Lange hatte man auf Kingdom Come: Deliverance II gewartet. Doch kurz vor dem Release überschatten nun Informationen aus Saudi-Arabien und geleakte Spielszenen das Projekt. Es scheint, als wäre der Schatten von „Diversity, Equity and Inclusion“ (DEI) über die Fortsetzung des europäischen Rollenspiel-Überraschungshits aus dem Jahr 2018 gefallen. Was ist passiert?
Vorsicht! Rote Flaggen!
Im Januar tauchte das inzwischen bestätigte Gerücht auf, dass Kingdom Come II im saudi-arabischen Playstation Store nicht verfügbar sein würde, als Grund wurde eine unüberspringbare homosexuelle Liebesszene während der Haupthandlung angegeben. Etwas, was den Hauptcharakter Heinrich des ersten Teils retroaktiv zu einem Bisexuellen macht
Begleitet wurde dies zudem von Screenshots, die nicht nur einen schwarzen, malischen Charakter namens „Musa“ am kaiserlich-königlichen Hof in Böhmen zeigen, sondern jener schwarze islamische Gelehrte – der damit auch noch Eigenschaften eines Magic Negro annimmt – lässt unseren Hauptcharakter auch noch wissen, dass im Islam Frauen deutlich besser behandelt würden als im christlichen Europa.

Wer da nicht direkt Rote Flaggen sieht, hat vermutlich die Entwicklung der Videospielindustrie in den letzten fünf bis zehn Jahren verschlafen und lebt in seliger Unwissenheit, was die Schrecken von Sweet Baby Inc. und progressiver Einstellungs- und Entwicklungspraxis in den großen Studios dem Kulturgut Videospiel angetan haben.
2024 war ein Jahr fundamental gescheiterter vermeintlich hochkarätiger und mehr oder weniger ausdrücklich progressiver Videospielprojekte wie Dustborn, Concorde oder Dragon Age: The Veilguard. Und für das verschobene Assassins Creed: Shadows, einem Dindu Nuffin Simulator im mittelalterlichen Japan, sieht es nicht viel besser aus.
Es wäre dringend erforderlich gewesen, dass der Studiochef Daniel Vavra hier Klarheit schafft.
Hoffnung auf ein idealrechtes Spiel
Doch warum überhaupt all das Drama? Wenn es eine woke Produktion ist, könnte man es ja ebenso vorbeiziehen lassen wie die Schlops und Flops des vergangenen Jahres. Das hat mit dem Respekt zu tun, den sich Warhorse mit dem ersten Teil erarbeitet hatten und der Erwartungshaltung, die sich deshalb an den Nachfolger knüpft, die man jetzt möglicherweise dafür nutzt, um weniger informierte konservative Kunden auszunehmen, die das Spiel entweder an Tag 1 kaufen wollten oder sogar vorbestellt haben.
Als Kingdom Come: Deliverance erschien, war es eine Art idealrechtes Spiel mit einer Menge guter Old-School-Design-Entscheidungen. Wir haben einen jungen, weißen, heterosexuellen, europäischen Hauptcharakter, der sich auf eine klassische Heldenquest begibt, um vom einfachen Dorfjungen zum Ritter zu werden. Das Setting ist das reale Europa des Mittelalters (eine ohnehin basierte Epoche) und spielt auch vor dem Hintergrund ernster historischer Ereignisse.
Dabei trat das Spiel mit dem Anspruch an, möglichst historisch und kulturell authentisch zu sein und setzte das mit einer grafisch beeindruckenden, riesengroßen und streng simulierten Welt um. Das Kampf-Gameplay war daran angepasst und verglichen mit den schnellen Action-Kämpfen zeitgenössischer Spiele behäbig, aber herausfordernd und der Tatsache angemessen, dass Protagonist Heinrich kein überlebensgroßer Pulp-Held ist.
Neben der beeindruckenden Leistung als ein mittelständischer und mitteleuropäischer unabhängiger Entwickler so ein Spiel zu realisieren, erwies sich Studiochef Vavra als jemand, der bereit war, den Kampf mit Spielepresse und woken Aktivisten aufzunehmen, um seine Vision eines mittelalterlichen Böhmens („Es gibt keine Schwarzen im Böhmen des 15. Jahrhunderts“) zu verteidigen.
Dem Versuch, das Spiel medial zu skandalisieren, zu canceln und ihn damit zu mehr Diversität und Inklusion zu zwingen (u.A. in dem man Vavra ideologische Nähe zu Neonazis unterstellte), hielt er nicht nur stand, sondern keilte in bester Trump-Manier auch rabulistisch zurück. Das brachte ihm nicht nur viele Sympathien gerade bei konservativen, anti-woken bis rechten Core-Gamern und Spieleenthusiasten ein, die sich endlich mal wieder über ein ernstzunehmendes Rollenspiel freuen konnten, sondern machte den ersten Teil zu einem großen wirtschaftlichen und qualitativen Erfolg.
Und das sorgte für ein enormes Vorschussvertrauen und eine Menge Vorfreude auf den zweiten Teil dieser Saga. Doch scheint es nun, als sei dieses Vertrauen hintergangen worden.
Ein Skandal in Böhmen
Vavra hatte sich nach Tagen des Schweigens zu einer ersten Reaktion herabgelassen, in der er die im Raum stehenden progressiven Eskapaden relativierte und darauf verwies, dass Heinrichs homosexuelle Romanze rein optional und Sexszenen überspringbar seien, für die Spieler, die ihn in diese Richtung spielen wollen und das die Spielwelt selbstverständlich mit zeitgenössischer Moral darauf reagieren und dies Konsequenzen haben würde. Das gleiche gelte auch für Musa. Dieser soll laut Vavra in Böhmen selbstredend auffallen und auch entsprechende Reaktionen ernten. Alles gut also? Nicht so ganz.
Vavra reagierte seinem hitzköpfigen Naturell entsprechend und beschimpfte erst einmal munter Kritiker auf Twitter. Es gab schon, als die Vorwürfe aufkamen, mahnende Stimmen, dass man erst einmal abwarten solle, wie das im Spiel tatsächlich umgesetzt würde und die sich eine Reaktion von Vavra zur Klarstellung gewünscht hatten. Ein Problem für Vavra war, als diese eigentlichen „Verteidiger“ implizierten, dass das schlechte Community Management dazu beigetragen habe, dass potenzielle Käufer ihre Vorbestellungen storniert hätten. Sie wurden dann auch Ziel seiner Angriffe. Verwiesen sei hier auf den YouTuber „Rev says Desu“.
Derweil legte das Community-Management auf der Steam-Seite des Spiels noch einmal nach, in dem es den dort aufgekommenen Debatten mit Zensur und der allzu bekannten Einführung eines Code of Conducts begegnete, um sogenannte Hatespeech einzudämmen. Zur Kritik am Community Management äußerte sich Vavra hingegen gar nicht. Er war damit beschäftigt, offensiv dem Eindruck zu widersprechen, dass dem Unternehmen durch Stornierungen ein wirtschaftlicher Schaden entstanden sei.
Das Ganze schien aber trotzdem einen Nerv getroffen zu haben, denn nebst dem Zurückkeilen gegen Kritiker beeilte man sich zu vermitteln, dass diese Entscheidungen selbstverständlich nichts mit DEI zu tun hätten – das wäre auch sehr peinlich, denn Vavra hatte sich nur Wochen zuvor über das Versagen von Dragon Age: The Veilguard aus diesem Grund lustig gemacht – sondern die freie kreative Entscheidung der Entwickler wären. Wie wir Steam-Forum von offizieller Stelle erfahren, sollte Heinrich schon im ersten Teil die Möglichkeit haben, eine optionale homosexuelle Romanze haben zu können, die aber nur aus Kostengründen nicht realisiert wurde.

Statt aus dem Sumpf heraus, strampelte man sich seitens Warhorse immer weiter hinein.
Moderne Themen müssen nicht schlecht sein
Kann es also eine authentische kreative Entscheidung sein? Durchaus möglich. Spieler bevorzugen bei Romanzen in Spielen gerne eine größere Auswahl an Partnern, auch Homosexuelle spielen Spiele und werden die Option ihr persönliches Brokeback Kingdom zu erleben sicher wertschätzen und andere Spieler werden die Option womöglich deshalb ausprobieren, um zu schauen, ob sich diese Romanze tatsächlich in einer relevanten Art von den anderen Liebschaften unterscheidet und die Welt entsprechend reagiert.
Das Gleiche gilt für Musa. Warhorse haben sich bemüht, eine halbwegs glaubwürdige Hintergrundgeschichte für diesen Charakter zu erfinden, die es erlaubt, ihn im Böhmen des Mittelalters auftreten zu lassen. Man kann jetzt autistisch darüber streiten, ob die Wahl eines Maliers die beste Option dafür gewesen wäre und nicht etwa ein arabischer, granadischer oder wenigstens äthiopischer Gelehrter realistischer gewesen wären und Gründe herbei spekulieren, warum es ein Westafrikaner sein musste, aber das verfehlt vielleicht den Punkt.
Exotische Charaktere, wenn sie tatsächlich auch als exotisch in die Welt eingebaut werden, können interessante Plotdevices abgeben, gerade weil sie aus der sonstigen Erzählwelt herausstechen. Der Bruch der Normalität schafft interessante Erzählgelegenheiten. Man führt etwas Fremdes in das Vertraute ein oder wirft jemanden in eine fremde Umgebung. Ein William in Nioh zum Beispiel funktioniert als Protagonist, weil er ein europäischer Fremder ist, dem man Sachen (und somit dem Spieler) erklären kann, die für einen einheimischen Japaner eigentlich klar sein müssten, man vertieft damit aber zugleich die mystische Fremdartigkeit der von Yokai bewohnten Spielwelt, die man darstellen will.
Aber können wir Warhorse Studios noch vertrauen?
Diejenigen, für die ein Kauf zeitnah zum Release eine sichere Sache war, weil der erste Teil so gut war, taten dies aufgrund von Vorschussvertrauen. Können wir Warhorse also noch vertrauen? Absolut nicht!
Wie glaubwürdig sind Vavras Beteuerungen, all dies hier fände nur statt, weil er und seine Entwickler das aus freien Stücken so wollen?
Nach den rein heterosexuellen romantischen Abenteuern Heinrichs aus dem ersten Teil wirkt die homosexuelle Option nun mindestens überraschend. Schon im Vorgänger gab es etliche Möglichkeiten, damit der junge Mann seine Unschuld verliert (und ein Achievement dafür, dass er sie bis zum Ende des Spiels behält). Man kann also nicht sagen, dass seitens der Entwickler nicht ein besonderes Augenmerk darauf gelegt wurde. Dass da angeblich nicht genug Ressourcen für einen bisexuellen Seitensprung dagewesen sein sollen, wenn er denn geplant gewesen sei, erscheint merkwürdig.
Auch die plötzliche Offenheit von Vavra, doch Schwarze in das Mitteleuropa des Mittelalters zu integrieren, kommt nach der vehementen Verweigerung noch im ersten Teil sehr überraschend. Und dass die Idee eines reisenden Gelehrten oder Kaufmanns genau das Narrativ bedient, dass damals auch durch die Spielepresse gereicht wurde, warum Städte schon im Mittelalter total bunt und multikulturell gewesen seien (nicht ganz falsch, aber nicht das, was die DEI-Fraktion sich darunter vorstellt), jetzt hier aufgegriffen wird, wirkt schon wie ein nachträgliches Zugeständnis an diese Debatte.
Wessen Brot ich ess…
Nun wirkt Vavra wie ein hitzköpfiger Sturschädel. Aktuell bläst er den Twitterkampf gegen seine ehemaligen Unterstützer auf. Erzählt, dass er damals von Linken und jetzt eben von Nazis angegriffen würde, weil sie ihn in seiner künstlerischen Freiheit einschränken wollen. Okay, Brudi. Die Sache ist, dass man genauso gut annehmen kann, dass jemand mit einem Ego wie Vavra selbst unter vorgehaltener Waffe niemals öffentlich zugeben würde, dass er nicht kreativ frei ist und andere (ein Eigentümer oder Publisher zum Beispiel) ihn bei den Eiern haben. Außerdem würde es ein schlechtes Licht auf ihn und sein Unternehmen werfen.
Denn 2019 wurden die bis dahin eigenständigen Warhorse Studios von der Koch Media Gruppe (die Koch Media Tochter Deep Silver war der Publisher des ersten Teils) aufgekauft, die wiederum ein Jahr zuvor von THQ/Nordic (heute Embracer Group) übernommen wurde und heute als Plaion firmiert. Das Community Management für Warhorse, also die Betreuung der Steam-Diskussionen, wird zum Beispiel von Plaion erledigt. Und wenn wir uns im Bereich so großer Publishing-Konzerne bewegen, sind ESG-Richtlinien und DEI-Programme nicht weit weg, und sei es nur, um die öffentlichen Erwartungen zu erfüllen und Investoren einen Bären über das gesellschaftliche Engagement aufbinden zu können.
Homosexuelle Romanzen und ethnisch diverse Charaktere können hier „Empfehlungen“ dieser übergeordneten Ebenen entspringen, um Marketingmöglichkeiten und Zielgruppen (aka Modern Audience) zu erweitern oder eben diesen Programmen genüge zu tun. Oder man hat sich bei der durch die neuen Finanzmittel möglichen Vergrößerung des eigenen Studios progressive Giftspritzen an Bord geholt, die der Meinung sind, dass das mittelalterliche Böhmen ohne Afrikaner zu langweilig ist.
Zum Release erstmal Finger weg
Wir können es nicht wissen, bis das Spiel erschienen ist und jemand einen Blick auf den kulturbereichernden islamischen Frauenrespektierer und Heinrichs potenziellen warmen Rittersbruder werfen konnte… und was sich womöglich sonst noch so in der Geschichte verbirgt, von dem wir bisher gar nichts wissen.
Warhorse haben mit der Kommunikation der letzten Wochen jedes Vertrauen verspielt. Vavra hat darüber hinaus hieraus eine Arena-Situation gemacht. Verkauft sich das Spiel nun zum Start zu gut, wird er sich in seiner „kreativen Entscheidung“ nur bestätigt fühlen und dieses Versagen beim Gatekeeping wird uns womöglich ein weiteres Studio mit Potenzial kosten. Wir können also nur davon abraten, Kingdom Come: Deliverance II zum Release zu kaufen. Wenn ihr noch eine Vorbestellung laufen habt, dann storniert sie noch rechtzeitig und wartet, wie es ohnehin am besten wäre, auf die ersten Erfahrungsberichte.