Ich denke nicht, dass eine große Einleitung bezüglich JRR Tolkiens Meisterwerk „Der Herr der Ringe“ und seinem Legendarium vonnöten ist. Was das Literaturmeisterwerk so einzigartig macht, sind die zahllosen Erwähnungen kleinerer Geschichten, die in der Hauptgeschichte verstreut zu finden sind, oft in Formen von Liedern, Texten oder Orten.
Es macht deutlich, dass jedes Volk, jede Nation, seine eigenen Volksmythen und Helden besitzt. So auch die Rohirrim, die, verglichen mit dem Königreich Gondor oder den Dunedain im Norden, eine junge Nation sind und nicht auf eine Jahrtausende alte Geschichte zurückblicken können. In der HdR-Trilogie erfahren wir von mindesten zwei Helden, zu den die Rohirrim aufblicken: Eorl der Jüngere, der erste König von Rohan, und Helm Hammerhand, nachdem die Hornburg, Helms Klamm, benannt worden ist.
Nationalheld Helm Hammerhand
In den Werken von JRR Tolkien (wie auch in der Peter-Jackson-Trilogie) wird erwähnt, dass Hammerhand für die Rohirrim die Verkörperung von Stärke und Unbeugsamkeit ist. Nicht verwunderlich für den Namensgeber einer Trutzburg, die selbst einem 10.000 Mann starken feindlichen Heer standhalten kann.
In den Anhängen und Schriften wird dann vom Leben und Leistungen Hammerhands berichtet, wobei selbst Tolkien, der sich nur als Übersetzer und nicht als Autor sah, nicht wusste, was davon Fakt und was Folklore ist. So wird darin Helm Hammerhand als „ein grimmiger Mann von großer Stärke“ beschrieben, dem eines Tages der Dunländerfürst Frecca, dem Herrn der Westmark, ein überraschendes Angebot machte: Ein Bündnis im Austausch für die Hand von Helms Tochter für seinen Sohn Wulf.
Helm lehnte ab und es kam zum Streit zwischen den beiden großen Männern, der in einer Herausforderung zum Faustkampf gipfelte. Dabei schlug Helm Frecca mit nur einem Fausthieb zu Boden, worauf dieser verstarb. Wulf, Freccas Sohn, der Zeuge dieser Tat war, schwor Rache und verschwand aus Rohan.
Er sollte Jahre später an der Spitze eines riesigen Söldnerheeres zurückkehren und Rohan durchlebte seine schwerste Zeit, denn aus Gondor, welches zur selben Zeit von Korsaren aus Umbar belagert wurde, war keine Hilfe zu erwarten.
Hammerhand trägt Furcht in die Herzen seiner Feinde
Nach einer verlustreichen Schlacht musste sich Helm zusammen mit seinem zweitältesten Sohn Hama in die Hornburg zurückziehen, während sein ältester Sohn Haleth als Wächter in Edoras zurückblieb und später von Wulf erschlagen wurde. Währenddessen harrte Helm mit seinem Sohn in der Hornburg aus. Das Belagerungsheer der Dunländer rückte an und ein schrecklicher Winter begann, der Rohan für 5 Monate unter Schnee bedeckte. Nach einer langen Belagerungszeit wagte Hama mit einem Trupp Reiter einen Ausfall, um Vorräte zu besorgen, doch sie kamen in einem Schneesturm um.
Mit dem Herzen voller Gram verschwand Helm aus der Festung und nach kurzer Zeit kam es zu Meuchelmorden in den Lagern der Belagerer. Dort hieß es, gehe Helm Hammerhand jede Nacht durchs Feindeslager und tötete die Männer mit bloßen Händen und labte sich an ihrem Fleisch. Und jede Nacht erklang das Horn von Helm Hammerhand durch die Klamm, erfüllte das Herz der Rohirrim mit Mut und ihre Feinde mit Furcht. Es heißt, keine Waffe eines lebenden Mannes konnte ihn töten.
Nach einer furchtbaren Schneesturmnacht fanden die Rohirrim ihren König tot vor den Toren der Hornburg, erfroren, aber aufrecht stehend und ungebeugt, voller Trotz dem feindlichen Lager entgegenblickend. So wurde Helm Hammerhand zum Symbol des unbeugsamen Verteidigers der Hornburg und der Rohrirrim und bis heute rufen die Rohirrim bei jedem Ausfall aus der Festung, die nun Helms Klamm genannt wurde, seinen Namen: „Helm. Helm. Helm ist wieder auferstanden!“
HDR als Anime, geht das?
Als die Amazonserie “Ringe der Macht” angekündigt wurde, gab es nebenbei die Bestätigung, dass man an einem Stand-Alone-Film als Anime arbeiten wolle. Nun Der Herr der Ringe als Zeichentrickfilm ist nichts Neues. Zum Hobbit gab es bereits 1966 einen Kurzfilm. 1977 und 1978 erschienen dann eine Zeichentrickversion vom Hobbit als auch von HdR. Aber Anime?
Auf der einen Seite befürchtete ich, man wolle (wie Disney es mit Krieg der Sterne gemacht hat) Tolkiens Welt mit minderwertigen Massenfilmprojekten fluten, um so viel Geld wie möglich auszupressen. Auf der anderen Seite war ich, was die japanische Filmkunst anbelangt, ein wenig zuversichtlicher, weil die Japaner sehr traditionell und reaktionär sind, was die Adaptionen von Büchern in Filmen anbelangt. Und gerade JRR Tolkien ist in Japan sehr beliebt und respektiert. Besonderes Vertrauen entwickelte ich, als bekannt wurde, wer der Regisseur sein würde, nämlich der talentierte Kenji Kamiyama.
Deswegen dachte ich mir: „Lass dich überraschen.“
Dann erschien die Amazonserie: „Oh, verdammt!“
Daher war klar, dass „Schlacht der Rohirrim“ von vornherein einen schlechten Start haben würde, da es im Rings-of-Power-Fahrwasser in die Lichtspielhäuser kommt.
Héra – Helms Tochter – eine halbkanonische Figur
Im Verlauf des vergangenen Jahres wurden immer mehr Hintergrundinformationen über den Film öffentlich, unter anderem, dass der Film 200 Jahre vor „Herr der Ringe“ spielen und die Saga von Helm Hammerhand erzählen werde. Allerdings wurde im selben Atemzug mitgeteilt, dass Helm nur als Nebenfigur seiner eigenen Saga auftreten wird! Denn stattdessen soll die Geschichte der namenlosen, oben erwähnten Tochter von Helm erzählt werden, die dann von den Filmemachern den Namen Héra bekam.
Und hier fingen die Probleme an: Gut, sie ist keine komplett erfundene Figur, wie es bei Tauril im Hobbit der Fall gewesen ist, aber wie will man die Geschichte über eine Figur erzählen, die nicht einmal einen Namen hat? Dann kamen die ersten Trailer und der Unmut in mir wuchs, weil man offensichtlich wieder die Geschichte einer feministischen Hollywood-Mary-Sue erzählen wollte, wie man es schon bei Female-Power-Galadriel oder bei Rey aus den Disney-Star-Wars-Sequels gemacht hat.
Trotz dieser dunklen Vorzeichen ging ich ins Kino und muss sagen: Ich war zum Teil positiv überrascht.
Gelungene Orte und ein starker Soundtrack
Zum einen muss man wirklich anerkennen, dass die Filmemacher versucht haben, keinen generischen Fantasyanime auf die Leinwand zu bringen, sondern sich an der Konzeptart von Alan Lee orientiert und mit Weta Workshop zusammengearbeitet haben, um so nah wie möglich an die Peter-Jackson-Trilogie heranzukommen.
Das kann man besonders an Edoras, Meduseld und Helms Klamm erkennen, wo es ihnen gelungen ist, die Mystik der Orte einzufangen. So ist die goldene Halle von Meduseld nicht der trostlose Ort aus HdR, sondern ist ein prachtvoller, lebensfreudiger Palast, wo Zusammenkünfte zelebriert und Feste gefeiert werden. Die Hornburg sieht tatsächlich wie eine uralte Festung aus, ein Ort der Geschichten erzählt und alte Geheimnisse in sich trägt.
Auch die Charakterdarstellung fand ich, bis auf ein- zwei Abzüge, über die meiste Zeit gelungen. So entspricht das Volk der Rohirrim den Vorgaben von Tolkien: Weißhäutig, blond, blauäugig, wo einzig Héra und Fréaláf Hildesohn die Ausnahmen bilden. (Wobei ich denke, dass Fréaláf eher einen Kompromissschwarzen darstellt, so ähnlich wie der Typ in „Hagen im Tal der Nibelungen“, der nur im Hintergrund zu sehen ist und keinen Text hat.)
Die Dunländer werden im Gegensatz dazu als dunkelhäutig, brünett und braunäugig dargestellt, was mich überrascht hat, denn immerhin spielen sie ja die Bösen in der Geschichte und wenn man bedenkt, dass dies ursprünglich als Rassismus-Vorwurf gegen Tolkien und die Peter-Jacksons-Filmtrilogie verwendet worden ist, würde es mich nicht überraschen, wenn Warner Bros. sich deswegen an ein Animestudio gewandt hatte, weil die Japaner sich nicht groß um Wokeness und politische Korrektheit kümmern.
Was die Hauptfigur Héra anbelangt, hat man sie nach dem klassischen japanischen Anime-Schönheitsideal gezeichnet: Ovales Gesicht, Stupsnase, kleiner Mund, langes wallendes rotes Haar, große Oberweite, nur auf die tellergroßen Augen hat man verzichtet. Und auch wenn es oberflächlich klingen mag, mir hat ihr Design gut gefallen, allen voran, weil es eine optische und attraktive Abwechslung zu der ganzen Uglification (zu dt. gezielte Hässlichmachung von weiblichen Hauptfiguren) ist, die sich in den letzten Jahren in den westlichen Unterhaltungsmedien durchgesetzt hat.
Die größte Stärke des Films ist ohne Zweifel der Soundtrack, denn hier hat man sich wirklich Mühe gegeben, die OST an das „Rohirrim“-Theme aus der Originalen-Herr-der-Ringe-Trilogie anzulehnen und durch eigene Variationen zu erweitern.
Vor allem der Song „Rider“, gesungen von der Sängerin Paris Paloma, schafft es perfekt, die raue Lebenswelt der Rohirrim zu beschreiben, einem Volk, das NICHT zu den großen Völkern von Mittelerde gehört, sich aber trotzdem gegen die dunklen Mächte Saurons behaupten muss.
Ein guter Anfang
Ich würde sagen, die ersten 20-30 Minuten des Films sind ohne Zweifel die Sehenswertesten, vor allem weil uns die Charaktere vorgestellt werden. So erscheint Héra nicht als die generische Rebellenprinzessin, wie in den Trailern, sondern ist eine überraschend ausbalancierte Figur. Man sieht ihr an, dass sie eine wilde und feurige Ader hat, doch gleichzeitig besitzt sie eine Sanftheit und Fürsorge für andere, die ihren Charakter ausgleicht. Gerade in den Dialogen kann man das erkennen, die wesentlich besser geschrieben sind als die von Die-Ringe-der-Macht, denn sie orientieren sich stärker an der ernsthaften und poetischen Sprechart von Tolkien.
Ebenso ist Wulf im ersten Teil ein überraschend gut geschriebener und tragischer Antagonist. Er wird nicht einfach böse, weil er böse auf die Welt gekommen ist oder Héra sein Heiratsgesuch ablehnt, sondern wird erst zum Schurken, nachdem er mit ansah, wie sein Vater von Helm totgeschlagen wurde und er die Demütigung der Verbannung über sich ertragen muss. Ein für den Zuschauer nachvollziehbarer Grund, wenn man noch den Grenzkonflikt mit den Rohirrim und den Dunländer miteinbezieht.
Aber es ist schließlich Helm Hammerhand, der jede Szene, in der er auftritt, dominiert. Seinen Charakter könnte man als schroff, direkt und gradlinig bezeichnen, ein Raubein eben, der aber auch ein natürliches Charisma ausstrahlt und über einen bissigen Humor verfügt. Ein Kriegerkönig, der eine Präsenz besitzt und dem man wirklich in die Schlacht folgen will. Man muss die Synchronsprecher, gerade Brian Cox, der Helm Hammerhand seine Stimme leiht, für ihre hervorragende Arbeit einfach nur loben.
Für Volk und Familie
Leider blickt im Film durch, dass Helm ursprünglich als Hauptfigur vorgesehen war, nur hatte man beschlossen, dass Héra diese Rolle übernehmen sollte, deren Charakteraufbau eher dem einer Nebenfigur entspricht. Trotzdem muss man lobend erwähnen, dass die Filmemacher sich wirklich Mühe gegeben haben, Héra nicht zu einem Mary-Sue-Girlboss verkommen zu lassen.
Ja, sie ist eine talentierte Reiterin, eine fähige Kämpferin und verfügt über ein gewisses Verständnis von Strategie und Taktik, aber sie verliert die meisten Kämpfe gegen körperlich stärkere Gegner und muss von anderen gerettet werden. Sie ist weder unbesiegbar, noch allmächtig oder allwissend und tatsächlich braucht sie von anderen oft einen Anstoß, damit sie überhaupt anfängt zu handeln.
Und es wird gezeigt, dass ihre erste Sorge immer ihrem Volk und ihrer Familie gilt und sie auch zu Opfern bereit ist, um sie vor Krieg, Leid und Tod zu beschützen, was übrigens die Hauptbotschaft des Films ist, die tatsächlich „Wir retten unser Volk“ oder „Rohirrim First“ lautet und den Kinobesucher mit pseudogutmenschlichen Gaslighting verschont. Ja, es gibt viele Reviewer die behaupten, sie sei eine Mary-Sue, aber ich denke, dass ihr Charakter eher unausgereift ist und nicht fertig geschrieben wurde.
Woran scheitert er?
Doch trotz der ansatzweisen guten Arbeit muss man eingestehen, dass der Film über weite Strecken schlicht gescheitert ist. Wenn man sich diese Tage den Wikipedia-Beitrag von „War of the Rohirrim“ durchliest, merkt man, dass es schon beim Drehbuch Probleme gegeben hat. Niemand wusste genau, wie sie den Hauptplot schreiben sollten, keiner wusste, wie sie die Protagonistin Héra aufbauen sollten. Sogar bei ihren Namen gab es x-mal Umbenennungen und jeder hatte seine eigenen Vorstellungen, wie der Film aussehen sollte.
Dazu gab es noch Budgetschwierigkeiten, es wurden nur 30 Millionen Dollar in das Filmprojekt investiert und offensichtlich hat man das Werbebudget einfach gestrichen. Tatsächlich haben die Produzenten mittlerweile selbst zugegeben, dass der Film nur dazu da war, damit Warner Bros. und New Cinema Lines die Vertragsbedingungen aufrechterhalten und die Lizenzrechte von Tolkiens Werke behalten können. Im englischen Sprachraum nennt man so etwas eine „Ashcan Copy“, also etwas „Schnell und Billig“ auf die Leinwand zu bringen.
Fazit
Der Film ist kein Meisterwerk. Er hat einen zu kurzen Anfang, einen zu langen Mittelteil und ein zu abruptes Ende. Die Charakterentwicklung kommt zu kurz und es werden permanent Zitate aus der Peter-Jackson-Trilogie wiedergegeben, was mit der Zeit nervt. Auch die die Animationsqualität lässt im Verlauf nach.
Dennoch schaffte es das Filmteam mit seinem geringen Budget bei mir mehr Mittelerdegefühl auszulösen, als Amazon mit seinem halben Milliarden Dollar Budget. Insbesondere dann, wenn König Helm eine Ansprache hält oder die Rohirrim in die Schlacht reiten. Und selbst Héra hat ihren Moment, als sie sich einer Walküre gleich Wulf entgegenstellt.
Kenji Kamiyama und sein Filmteam haben tatsächlich versucht, sowohl den mystischen Ort Mittelerde, wie man ihn in der Peter-Jackson-Trilogie gesehen hat, wie auch die sagenhafte Geschichte von JRR Tolkien in einen Animefilm zu adaptieren. Leider sind sie daran gescheitert.
Auch wenn es komisch klingen mag, kann ich dieses Scheitern mehr Wertschätzen als alles, was die Amazonserie hergeben hat, denn hier merkt man, dass mit Herzblut und Leidenschaft gearbeitet wurde. So werte ich den Animefilm als Experiment, das weder gänzlich gelungen noch misslungen ist, und wahrscheinlich als Anthologie-Serie besser funktioniert hätte.