Wir hatten bei Thymos schon einmal einen Artikel über Hosen. Redakteur Carsten hat die Nietenhose (anglophil: „Jeans“) dabei hauptsächlich aus kultureller Perspektive betrachtet. Ich als jemand, der bevorzugt Schurwolle trägt, möchte das kulturelle Argument um ganz praktische Gesichtspunkte meiner persönlichen Erfahrung ergänzen.
Denn wie wohl jedem wurden in Kindertagen auch mir die Produkte der modernen Antikultur vorgesetzt, im besonderen die Nietenhose. Nicht, weil man sich aktiv dafür entschieden hätte, sondern weil die eben alle tragen und diese Gewohnheit nie hinterfragt wird, so unzufrieden man damit auch gewesen sein mag. Und auch Kunststoff ist mir nicht völlig unbekannt, weshalb ich diese drei Materialien für (Alltags-)Hosen einmal miteinander vergleichen möchte. Daß für Arbeitshosen mitunter ganz andere Bewertungskriterien verfangen, ist natürlich klar.
1. Der Schnitt
Ich mache keinen Hehl daraus: Ich habe die Nietenhose schon immer gehaßt. Sie ist durchweg unbequem. Die Beine zu eng, der Bund zu weit, dafür aber zu niedrig, so daß man die Wahl hat, sich entweder das Gemächt einzuklemmen, oder den Gürtel auf Höhe der Pobacken zu tragen, was den Zweck eines Gürtels komplett verfehlt. Oft beobachte ich, wie sich Träger von Nietenhosen fast schon gewohnheitsmäßig den Bund hochziehen, weil er wieder nach unten gerutscht ist, oder beim Hinsetzen kurz die Beine raffen, weil der Stoff sonst an den Oberschenkeln spannt. Diese verräterischen Gesten offenbaren deutlich, welche Last diese Hose ihrem Träger insgeheim ist.
Dieses Problem zu beheben, indem man dehnbare Kunststoffasern hinzumischt, anstatt einen besseren Schnitt zu wählen, ist ein typisch moderner Lösungsversuch, der es vermeidet, das Problem nachhaltig zu beseitigen: Die Hosen bleiben unbequem und hinzu kommt nun der Michelinmänncheneffekt. Die Optik wird noch schlimmer.
Und dabei war die Lösung einst bekannt. Es ist die Bundfaltenhose, die zumeist aus Schurwolle besteht. Man möchte sagen: Sie ist unter ästhetischen Gesichtspunkten maßgenau geschneidert. Deswegen die Bundfalte: Sie gewährt einen schmalen Bund, und hat Stofflagen in Reserve, falls diese nötig werden. Deswegen die Bügelfalte: Sie verringert die Querschnittsfläche, ohne an Umfang zu sparen. Sie gibt der Hose eine straffe Form. Davon kann eine Nietenhose nur träumen.
Außerdem verbessert die Bundfalte die Hosentaschen – ein Argument, so trivial, daß ich es fast vergessen hätte. Denn während die Taschen einer Nietenhose praktisch Deko und ohne jedes Fassungsvermögen sind, möchte man meinen, in den geräumigen Taschen einer Bundfaltenhose wäre Platz für einen ganzen Maßkrug – weil sich bei Bedarf die Bundfalte öffnet und den Platz freigibt. Jogginghosen werde ich übrigens niemals freiwillig tragen. Sie sind mir zu vulgär. Sie sind ein Schlafanzug für draußen. Derweil ist eine passende Bundfaltenhose ganz sicher nicht unbequemer als eine Jogginghose. Hat durch den figurbetonten Schnitt aber eine wesentlich bessere Optik.
2. Komfort
Tatsächlich habe ich eine Nietenhose, die paßt. Sie ist, im Bezug auf ihre Maße, wahrscheinlich optimal. Und trotzdem nicht bequemer als meine schlechteste Schurwollhose, die eigentlich viel zu eng ist – daher fällt es schwer, diesen Umstand auf den grundsätzlich besseren Schnitt einer Bundfaltenhose zu schieben.
Schurwolle ist weich. Baumwolle ist dagegen hart wie Sackleinen. Steif und schwer hängt sie an einem herunter und verhindert durch ihren zähen Stoff, daß man den vollen Bewegungsumfang seiner Beine ausnutzen kann. Während die Schurwolle sich samtig um den Körper hüllt, daß man fast vergessen möchte, daß man etwas anhat, spannt die Nietenhose bei jeder Bewegung.
Zieht man, an Nietenhosen gewöhnt, eine Schurwollhose an, fühlt man sich wie ein Strafgefangener urplötzlich befreit von der lästigen Kugelkette, die man ständig mitschleifen mußte. Man muß es selbst erlebt haben, um zu wissen, wie sehr die Nietenhose die Bewegungsfreiheit einschränkt.
Die Kunststoffhose ist natürlich dehnbar, was über etwaige Ungenauigkeiten hinwegtäuschen kann. Doch Kunststoff liegt einfach nicht schön auf der Haut. Es hat etwas von Gummi, wenn man an das schmeichelnde Gefühl einer Naturfaser gewohnt ist. Gerade Nässe verstärkt diesen Effekt. Das kann man mögen; ich halte es aber eher für ein Argument gegen diesen Stoff.
3. Isolation
Vielleicht merken die Leute den Klimawandel nur, weil sie alle Nietenhosen tragen. – Weil der Stoff so dicht, steif und schwer ist. Sie mag im Winter wärmen, doch bei höheren Temperaturen fängt man sofort an zu schwitzen. Bei einer langen Nietenhose kommt keine Luft an die Beine – und die Luft darunter heizt sich immer weiter auf.
In einer Schurwollhose schwitzt man merklich weniger. Natürlich setzt auch hier das Schwitzen irgendwann ein, wenn es gar zu heiß wird, doch der Stoff selbst fühlt sich auch weiterhin trocken und angenehm an. Tatsächlich ist das ein starkes Argument für Schurwolle im Sommer, weil man durch sie das Schwitzen kaum bemerkt.
Doch ist die Nietenhose im Winter besser? Und wieder Nein. Ironischerweise wärmt die Schurwolle zumindest einmal nicht schlechter als die Baumwolle. Das Fell von Schafen ist ein hervorragender Isolator – wer hätte es gedacht. Der Kunststoff ist hier mit der Schurwolle vergleichbar; ich glaube aber, daß er nicht ganz so optimal temperiert und man darin auch leichter schwitzt, was mitunter zu dem Gefühl führt, eine Frischhaltefolie über der Haut zu tragen.
4. Nässe
Bis Baumwolle trocken wird, dauert es meistens ewig. Sie saugt sich bei Regen voll wie ein Schwamm und gibt die Nässe gar nicht mehr ab. Selbst wenn man sie über die Heizung hängt, ist sie am nächsten Tag noch feucht genug, um sie als Putzlumpen zu benutzen.
Schurwolle dagegen nimmt den Regen gar nicht richtig auf und wird auch sehr schnell wieder trocken. Teilweise noch während man sie trägt. Eine Heizung brauche ich nicht; aufgehängt dauert es keine 24 Stunden, bis auch die letzte Nässe vollständig entwichen ist. Das liegt sicher auch daran, daß das Tuch oft dünner ist als bei einer Nietenhose. Erneut zeigt sich, daß die natürliche Evolution den Schafen anscheinend das in allen Wettersituationen beste Kleid verliehen hat: Auch die Tiere wollen nicht nach jedem Regenguß eine Lungenentzündung bekommen, weil das Fell nicht mehr trocknet.
5. Belastbarkeit
Endlich kann die Nietenhose punkten. Denn daß Jeansstoff sehr belastbar ist, kann niemand bestreiten. Mit ihm kann man auch auf den Knien herumrutschen, ohne daß ein Loch entsteht – die perfekte Arbeitshose für Nutten und Hobbygärtner. Sie hält allen Kräften mühelos stand und reißt nur unter extremsten Bedingungen. Selbst Dornengestrüpp kann der schweren, dichten Baumwolle nichts anhaben.
So belastbar ist die Schurwollhose natürlich nicht – beziehungsweise: Ich würde das einfach nicht austesten, weil mir die guten Hosen dazu zu schade sind. Die Wolle kommt mir aber weicher vor, und den Dorn einer Brombeerranke darin zu versenken, um ordentlich Maschen aufzureißen, stelle ich mir recht einfach vor. Viel einfacher als bei der Nietenhose, über deren Oberfläche die Dornen höchsten kratzen, ohne wirklich einzudringen.
Der Kunststoff ist aber auch nicht wesentlich besser; auch ihn kann man relativ leicht beschädigen.
Diesen Triumph muß man der Nietenhose lassen: Belastbar ist sie!
6. Sauberkeit
Ein weiterer Punkt ist die Sauberkeit. Nietenhosen sind tatsächlich sehr pflegeleicht, weil man oberflächliche Verunreinigungen einfach abbürsten kann. Bei in den Stoff eingedrungenen Verschmutzungen wirft man sie einfach in die Waschmaschine und diese regelt das Problem. Dasselbe gilt für die Kunststoffhose, die genauso effizient gereinigt werden kann.
Derweil reinigt sich Schurwolle praktisch von selbst. Es dauert sehr lange, verglichen mit Nietenhosen, bis man hier überhaupt merkt, daß die Hose regelmäßig getragen wird. Oberflächliche Verschmutzungen lassen sich mit einem feuchten Lappen restlos abwischen. Wer hier eine tägliche Waschung tatsächlich für nötig hält, ist der Medienpropaganda der modernen Konsumgesellschaft zum Opfer gefallen.
Daß bei einer groben Verunreinigung eine aufwändige Waschung von Hand fällig wird, ist ein weiteres Indiz, daß es gar nicht nötig sein kann, sie täglich zu waschen. Mir fällt es jedenfalls schwer zu glauben, meine Großeltern wären ständig in versifften Klamotten herumgelaufen. Denn damals wurde ganz sicher nicht täglich gewaschen – Waschmaschinen gab es nämlich nicht. Und auch wenn solche Lügen gern über das Mittelalter verbreitet werden, glaube ich doch nicht, daß der Mensch sein Leben gern in Schmutz und Unhygiene zubringen möchte. Weder damals noch heute.
Eine Frage der Kultur
Am Ende will auch ich nicht ohne ein kulturelles Element schließen. Grundsätzlich befürworte ich ein nachhaltiges Leben im Einklang mit Mutter Natur, weshalb ich Kunstfasern schon per se ablehne.
Damit bleiben nur noch Baumwolle und Schurwolle übrig. Für den heimatverbundenen Deutschen kann die Baumwolle, die zumeist in Form einer „Jeans“ angeboten wird, wohl kaum die erste Wahl sein. Sie strahlt VS-amerikanische Gesittung aus und eignet keiner Kulturnation, die auf eine tausendjährige Geschichte zurückblicken kann. Will man dem deutschen Erbe nahe kommen, so muß man sich auch an diesem orientieren.
Vielleicht verläßt man beim nächsten Hosenkauf ja einmal die Komfortzone und versucht sich an etwas Klassischem, das schon unseren Vorvätern gute Dienste leistete in Zeiten, bevor die Ausländerei wildum zu wuchern begann. Ich habe diesen Schritt getan und nicht bereut.