Ein Fest aus Charakterentwicklung, Spannungshöhepunkten und fesselnder Handlung vereint die Serie Arcane in einem brodelnden Kampf zwischen Ober- und Unterstadt. Doch ist es nicht klischeehaft Arm gegen Reich mit öden Plattitüden. Es ist ein Netzwerk aus Eigeninteressen der vielzähligen Personen. Leitthemen von Wissenschaftsethik bis hin zur Freiheitsdebatte werden in dynamisch umgesetzten Handlungssträngen erörtert. Das hohe Erzähltempo und die detailreiche Welt machen Lust auf mehr.
Die erste Staffel Arcane erschien 2021 und war durch die Bank ein voller Erfolg. Der amerikanische Spieleentwickler Riot produzierte in Kooperation mit dem französischen Animationsstudio Fortiche eine neunteilige Zeichentrickserie basierend auf dem Spiel League of Legends. Die Serie und das Videospiel sind für sich eigenständige Werke. In Arcane werden den spielbaren Helden des kompetitiven fünf gegen fünf Spiels eine Hintergrundgeschichte gegeben, aber das ist für mich und den unwissenden Zuschauer nicht relevant. Beide Medien teilen sich nur Charaktere und das Universum. Das sich Arcane damit auch noch zu einer erfolgreiche Videospieladaption mausert, ist nebensächlich.
Diesen November erscheint nach 3 Jahren Warten die neue Staffel. Im Zuge der Vorfreude auf die Fortsetzung, schauen wir spoilerfrei zurück auf den gelungenen ersten Teil.
Die elegante Oberstadt und das Arcane
Die Oberstadt, Piltover, ist eine technokratische Ratsherrschaft im eleganten und futuristischen Art Deko und Jugendstil. Das Stadtbild wird durch Ordnung, Sauberkeit, Bildung und hohe Ansprüche an den Fortschritt durch Erfindungen geprägt. In diesen Schauplatz wird das namensgebende Forschungsobjekt, das Arcane, eingeführt. Der Name leitet sich von dem Arkanen, dem magischen Geheimnisvollen ab und ist passend gewählt. Die Magie als Synonym zu unbekannter Wirkungsweise und unkontrollierbaren Potential trifft es auf den Punkt. Der revolutionäre Energieträger ist den fortschrittlichen Wissenschaftlern der Akademie zu mächtig und diese wagen sich nicht, das Potential zu erschöpfen.
Ethische Fragen und Ansichten der Wissenschaft werden in verschiedenen Handlungssträngen und Charakteren dargestellt. Die vorsichtigen und verantwortungsbewussten Altmeister, die aus der Geschichte mahnen, warnen die aufstrebende Jugend, die bereit ist, das Chaos zu bändigen und Gutes zu tun. Die skrupellosen Perfektionisten, die vor keinem Opfer zurückschrecken, sehen den Fortschritt als höchstes Gut und arbeiten aus den Schatten unbemerkt an neuen Bösartigkeiten.
Die Möglichkeit für medizinische Heilung und Erhöhung des Lebensstandards stehen der Möglichkeit für Waffentechnologie, Machtmissbrauch und den ungeahnten Problemen des Transhumanismus gegenüber. Das gezeigte Problem der Verantwortung der Erfinder und das moralische Dilemma erinnert an Alfred Nobel oder die Atomdebatte.
In der Oberstadt und dessen Akademie werden diese Themen auch mit wirtschaftlichen und politischen Interessen gemischt. Alles ohne Umwelthysterie auch nur einmal anzuschneiden. Erfrischend.
Die Gassen als anarchisches Steampunk Elendsviertel
In der Unterstadt ist die Vertrauensgesellschaft längst verkommen. Die früheren Minen sind geschlossen, der Krieg verloren und die Aussichtslosigkeit führt zur selbstauferlegten Opferrolle. Der tägliche Kampf ums Überleben lässt keine langfristige Zielsetzung zu. Das Streben nach individueller Freiheit ist groß und wird in Hedonismus, Kriminalität, Gewalt und Drogen ausgelebt.
Die Hauptakteure sind zwei Schwestern, Powder und Violet, letztere wird von Giovanna Winterfeldt gesprochen. Die Waisenkinder, jung und naiv, fühlen sich unterdrückt durch die geordnete und separierte Oberstadt. Der weise, kriegsmüde Ziehvater Vander hat diese Allüren bereits abgelegt und weiß, dass die beiden Stadteile inkompatibel sind. Als einer von zwei Führungspersonen der Unterstadt hat er eine auf Kompetenz und Vertrauen basierte Auffassung. Während der folglich eingeführte Gegenspieler Silko ein auf Macht basierendes Hierarchieverständnis auslebt.
Der Konflikt beider Parteien entsteht, da Silko die Unabhängigkeit der Unterstadt fordert und Vander den Frieden mit der Oberstadt bewahren möchte. In beiden Charakteren findet der rechte Zuschauer viel Gutes. Der Drang nach nationaler Freiheit, die übergeordnete Vaterrolle, Übernahme von Verantwortung, Loyalität und eine Selbstaufgabe für das übergeordnete Wohl der Eigenen. Aus Silkos Drang nach Unabhängigkeit und Vanders väterlicher Diplomatie entsteht eine packende Dynamik, die abseits von simplem Gut gegen Böse agiert.
Die beiden Schwestern verfolgen ihre eigenen Interessen, werden aber zunehmend eigenverschuldet in die Konflikte der Ober- und Unterstadt mit hineingezogen. Die einzelnen Auseinandersetzungen mit verschiedenen Parteien hinterlassen Spuren und die Schwestern erfahren eine sehenswerte Charakterentwicklung.
Nicht nur die Personen der Serie erfahren eine stetige Entwicklung. Auch die Orte wandeln sich mit der Zeit. Die Oberstadt wird mit technischem Fortschritt immer futuristischer, behält aber den eleganten Jugendstil bei. Auch wächst die Stadt in die Höhe, während die Handlung der Unterstadt immer weiter hinunter in die alten Minenschächte wandert. Es sind Details wie diese, die das Auseinanderleben und den zunehmenden Unterschied zwischen den Stadtteilen veranschaulichen.
Mehr Details als nötig
Das teilweise übertriebene Aussehen und die Emotionsdarstellung sind vertretbar, da sie in der Serie einem Zweck dienen. Das blauhaarige, volltätowierte Hauptcharaktere den konservativen Zuschauer abschrecken, ist nicht der Rede wert. Was im realen Leben auf psychisches Unwohlsein rückschließen lässt, wird von Arcane nicht ignoriert. Die Regel gilt auch in der Serie: Je mehr Tattoos und je bunter die Haare, desto größer der geistige Schaden.
Das Aufwachsen in unsicheren, kriminellen Umgebungen führt zu instabilen Familienverhältnissen und demnach zu einer Spirale des kulturellen Zerfalls mit entsprechendem Hass auf die besser situierte Oberstadt. Aber auch in Piltover, dem Stadtteil, in dem die Oberschicht lebt, ist das Charakterdesign nicht zufällig oder unnötig übertrieben. Ausgefallenes, stilvolles Aussehen entspricht hohem Rang. Die Entfremdung der Eliten ist ebenfalls gut getroffen.
Der Detailreichtum hat gute wie auch schlechte Seiten. Die vielen Puzzleteile der Handlung geraten beim unaufmerksamen Zuschauen gerne in Vergessenheit oder werden gar nicht erfasst. Auch wenn es hilft, den Ausgang von Spannungshöhepunkten zu verschleiern, so wirken manche Geschehnisse verwirrend. Arcane verlangt ungeteilte Aufmerksamkeit und ist nichts für das einfache Berieseln lassen am Abend. Ich sehe es positiv. Endlich wird dem Zuschauer etwas zugetraut und abverlangt.
Das Album zur Serie
Die Musik zur Serie wurde in einem gleichnamigen Album veröffentlicht. Den Liedern aus dem Album wird relativ viel Platz in der sonst so kompakten Serie eingeräumt und die Folgentitel basieren meist auf Liedtexten aus der entsprechenden Episode.
Die Unterstadt wird mit teils düsteren, industriellen und futuristischen Hip-Hop Klängen unterlegt und bringt die harte, aber abenteuerlustige Stimmung an. Von den zahlreichen Liedern, die in den Vordergrund gestellt werden, seien die Rap-Stücke negativ erwähnt. So sollen sie den urbaneren, rebellischen und sozial-kritischen Charakter der Unterstadt betonen, jedoch passt der amerikanische Musikstil meines Erachtens nicht in das dunkle Fantasie-Gesamtbild der Unterstadt. Die Oberstadt bekommt unterschwellige orchestrale Musik, die nicht im Vordergrund steht.
Kontraproduktiv ist der kurze Auftritt der Popgruppe Imagine Dragons, die in animierter Form den Titelsong in der Serie aufführen. Die Darbietung erinnert mit Schrecken an Ed Sheeran in einer späten „Game of Thrones“ Staffel und leistet keinen Beitrag in der Serie.
Dass animierte Musiker positiv in der Handlung Platz finden, zeigt der unauffällige, aber passende Auftritt von Ray Chen. Der Geiger hat ebenfalls einen Beitrag auf dem Arcane Album und ein animiertes futuristisches Konzert in der Oberstadt, während der Handlung.
Positiv vermerkt sei die Musik zu den emotionalen Höhepunkten gegen Ende der Serie. Die Lieder geben in den Szenen alles und gehören zu den besten Ausschnitten der erstens Staffel.
Fazit
Viele Dinge stimmen mich optimistisch in Hinblick auf die zweite Staffel. Das Drehbuch für den zweiten Teil war bereits vor der Ausstrahlung der ersten Staffel fertig geschrieben. Die beiden Ideengeber, der deutsche Christian Linke und Alex Yee, sind wieder federführend. Es gibt noch eine Reihe an offenen Enden, die genug Potential haben, eine sehr gute Geschichte zu erzählen. Bei Arcane merkt man, dass viel Arbeit in die Charaktere und die Entwicklung der Geschichte geflossen ist und die Kunst im Vordergrund steht. Als Fan der Serie freue ich mich auf die zweite Staffel diesen November auf Netflix und empfehle hiermit den Vorgänger allen, die ernstzunehmenden Zeichentrick eine Chance geben wollen.