeiten hütet er sich nicht und wirft mit Beleidigungen und persönlichen Vorwürfen um sich. Je mehr er mit ansehen muss, wie sich die Mehrheit langsam gegen ihn stellt, umso jähzorniger wird er.
Er selbst ist ein Emporkömmling, der sich mit harter Arbeit Ruf und Geld verschafft hat. Das verdankt er wohl seiner Durchsetzungsfähigkeit, entsprechend verbittert und sozial unverträglich ist er. Kaum einer traut sich, ihm seine persönlichen Angriffe zurückzuwerfen. Er ist der Typ Mensch, dessen Meinung vor allem emotional geprägt ist, er diese aber rigoros so verteidigt, als sei sie absolut rational. Er kommt nicht ohne persönliche Vorwürfe und Aggressionen aus, sollte seine Meinung nicht akzeptiert werden.
Respekt durch Ratio: Der analytische Juror
Sein Sitznachbar, Nr. 4, ist hingegen der wirklich ebenbürtige Antagonist von Nr. 8. Er wirkt nicht nur stoisch, sondern auch hochanalytisch. Er schwitzt als Einziger nicht und verkörpert strenge Sachlichkeit und Selbstdisziplin. Von Beruf ist er Börsenmakler. Er stimmt für schuldig, doch verachtet die emotionalen Ausbrüche seines Lagers und baut nach und nach Respekt für die rationale Argumentation von Nr. 8 auf.
Er lässt sich nicht von der Mehrheitsmeinung beirren und ist sich seines Standpunktes bewusst. Er lenkt ein, wenn er logisch widerlegt wird. Er ist der stoisch-analytische Rationalist, welcher die letzte argumentative Bastion seines Lagers darstellt. Er ist als Einziger wirklich profund von der Schlüssigkeit der Staatsanwaltschaftsargumente überzeugt. Durch seine Ratio genießt er den Respekt aller Juroren und wird als Einziger nicht einmal despektierlich angegangen.
Alter und Schläue gegen Vorurteile: Der Geschworener Nr. 9
Nr. 9 ist ein alter Mann, der sich als Erster dem Querulanten anschließt. Wie die anderen auch zuerst auf die Argumente der Staatsanwaltschaft vertrauend, löst er sich davon, sobald er erste Zweifel vernimmt. Er muss bereits im Vorhinein Skepsis gehabt haben, konnte sie jedoch nicht begründen. Deshalb stimmt er bei der zweiten Abstimmung für nicht-schuldig, einfach nur, um Nr. 8 den Rücken zu stärken. Auch er ist Querulant mit einer festen Meinung, wird jedoch niemals unhöflich. Der Film veranschaulicht hervorragend, wie sogar solche Charaktertypen sich zuerst der Mehrheitsmeinung anschließen. Sie brauchen lediglich einen einzigen Impuls des erklärten Zweifels aus der Gruppe und schon solidarisieren sie sich.
Der alte Mann verkörpert Weisheit und Schläue, Aufmerksamkeit und Differenzierbarkeit. Er widerspricht dem grantig-unverträglichen Bild des „alten weißen Mannes“ scharf. Er ist es, der trotz seines Alters der Argumentation eine Dynamik verleiht und wichtige Beiträge leistet. Er wird oft mit Respektlosigkeiten der Choleriker konfrontiert, doch besitzt nicht die nötige Vitalität, um diese zu rügen.
Gegen den Strom: Wie der Film zum kritischen Hinterfragen aufruft
Der Film lässt sich als ein Plädoyer für das Rechts- und Gesellschaftssystem des Westens lesen. Dialog und Demokratie müssen genau dann gefragt sein, wenn einstimmige Urteile eine absolute Wahrheit suggerieren wollen. In einem linken, autoritären Mainstream kann man sich als Rechter durchaus angesprochen fühlen. Der Film will appellieren, dass man, auch wenn die Stimmung emotional aufgeladen ist, es sich immer lohnen sollte, offen einen Konsens zu hinterfragen. Mit einer ruhigen und rationalen Art.
Trotzdem lässt der Film alle berechtigten Gegenargumente durch die Charaktere zu Wort kommen: Was ist, wenn jeder an allem anfängt zu zweifeln und herumdiskutieren will? Wo kommen wir dahin, wenn das System unter Druck steht, schnelle Entscheidungen zu treffen, und zwar einstimmig? Wie handlungsfähig ist ein System, in dem Minderheitsmeinungen die Majorität immer aushebeln können? Und ist es immer gut, im Zweifel für den Angeklagten zu sein, wenn eine schwere Straftat im Raum steht? Der Film beantwortet dies eher mit Ja. Es sei immer gut. Im Zweifel für den Angeklagten. Trotzdem lässt er offen, ob es nicht trotzdem der Junge gewesen sein könnte (schließlich ist er immer noch der Einzige mit einem Motiv). Er will davor warnen, schwerwiegende Sanktionen wie die Tötung eines Menschenlebens nicht über die leichte Schulter ergehen zu lassen. Denn die menschliche Urteilskraft kann trügerisch sein.
In einem anderen Licht: Die Grenzen der Empathie
Und an dieser Stelle wäre interessant zu wissen, wie sich jeder Juror, vor allem Nr. 8, in einem etwas anderen Kontext verhalten würde: Was, wenn die Tat sich NICHT gegen einen gewalttätigen Vater, der sowieso sozial schlecht gestellt war, gerichtet hätte? Was, wenn das Opfer des Mordes ein harmloser Familienvater auf der Straße, eine wehrlose Frau auf dem Nachhauseweg, ein kleines Kind auf dem Spielplatz gewesen wäre? Was, wenn der 18-jährige Angeklagte keine verängstigte Unschuldsmiene draufgehabt hätte? Vielleicht sogar nur Spott und kein Zeichen von Mitgefühl? Sich in der Sicherheit wiegend, dass die Beweislage unzureichend sei? Was, wenn das Motiv wirklich niederträchtig, feige, verständnislos gewesen wäre?
Wie hätte Geschworener Nr. 8 reagiert, wenn es sich hier zum Beispiel um einen als „Flüchtling“ eingewanderten Sozialgeldbezieher gehandelt hätte, der nicht einmal die Landessprache spricht? Der anscheinend spontan eine junge Einheimische, ohne mit der Wimper zu zucken vergewaltigt, erwürgt und bei der Verhandlung auch noch offen die Gesellschaft beleidigt hätte? Dessen Täterprofil und Tathergang sich typisch mit tausenden Präzedenzfällen deckt? Inmitten einer überlasteten Justiz, die klare Außensignale senden muss? Wäre man weiterhin prinzipientreu geblieben und hätte an der Argumentation der Staatsanwaltschaft gezweifelt, weil hier und da Zeugenaussagen Lücken aufwiesen?
Was, wenn sogar Nr. 8 keine Empathie mit dem Angeklagten gehabt hätte, was ja die Motivation des Zweifels war? Wenn sonst keiner ein Motiv hätte, alles plausibel klingt und fatale Konsequenzen resultierten, sollte man hier einen gefährlichen Kriminellen wieder in die Gesellschaft entlassen? Wenn der Tatverdächtige importiert wurde, nicht mal ein Mitglied der Gesellschaft ist, aus der man selbst stammt und mit dem man keinerlei Berührungspunkte hat? Bei einer Tat, die widerwärtiger nicht sein könnte, während der Verdächtige noch offen das System verhöhnt? Und als Strafe KEINE durch den Staat vollstreckte Todesstrafe droht, aber mal mindestens eine konsequente Abschiebung (plus Strafvollzug in der Heimat) oder lebenslängliche Verwahrung? Könnte sich die Gesellschaft einen Freispruch in Abwägung zu einem Schuldspruch leisten?
Fazit
Die Antwort bleibt uns der Film bei aller Brillanz schuldig. Obwohl die Message des Films natürlich theoretisch gut und richtig ist, selbst die Macher dieses Werkes bei dem eben genannten Fall mal mindestens nochmal scharf überlegen würden, bevor sie eine Antwort gäben. Trotzdem, der Film appelliert an die Notwendigkeit menschlicher Vernunft, sich auch in Unterlegenheit durchzusetzen, vor allem in der Hitze der Gruppendynamik. Ein hochinteressanter und brillant illustrierter Prozess, der wohl von keinem Film so meisterhaft dargestellt werden konnte.