Daß sich die USA im Abstieg befinden, ist in vielen Bereichen unübersehbar. Dennoch schaut die ganze Welt immer noch wie gebannt, was da an Kultur – eigentlich: Unkultur – aus diesem Land kommt. Selbst wer die aus den USA weltweit verbreitete Zersetzung erkennt und versucht, dagegen anzukämpfen, kann sich ihr nicht ganz entziehen. Es ist ein süßes Gift, das hier verbreitet wird.
Zersetzung wahrer Kultur im eigenen Land
Was man bei aller Kritik immer wieder zugestehen muß: Die USA haben bemerkenswerte Kulturleistungen hervorgebracht. Besonders auf dem Gebiet der Literatur von Jack London bis zu Edgar Allen Poe, von H. P. Lovecraft bis zu Tom Wolfe. Heute werden diese Leistungen in den nun multikulturellen, woken USA Stück für Stück zerstört, boykottiert oder zensiert. Es lohnt sich daher, versunkene oder verborgene Schätze guter Autoren zu bergen.
Der zeitgenössische Schriftsteller Tito Perdue gehört unzweifelhaft dazu. Seine Bücher handeln überwiegend in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den USA. Man kann von seinen Romanfiguren auf seine eigenen historischen Vorlieben schließen, die jedoch nicht in den USA, sondern mit weitem Abstand in der griechischen Antike liegen. Alles wird an dieser idealisierten Zeit gemessen. Insofern ist für Perdue die griechische Antike ein bisher nie wieder erreichter Höhepunkt menschlicher Entwicklung gewesen.
Eine „goldene Zeit“ der USA?
Bei aller Verachtung der Gegenwart betrachtet Perdue die USA zwischen den 40er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts als einen kurzzeitigen Lichtblick. Dies gilt für alle Lebensbereiche jener im Vergleich zu heute goldenen Jahre. So war schon die Art sich zu kleiden, die Sprache, der allgemeine ästhetische Geschmack und der Bildungsstand der heutigen Zeit weit überlegen. Mit deutlich über 90% weißer Bevölkerung gab es in weiten Landesteilen eine nahezu homogene Gesellschaft.
Diese Jahre markierten die absolute Dominanz der USA weltweit. Doch die Weltpolitik ist für Perdue nicht maßgebend. Der gesellschaftliche Niedergang hingegen ist für Perdue ein von jedermann erfahrbarer Prozeß, den er literarisch einzigartig beschreibt. Hier treffen zwei inkompatible Welten aufeinander: Das Amerika auf dem Höhepunkt seiner Leistungsfähigkeit und das degenerierende Amerika der Zeit danach.
Den Niedergang satirisch verarbeitet
Perdue ist ein unvergleichlich präziser Beobachter des Niedergangsprozesses in den USA, dessen verschiedene Facetten er selektiv mit den Augen eines herausragend gebildeten Außenseiters betrachtet. Seine Romanfigur „Lee“ ist in vielem ein Spiegelbild von Perdue selbst, der in seinen Werken viel Autobiographisches verarbeitet hat und darüber hinaus radikal und teilweise grenzwertig ausformuliert, was er kaum oder nur ansatzweise selbst vorgelebt hat.
Das Moderne, Häßliche und „woke“ verachtet Perdue, Degenerierte und Ungebildete konsequenterweise ebenso. In seinem Kurzroman „Though we be Dead“ liefert Perdue anläßlich eines fiktiven Klassentreffens des Abschlußjahrgangs 1956 etliche Portraits von gealterten Klassenkameraden, die die verschiedenen Facetten der amerikanischen Dekadenz schlaglichtartig aufzeigen und für den Teilnehmer Lee grotesk bis abstoßend wirken.
Der einzelne hochstehende Mensch hat keinen Platz mehr in dieser Welt und muß doch irgendwie sein Überleben meistern. Wie schafft man das, wenn man auch noch auf Grund besonders feiner Sensoren diesen Niedergang viel extremer wahrnimmt, als es der Masse überhaupt möglich wäre? Perdue versucht mit der Romanfigur „Lee“ anscheinend eine Art Selbsttherapie, indem er sich mit aller Wut von der Seele schreibt, was ihn selbst in die Resignation zu treiben droht.
Qualität statt Quantität
Das schriftstellerische Werk von Tito Perdue umfaßt bisher 23 veröffentlichte Romane und Kurzromane. Deutsche Übersetzungen gibt es leider nicht. Die meisten Romane handeln von dem fiktiven (Dr.) Leland („Lee“) Pefley. Sie sind chronologisch ungeordnet erschienen und stehen ganz für sich, letztlich aber auch noch in einem größeren Zusammenhang. Man kann sie in beliebiger Reihenfolge lesen.
Für den Einstieg in das vielseitige Werk von Tito Perdue empfehlen sich „Lee“, „Philip“ und „The Node“. Diese drei Bücher bilden die ganze Bandbreite von Perdues Schaffen ab. Während in „Lee“ ein Ausschnitt aus Lees Leben in Form einer gesellschaftlichen Satire beschrieben wird, handelt es sich bei „Philip“ um einen ernsthaften Kurzroman über einen tödlich erkrankten jungen Mann, der seine persönliche Konsequenz aus der Krankheit zieht. In „The Node“ liefert Perdue ein zumindest literarisch hochwertiges Albtraumszenario aus den zukünftigen USA, in denen die Weißen eine Minderheit wurden, mit dem Ergebnis eines gewaltsamen Konfliktes.
Die Mehrzahl seiner bisher 23 veröffentlichten Romane wurden in immer kürzeren Abständen bis zum heutigen Tage in Kleinverlagen verlegt. Sein Buch „The Node“, 2011 bei Nine-Banded-Books erschienen, hatte gerade mal 125 handsignierte Exemplare Auflage. Das Cover stammte bemerkenswerterweise von Alex Kurtagic. Bei „American Standard Publishers“ erscheinen seine Werke nun nach und nach in einer Gesamtausgabe.
Der Mann aus dem Süden
Tito Perdue legt großen Wert auf seine Abstammung. Dabei ist es bezeichnend, daß er dabei neben Siedlern vor allem konföderierte Soldaten aus Alabama nennt. Diese Herkunft spiegelt sich dann auch in den meisten seiner Romane wider. Mit Stolz erwähnt er einen Vorfahren, der unter dem famosen Südstaaten-General Andrew Jackson an der Schlacht von New Orleans teilnahm. Perdues Figur „Lee“ erinnert an den berühmten Südstaatengeneral Robert E. Lee. Konsequenterweise ist Tito Perdue Mitglied der „League of the South“, einer neokonföderierten politischen Organisation.
Perdue wurde 1938 in Chile geboren. Dorthin hatte es seine Eltern aus beruflichen Gründen verschlagen. Sein Vater war Ingenieur. Aufgewachsen ist er in den USA. 1957 flog er aus dem Antioch College, Ohio, wo er sich auf damals unzulässige Art und Weise mit seiner Freundin und späteren Frau Judy eingelassen hatte. Mit 18 heiratete er. Die Ehe war dauerhaft. An der University of Texas erwarb er den Grad eines B.A.s. Nach verschiedenen, teils wenig zufriedenstellenden Jobs, geriet er endgültig in Konflikt mit einem System, das er politisch-gesellschaftlich zutiefst verachtete. Das Ergebnis war der heikle Entschluß, sich ab 1983 nur noch der Schriftstellerei zu widmen.
Es lief zunächst gut an
Perdue hat zu Beginn seiner schriftstellerischen Tätigkeit natürlich nicht gewußt, was auf ihn zukommen würde. Bevor er sich für ein Leben ausschließlich als Schriftsteller entschied, gab es erste Versuche, die überraschend positiv aufgenommen wurden. Die Fachwelt war begeistert:
„Tito Perdue ist ohne Frage einer der wichtigsten zeitgenössischen Südstaaten-Schriftsteller, die wir haben – und sollte sicherlich zu den wichtigsten amerikanischen Schriftstellern des 21. Jahrhunderts gezählt werden.“ (New York Press).
„(Perdues) Sprache ist vitriolisch und halluzinatorisch, aber dennoch überraschend klar und erzeugt ein Bildnis, das sowohl äußerst seltsam als auch beunruhigend ist“ (The New York Times Book Review“).
„(Perdue besitzt) eine magisch beschwörende Beschreibungskraft, die von einem ikonoklastischen Standpunkt aus scharfsinnig ist“ (Publishers Weekly).
Die Begeisterung für sein literarisches Talent hielt nicht lange an. Schnell erkannte man im Mainstream bei den frühen Wächtern der Politischen Korrektheit, wie gefährlich Perdue werden könnte. Nach seinen ersten Büchern versiegten die positiven oder neutralen Rezensionen. Es wurde schwer, überhaupt noch einen Verlag zu finden. Perdue wurde dem Vergessen überlassen und boykottiert. Immer seltener erschienen Artikel über ihn und sein Werk. Seine dichterischen Schöpfungen gingen währenddessen unvermindert weiter.
Lee – Protagonist und sympathischer Soziopath
Da die Romanfigur „Lee“ im Zentrum von Perdues schriftstellerischem Schaffen steht, ist eine nähere Beschäftigung mit ihm von wesentlicher Bedeutung. Lee wird über die Lebensjahrzehnte bis hin zum alten Mann episodenhaft beschrieben. Ihm zur Seite steht seine Frau Judy, die er altern und sterben sieht, während er sie unfreiwillig überlebt. Judy ist eine Partnerin, die Lee abgöttisch bis über den Tod hinaus liebt und oft seine Gedanken beherrscht, die aber als handelnde Person keine Rolle spielt. Ihr Tod vergällt Lee sein Weiterleben, verbittert ihn und weckt den Wunsch ihr zu folgen.
Je älter Lee wird, um so bizarrer und absurder wird es mit ihm. Im hohen Alter ist Lee mit vielen körperlichen Gebrechen belastet, während sein Verstand weniger leidet. Er hat Schmerzen, muß ständig urinieren, ist vergeßlich und sogar ab und zu verwirrt. Das hindert ihn aber nicht, die ihn umgebenden gesellschaftlichen Mißstände klar zu erkennen. Mittels Alkohol und später mit großzügigem Medikamenteneinsatz betreibt Lee Raubbau an seinem alternden Körper. Die von ihm wahrgenommene zunehmende Verschlechterung der Verhältnisse um ihn herum läßt ihn zunehmend aggressiv, überheblich, unduldsam, Argumenten unzugänglich und von Gewaltphantasien durchdrungen werden. In seinem letzten Lebensabschnitt verschwimmen mit seinen schwindenden Kräften bisweilen Realität und Fiktion.
Lee – Das ambivalente Ekel
Lee ist permanent wütend. Er träumt von der Ausrottung alles Häßlichen und Degenerierten, hat eine grenzenlose Verachtung für Halb- und Ungebildete, ist in jeglicher Hinsicht politisch unkorrekt und isoliert. Er beteiligt sich an einem absurden Plan für einen gewaltsamen Umsturz in den USA und begeht auch mal Brandstiftung. Muß er urinieren, kann es auf und an Objekten seiner Verachtung geschehen. Sein Auftritt ist für seine Zeitgenossen empörend und verstörend zugleich.
Normalerweise reichen diese extremen Verhaltensauffälligkeiten für den normalen Leser, um sich angewidert abzuwenden. Man ist vordergründig ein wenig an Charles Bukowski erinnert, den Meister drastischer und abartiger Szenen, doch Perdues Held hat auch eine andere, dominierende Seite. Perdues Lee ist nämlich hochgebildet, mit klaren, hehren Idealen.
Was bleibt schließlich einem alten Mann übrig, außer ohnmächtige Wut und grenzenlose Verachtung für seine Umgebung? Die schiere Verzweiflung macht ihn schließlich immer unberechenbarer, nachdem ihm sein Alter, der Tod seiner Frau sowie der erbärmliche Zustand der Gesellschaft alle Illusionen genommen haben.
Lee trägt in seiner späteren Zeit ständig eine Pistole mit sich herum, die er jedoch kaum richtig bedienen kann, die ihm nichts nützt, außer seine Gewaltphantasien geradezu grotesk zu übersteigern. Gelegentlich ist es auch ein Knüppel oder sogar ein „Gizmo“, ein wundersames Phantasieinstrument für unterschiedliche Zwecke, auch als Waffe verwendbar. Der Einsatz seiner Waffen richtet entweder garkeinen, nur einen geringen oder einen sinnlosen Schaden an. Zumeist bleibt es bei jenen Gewaltphantasien, wobei die Hemmschwelle unglaublich niedrig ist. Lee wirkt wie aus der Geschichte gefallen – ein lebender Anachronismus, natürlich auch ein Reaktionär.
Lee – Der gebildete Leser
Auf 12.000 Bücher beziffert Lee seine Lebensleseleistung, was eine maßlose Übertreibung des Möglichen darstellt. In allen passenden und unpassenden Situationen hat er ein Buch dabei. Ständig liest er ein paar Seiten. Ohne Lesen geht nichts, es wird zur Obsession. Und wenn es auch der anscheinend überflüssigste Gegenstand ist, während es situativ an allem mangelt, muß Lee lesen.
Eine Systematik läßt sich dabei nicht erkennen. Die von Perdue gelegentlich benannten Bücher sind in aller Regel uralte Bücher, mit Titeln und Themen, die selbst dem gebildetsten Leser unbekannt sind – sofern sie überhaupt existieren. Ihre Spezialthemen stehen in starkem Kontrast zur Realität. Lee kann mit seiner Bildung gar nichts anfangen: Während sie ihn selbst in ungeahnte Höhen führt, beschleunigt sich parallel ungebremst der Niedergang der Gesellschaft. Sie wirkt eher wie ein Narkotikum in einer Zeit schwindender Bildung und fehlender Perspektiven.
Was macht „Lee“ mit uns?
Perdue macht es dem Leser also nicht leicht. Sein Held ist kein richtiger Held, jedoch überraschenderweise in seiner soziopathischen Maßlosigkeit immer noch besser als seine ihn umgebenden Figuren. Man wählt instinktiv die Seite von Lee, wird aber nie damit ganz zufrieden sein. Immerhin schafft es Perdue, daß der Leser beim Umblättern jeder Seite sich mit wachsender Verunsicherung innerlich darauf vorbereitet, daß es immer noch schlimmer kommen kann. Es gibt kein Happy End. Lees Rigorosität im Kleinen spiegelt deren Notwendigkeit im Großen vor dem Bild des Niederganges wider. Perdue zwingt den Leser, fängt er an über Alternativen oder Lösungen nachzudenken, angesichts der trostlosen Perspektiven selbst in tiefste Abgründe hinab.
Die Handlung spielt bei den Büchern über Lee zumeist eine untergeordnete Rolle. Statt einer spannungsgeladenen Geschichte geht es um das Aufeinanderprallen von Menschen zweier inkompatibler Welten. Perdue beobachtet und schildert dies mit unvergleichlicher Präzision. Er zwingt den Leser permanent zur Reflexion. Wo steht man selbst und wie hätte man sich selbst in einer bestimmten Situation verhalten? Der Leser ist gezwungen, selbst zu analysieren, selbst zu entscheiden, ob und wie weit er dem Romanhelden Lee folgen will.
Weitere Bücher
Neben den ausgewählten Erlebnisepisoden seines Protagonisten Lee hat Perdue auch andere Bücher geschrieben. Da wären „The Node“ und „Ruben“, die verschiedene Szenarien einer Art Reconquista entwerfen, nachdem die Weißen in den USA zu einer Minderheit unter vielen wurden. Sie handeln vom Selbstbehauptungswillen entschlossener Männer, die es schaffen, das Überleben der eigenen Art erfolgreich unter Einsatz äußerster Mittel zu sichern.
Mit „Cynosura“ und „The Sweet- Scented Manuscript“ schrieb Perdue zwei Liebesromane. In beide sind autobiographische Erlebnisse eingeflossen. Dabei dürfte es überflüssig sein zu erwähnen, daß es sich in beiden Fällen um mehr als um die Beschreibung der Liebe zweier Menschen handelt.
Das umfassendste Werk Perdues ist seiner Familiengeschichte entlehnt, die im späten 19. Jahrhundert beginnt, auf rund 1.200 Seiten mit „The Builder“, „The Churl“, „The Engineer“ und „The Bachelor“. Es ist eine Saga, die den Lebenskampf und das erfolgreiche Vorwärtsstreben beinhaltet, also: Pioniergeist, harte Arbeit und die Fähigkeit, mit Rückschlägen fertig zu werden.
Fazit
Tito Perdue ist nicht nur ein begabter Schriftsteller. Mit seinen satirischen Romanen läßt er schlaglichtartig Situationen entstehen, die das ganze Ausmaß an Absurdität des modernen Amerikas deutlich machen. Perdue wird einst zu den Schriftstellern gehören, deren Größe erst nach ihrem Tod voll erkannt wird. Er ist sowohl literarischer Analytiker des drohenden Unterganges, als auch ein Repräsentant eines anderen Amerikas, das sich gegen den heutigen Albtraum einer postmodernen USA stemmt. Tito Perdues Werk kann jenen Trost spenden, die wie er selbst, den Niedergang des ganzen Westens seit etlichen Jahrzehnten ertragen müssen, ohne dem Rad wirksam in die Speichen greifen zu können. Perdues Botschaft lautet: Es ist wohl unser Schicksal unterzugehen oder aber ein letzter, derzeit noch nicht erkennbarer Kraftakt bewahrt uns davor.