Hallo Martin,
bei Arcadi war damals der am meisten geklickte Artikel „Martin Sellner und Brittany Pettibone sind ein Paar!“. Das war 2017. Mittlerweile seid ihr verheiratet und habt einen kleinen Sohn. Wie hat sich dein Leben verändert?
Martin: Radikal – und dann doch wieder nicht wesentlich. Ich bin etwas weniger unterwegs, oder versuche es zumindest. Der Schlaf wurde weniger, aber das Leben hat sich intensiviert. Bevor ich komplett gesperrt wurde habe ich ja mit „Heiratet Leute“ eine Maxime vorgegeben, die ich selbst befolgt habe. Ich bin froh und dankbar, dass meine Frau, trotz Razzien, Zensur & Kontosperrungen, immer hinter mir steht. Vater zu sein ist mit nichts zu vergleichen. Wer es verpasst, ist selbst schuld.Gottseidank konnte ich dennoch einen „aktivistischen Lebensstil“ fortsetzen und weiter in meinem Bereich politisch aktiv bleiben.
Heute kann der Kinderwunsch geplant und gesteuert werden, das nennt sich auch Familienplanung. Ist das eine Chance, um Lebensabschnitte zu strukturieren oder führt uns das zu dem Problem des perfekten Zeitpunkts, der aber nie eintritt?
Martin: Definitiv Letzteres. Das ist ein grundlegendes Problem unserer Zeit. Der Zufall und die Unkontrollierbarkeit der meisten biologischen Lebensbereiche in der Vergangenheit mag uns als Fluch erscheinen. Tod im Kindbett, Säuglingssterblichkeit, Krepieren an einem Fieber. Aber je mehr wir mit Antibiotika, Antibabypille, Chirurgie und bald auch DNA-Crisping und sonstigen Genmanipulationen unsere Biologie kontrollieren können, desto unfreier werden wir auch. Kontrolle und Beherrschbarkeit ist nicht automatisch befreiend, sondern hat eine dunkle Seite. Eine davon ist der Pillenknick.
Ist es möglich, sich mental darauf vorzubereiten Vater zu werden, oder kommt doch alles ganz anders?
Martin: Ich hatte einen halben Meter Ratgeberliteratur. Gelesen habe ich es dann kaum. Ehrlich gesagt waren und sind hier die frischgebackenen Großeltern die wichtigste Vorbereitung und Stütze. Wenn irgendwas unklar ist, fragt man einfach die Großmutter. Gleichzeitig sehe ich auch an meiner Frau, wie wunderbar natürlich alles ist und wie sie instinktiv immer das Richtige tut. Aber alle Theorie ist grau. Am Ende ist es wie bei einer Aktion: Man muss die ewige Reflexionsketten irgendwann einfach abbrechen und es durchziehen.
Babys und Kleinkinder sind anstrengend. Bekommst du genügend Schlaf oder musst du dich mit Wiener Melange über den Tag retten?
Martin: Gottseidank schlafe ich wie ein Stein. Ich habe großes Glück mit meiner Frau, sie ist eine aufopferungsvolle und begeisterte Mutter. Dafür stehe ich, seit Reinhard da ist, immer sehr früh auf. Insgesamt passt es, aber jetzt wo du fragst: Mein Kaffekonsum könnte etwas angestiegen sein.
Es gibt den Spruch, ein ganzes Dorf sei nötig um ein Kind zu erziehen. Bei der Mobilität der Gegenwart werden aber selbst Familien geografisch getrennt. Inwieweit unterstützen und entlasten dich deine Eltern?
Gottseidank sehr. Sie waren großartige Eltern und sind die besten Großeltern, die man sich vorstellen kann. Reinhard ist sowieso ihr Star und gottseidank verstehen sie sich mit meiner Frau blendend. Es ist echt ein großer Segen. Manchmal frage ich mich, womit ich das verdient habe. Ich muss ehrlich sagen, dass mir diese im negativen Wortsinn „nuklearen“ Kleinfamilien, die entwurzelt und isoliert, stundenlang von den Eltern entfernt leben, ziemlich leid tun. Ich denke, dass ist eine geschichtliche Anormalität, die nicht unserer Natur entspricht.
Ein Arbeitskollege erzählte mir die Tage, er habe sich mit seiner Freundin gegen Kinder entschieden und als Ersatz einen Hund angeschafft. Was würdest du ihm sagen?
Martin: Dass mir der Hund leid tut. Ein Tier sollte keine emotionale Krücke sein. Der Lebensstil „DINK (Double Income no Kids) + Hund“ ist eines der traurigsten Aspekte dieser Zeit. Erst seitdem ich Vater bin, verstehe ich allerdings, warum das so häufig ist. Das System ist, gerade für Einheimische, einfach eine antinatalistische Einbahn, die ständig Anreize zum kinderlosen Dasein in ewiger Adoleszenz als „Consoomer“ setzt. Das macht es aber nicht zur richtigen Entscheidung.
Als politischer Aktivist und Beeinflusser bist du bekannt und stehst in der Öffentlichkeit. Manchmal teilst du Bilder aus deinem Privatleben. Wie trennst den Aktivismus und das Private?
Martin: Bevor wir zu dritt waren, haben wir viel mehr private Dinge geteilt. Wir haben Videos zusammen gemacht und insgesamt recht „transparent“ gelebt. Ein Großteil unseres Lebens bestand ja auch aus Aktionen, Auftritten und Reisen. Das hat sich stark reduziert, seitdem wir ein Kind haben. Sein Gesicht zeigen wir, aus naheliegenden Gründen, bewusst nicht online. Wenn man nicht mehr nur für sich, sondern auch für ein junges Leben verantwortlich ist, gebietet sich die Trennung von Privatem und Politischen von selbst. Aber wenn man mich persönlich kennt und trifft, sollte man 10 Minuten für eine Reinhard-Fotostrecke einbauen. Ja, ich bin einer dieser Väter geworden. Unser Sohn ist halt auch extrem genial.
Man hatte schon immer das Gefühl, dein Tag hätte mehr als 24 Stunden. Jetzt hast du auch noch eine Familie. Wie schaffst du es das zeitlich alles unter einen Hut zu bringen?
Martin: Gute Frage. Ich bin nach wie vor in vielen Bereichen tätig und arbeite immer an verschiedensten Projekten gleichzeitig. Ich versuche aber zu weniger Dingen ja zu sagen, also vor allem Treffen, Vorträge, Reisen, Interviews etwas zu reduzieren – das ist hier ist natürlich eine Ausnahme. Natürlich muss ich mit meiner Zeit insofern besser haushalten, als ich das Ausmaß an unbezahlter, politischer Aktions- Aufbau-, Organisations- und Bildungsarbeit etwas reduzieren und mehr Zeit in journalistische und unternehmerische Tätigkeiten stecken muss. Mangels eines rechten Soros, millioneschwerer „Funds“ und Unterstützung aus rechten Parteien, gebietet sich das aus Verantwortung für die Familie. Dazu will man natürlich auch noch möglichst viel Zeit zusammen verbringen. Kurz: Ich habe immer gut zu tun. Ohne dem Verständnis und der Unterstützung meiner Frau wäre das nicht denkbar. Auch dass, trotz massiver Zensur, Sympathisanten meinen Tätigkeiten unterstützen, macht es möglich, die politische Produktivität möglichst hoch zu halten.
Das bringt uns zum nächsten Punkt: Du und deine Frau, ihr seid beide rechtsintellektuell. Findet ihr noch Zeit um Kultur zu genießen oder ist euer Leben jetzt vorbei, wie man gerne witzelt?
Martin: Erstmal danke ich, auch im Namen meiner Frau, für das Kompliment. Das Leben ist nicht „vorbei“ und diese Aussage ging mir immer schon auf die Nerven. Vorbei ist eine Phase des Lebens, die auch enden muss. Die Adoleszenz, „so frei und ungebunden“, endet in einem gesunden Leben eines Tages. Man bindet sich juristisch und religiös und in der Folge biologisch an andere und gibt das Geschenk des Lebens weiter. Das nicht zu tun bedeutet, nachdem man die Tür der Kindheit verlassen hat, ewige im Gang des Teenageralters zu verharren und nie durch die nächste Tür zu gehen. Und für Kultur gilt dasselbe wie vor Frau und Kind. Sie ist eher eine Frage der Disziplin, die es immer braucht um statt einem YouTube Video ein Gedicht zu lesen und statt einem Filmabend in die Natur zu gehen.
Bei Thymos ist unser Schwerpunkt die Populärkultur, darum zum Abschluss noch eine letzte Frage: Was ist dein Lieblingsfilm und warum?
Martin: Mein Lieblingsfilm ist Fahrenheit 451, weil er noch mehr als Equilibrium eine identitäre Botschaft hat und mit Oskar Werner einer meine Lieblingsschauspieler mitspielt.
Vielen Dank für das Interview!
Martin Sellner ist der bekannteste Aktivist der neuen Rechten im deutschsprachigen Raum. Vor Kurzem erschien sein neues Buch „Regime Change von rechts. Eine strategische Skizze.“ Auch von Repressionen und Deplattforming lässt er sich nicht beirren. Heute findet man ihn unter anderem auf Telegram oder seine Videos auf Rumble.