Vergesst den Satz „Widerstand ist zwecklos.“ und vergesst die Borgkönigin. Heute rollen wir die Zeit zurück zu der ersten Folge, welche die Borg einführte: Zur Staffel 2 Episode 16 von „Star Trek – Das nächste Jahrhundert“ mit dem unscheinbaren Titel „Zeitsprung mit Q“. Denn diese Episode lässt uns das kosmische Grauen in einer Intensität spüren, die später nie wieder erreicht wurde. Und selten wurde der Transhumanismus derart ästhetisch und erschreckend in Szene gesetzt wie bei den Borg. Aber eins nach dem anderen.
Star Treks optimistische Zukunft
Star Trek zeigt eine ungeheuer optimistische und auch naive Vision der Zukunft. Der Weltraum lädt ein zu unendlichen Entdeckungsreisen und Abenteuern. Er ist voller Leben und überall stoßen wir auf humanoide Spezies. Die Technik hat den Menschen nicht korrumpiert, sondern ihn im Gegenteil ein Werkzeug in die Hand gereicht, um nach Höherem zu streben. Schiffscomputer, Holodeck, Warpantrieb, Beamen und Replikatoren sind fantastische Erfindungen, machen den Menschen aber nicht überflüssig.
Diese Kombination lässt ein gewisses behagliches Gefühl der Gemütlichkeit aufkommen, welches die Serie „The Next Generation“ auszeichnet. Zwar gibt es immer wieder Gefahren zu meistern, aber diese haben keine weitreichenden Konsequenzen. Genau dieses Gefühl wird auch in der Folge selbst reflektiert. Sie beginnt mit „käsigem“ Humor und lächerlichen Banalitäten, als Fähnrich Gomez als neues Besatzungsmitglied der Enterprise von La Forge einweisen wird. Für sie ist alles nur ein Abenteuer.
Das düstere Gegenstück zur Enterprise: Die Borg
Doch als das göttliche Wesen Q die Enterprise quer durch die Galaxis katapultiert und sie in einem ihnen völlig fremden Sektor landen, ändert sich die Situation dramatisch. Hier stößt die Besatzung nun auf das krasse Gegenstück zu allem, was die Menschheit im Star Trek Universum ausmacht: Die Borg.
„Mein Volk begegnete diesen Wesen vor einem Jahrhundert. Sie zerstörten unsere Städte und trieben die Bewohner in alle Teile der Galaxis. Sie heißen die Borg. Schützen Sie Ihr Schiff, Captain, oder wir werden vernichtet.“
Die wenigen Worte Guinans reichen, das Ausmaß der Bedrohung zu begreifen. Als die Enterprise das Schiff der Borg scannt, macht sie eine überraschende Entdeckung: Es werden keine Mannschaftsquartiere, keine Maschinenräume und auch keine Lebensformen erkannt. Was ist hier los?
Die Borg zeigt eine humanoide Spezies, die nicht die Technik als Werkzeug verwendet, sondern umgekehrt von ihr benutzt wird. Die ursprüngliche Lebensform ist jetzt nur noch ein Vehikel für den technischen Fortschritt. Gliedmaßen und Sinnesorgane sind zum Teil durch technische Ersatzstücke ausgetauscht worden. Sie wurden umgebaut zu Mischwesen, halb Mensch und halb Maschine.
Der Einzelne ist zu einem Roboter degradiert worden, der keine natürlichen Regungen mehr zeigt. Er hat kein Geschlecht, keine Gefühle und keinen eigenen Willen mehr. Stattdessen sind sie alle zu einem mit künstlicher Intelligenz verschmolzenem Kollektiv geworden.
Diese ungeheure Entmenschlichung wird beim Kontakt mit den Borg deutlich. Anstatt mit der Enterprise zu kommunizieren, beamen sie einen Borg an Bord, welcher damit beginnt, den Schiffscomputer anzuzapfen. Alle Versuche der Besatzung, mit ihm in Kontakt zu treten, scheitern.
Als sie schließlich den Borg erschießen, damit er nicht ihr Schiff übernimmt, wird einfach eine neue Drohne an Bord gebeamt, die dort weitermacht, wo die erste begonnen hat. Moral und der Wert eines Lebens sind für die Borg irrelevant. Ihr kompromissloser Nihilismus stellt alles infrage, dem wir einen Wert beimessen.
„Es ist noch niemanden gelungen, mit ihnen zu reden“
Für die Borg sind die Menschen nur Ameisen. Unsere Lebensform ist ihnen zu unbedeutend, sie haben nur Interesse an der Technologie. Warum auch umständlich mit den Menschen reden, wenn sich alle Informationen aus dem Computer ziehen lassen?
Der technologische Fortschritt kennt keine Menschlichkeit. Im Gegenteil, ist der Mensch irgendwann nicht mehr effizient genug, muss er ausgetauscht oder „erweitert“ werden. Und was sollen die langsamen Menschen dem viel effizienteren und miteinander vernetzten Borg-Kollektiv etwas entgegensetzen?
Die Borgdrohnen werden je nach Bedarf in Brutkästen herangezüchtet und nach und nach immer weiter technisch modifiziert:
Ästhetik ist wichtiger als Realismus
Jetzt könnte natürlich jemand besonders Spitzfindiges einwenden: „Wie kann es sein, dass eine so hochentwickelte Spezies so klobig aussieht? Das ist doch gar nicht realistisch!“.
Dem sei gesagt: Niemand schaut sich Science-Fiction an, weil sie möglichst realistisch ist. Es geht darum, gute Geschichten zu erzählen und wie in einem Gedankenexperiment spannende Fragen aufwerfen, die unseren Alltag in der Form nicht sichtbar werden oder überhaupt erst bei weiterer fortschreitender Technisierung auf den Tisch kommen. Genau das haben auch die berühmten Science-Fiction Autoren wie Asimov & co getan. Einen guten Film wiederum zeichnet aus, dass er dies auch visuell transportiert.
In ihrer ganzen Retro-Optik werden uns die Borg als das Gegenteil der Menschen gezeigt, die sich allem Widersetzen, was wir als natürlich empfinden. Und es werden Fragen aufgeworfen: Ist das eine mögliche Zukunft? Führt uns der Transhumanismus in die Selbstaufgabe? Sind unsere Werte nur die Illusionen einer primitiven Spezies?
Q in Bestform
Die Folge trumpft nicht nur mit der Einführung der Borg auf, sondern zeigt auch Q in seiner Bestform. In etlichen Episoden ist er bloß ein alberner Clown, der mit seinen allmächtigen Fähigkeiten Spiele spielt. In diesem Fall ist das Alberne jedoch bloß eine Fassade, hinter dem sich Wahrheit verbirgt.
Als die beschädigte Enterprise versucht, dem Borg-Kubus zu entkommen, scheitert sie. Aus eigener Kraft können sie sich nicht mehr retten. Picard muss sich bei Q entschuldigen: „Sie wollten uns Angst einjagen. Wir haben Angst. Sie wollten uns zeigen, dass wir unvollkommen sind. Im Augenblick… haben Sie ganz Recht. Sie waren sicher, dass ich jetzt sage, ich brauche Sie. Gut, ich sage ihnen, dass ich Sie brauche.“
Q nimmt den Mitgliedern der Enterprise nicht nur ihre Überheblichkeit, sondern warnt die Menschheit vor dem Grauen, welches sie in den Weiten des Universums erwartet. Eine weitere Deutung: Die Crew benötigt göttlichen Beistand, um dem Transhumanismus zu entrinnen.
Das Grauen, das verspielt wurde
Der nächste Auftritt der Borg in Star Trek fügt noch ein entscheidendes Horror-Element hinzu: Die Assimilation. Damit ist der Fortschritt nicht nur eine Walze, die alles zerstört, was ihr in den Weg kommt, sondern es bekommt eine persönliche Dimension: Man wird nicht bloß umgebracht, man wird benutzt und dabei wird das Ich vom Kollektiv aufgesaugt.
Sollte es nicht jeden Wissenschaftler entzücken, Teil der höchstentwickelten Spezies zu werden und seinen Körper und Seele dem technischen Fortschritt zu opfern? Warum fühlt sich der Gedanke so furchterregend an? Merken wir doch, dass der Fortschritt, den wir so vergötzen, ein trojanisches Pferd ist? Und schlummert nicht doch in jedem von uns der Wille zur Verteidigung des Eigenen?
Alles, was später hinzugefügt wurde, konterkariert diesen entsetzlichen, entmenschlichten Effekt. Wenn die Borg doch wieder mit uns kommunizieren und mit einer Borg-Königin diskutiert werden kann, wie in „Der erste Kontakt“, dann macht es das zwar einfacher, eine Geschichte zu erzählen, aber das kosmische Grauen wird immer weiter verwässert. Es ist nicht mehr das entsetzliche Gesicht des Fortschritts, der die Menschheit versklavt, sondern nur noch eine weitere Alienrasse.
Die Borg rütteln an den Grundfesten
Der Umgang mit den Borg zeigt die Naivität der Star-Trek-Macher, die ich ihnen an dieser Stelle nicht ankreiden möchte, da sie sich bewusst für den Entwurf einer Utopie entschieden haben. Wir wollen ja nicht immer nur düstere Zukunftsvisionen auf der Leinwand sehen! Doch ihr grenzenloser Glaube an den Fortschritt führt uns in ein Dilemma: Was verhindert, dass sich die Vereinigte Föderation der Planeten in den zukünftigen Jahrtausenden genau dorthin entwickeln, wo die Borg stehen? Das die Borg nicht das Fremde sind, sondern die Zukunft?
Wie wollen sie in der Welt von Star Trek ein „Bis hierhin und nicht weiter!“ legitimieren? Weil sie die Werte aus dem 20. Jahrhundert eingefroren haben? Als Verfechter des Fortschritts, der keine Unterschiede zwischen Geschlecht, Herkunft, Rasse und sogar Spezies macht, muss die Föderation als ein großer Gleichmacher fungieren. Kulturelle Unterschiede werden immer weiter abgebaut, bis nur noch das Individuum und die Technik übrig bleiben. Und warum sollte der Fortschritt von den Egoismen und begrenzten Fähigkeiten einzelner Individuen ausbremst werden? Damit es jemanden gibt, der Kapitän spielen darf? Warum nicht alle Mitglieder eines Schiffes mit dem Schiffscomputer vernetzen?
Da keine dieser Fragen von den Star-Trek-Schöpfern beantwortet wird, liegt es an uns, das Verhältnis zwischen Mensch und Technik neu zu denken.