Den Linken ist es erfolgreich gelungen, dass „Geierwally“ bei vielen die Assoziation mit zu belächelndem Heimatkitsch weckt. Dabei brilliert der Roman Wilhelmine von Hillerns mit einer packenden und dramatischen Geschichte voller Naturromantik und Volkstum, Märchen und Sage. Er ist der Inbegriff rechter Populärkultur und darum genau richtig bei uns. Und ein Werk von 1873 ist natürlich gänzlich frei von postmodernen Sünden und Verirrungen.
Der Stoff war so beliebt, dass er für das Theater, die Oper und später in vielen Filmen adaptiert wurde.
Unbeugsame Wally und heroischer Joseph
Im Öztal leben zwei stattliche Menschen, die an Körperkraft, Willensstärke und edlen Charakterzügen allen anderen Bewohnern überlegen sind. Zum einen der kraftstrotzende Gemsjäger Joseph Hagedorn, der einen Bären erschoss und seitdem Bären-Joseph genannt wird. Zum anderen die Walbura Stromminger, die schöne Tochter des harten und brutalen Höchstbauern. Da ihre Mutter bei der Geburt starb, wurde sie von ihrem Vater wie ein Sohn erzogen und ist mutiger als die Buben im Dorf. So nimmt sie mit 14 Jahren in einem Husarenstück einen Geier aus seinem Nest in der steilen Felswand und zieht ihn groß. Seitdem ist sie die Geier-Wally.
Doch als ihr Vater sie verheiraten will, weigert sie sich, denn sie hat nur Augen für den Bärenjoseph. Unbeugsam und trotzig hält sie ihm entgegen:
„Und wenn ihr mich in die Kirch prügelt, so sag i am Altar doch nein. Totschlagen könnt‘s mich – aber das Ja könnt‘s mir nit ´rausprügeln – und wann Ihr‘s könnt – so spräng i eher vom Felsen `nunter, eh denn i zu ein‘n ins Nest ging, den i net mag.“
Erzürnt schickt sie der alte Stromminger hoch oben in die karge Hütte am Murzollgletscher, wo sie in Einsamkeit die Schafe und Ziegen hüten muss, bis ihr Wille gebrochen sei. In der rauen Gegend harrt sie aus und nimmt für ihre Liebe die harten Entbehrungen auf sich. Doch das ist erst der Anfang eines schicksalhaften Weges, auf dem sie allen Höhen und Tiefen des menschlichen Lebens durchlebt und selbst radikale Taten vollbringt.
Für uns gemacht
Es handelt sich hierbei offensichtlich um ein Werk der Romantik mit seiner intensiven Beschreibung der Alpinlandschaft und den zwischen den Bergen lebenden, volkstümlichen Menschen, die noch nicht von der Industrialisierung entwurzelt wurden, sondern in die Fußstapfen ihre Väter, Großväter und Urgroßväter treten. Die damit verbundene ursprüngliche Wahrnehmung zeigt sich auch in den Bildern: So ist der Murzoll nicht bloß ein Gebirge oder ein Gletscher, sondern mit dem Namen schwing eine Sage mit: Der frostige „Vater Murzoll“ als gewaltiger Berggeist, der dort oben mit seinen Töchtern, den „seligen Fräulein“, lebt und den man besser nicht herausfordert, wenn man das Gebirge überquert.
Darüber hinaus ist das zentrale Motiv der Mensch von Seelengröße, der sich nichts von materiellen Besitztümern bestechen lässt, sondern nach Höherem strebt und es auf sich nimmt, der Gesellschaft die Stirn zu bieten. Und neben dem Lob auf die große Persönlichkeit werden auch immer wieder Seitenhiebe gegen den Herdenmensch ausgeteilt:
„Und sie blickte endlich mit einer mitleidigen Verachtung von ihrer Höhe auf das armselige Geschlecht herab, das da unten im Broden der Erde lüstete und gierte, feilschte und rechnete, und eine heimliche Abscheu trat an der Stelle des Heimwehs.“
Die 250 Seiten geben genug Raum, in die Welt einzutauchen, sind aber straff genug für ein kurzweiliges Lesevergnügen. Das liegt auch daran, dass die Struktur am antiken Drama angelehnt ist und bereits zu Beginn mit den Vorzeichen ein schweres Schicksal die Spannung aufgebaut wird.
Das germanische Frauenbild
Auch wenn Linke wohl versuchen würden, ihn auf eine Emanzipationsgeschichte herunterzubrechen, so wird wohl keine Feministin mit dem Werk glücklich, denn Wally unternimmt alle ihre Anstrengungen für ihre großen Lieben dem Bären-Joseph. Ihre Überzeugung ist, dass zwei Menschen von ihrem Format füreinander bestimmt sind und davon lässt sie sich nicht abbringen.
Auch ist sie weit davon entfernt, ein „Girlboss“-Charakter zu sein, wie sie für heutige Videospiele konstruiert werden. Sie ist weder unabhängig noch unantastbar. Mühsam muss sie sich ihre Freiheit erkämpfen. Darüber hinaus gestaltet sie nicht die Handlung, sondern wird über weite Teile hinweg von ihr getrieben. Immer wartet sie darauf, dass endlich Joseph, dessen Heldentaten man sich in den Dörfern erzählt, den Weg zu ihr finden möge.
Nein, wir haben es hier mit einem germanisches Frauenbild zu tun. Wilhelmine von Hillern referenziert nicht umsonst das Nibelungenlied, was sie zu ihrem Werk inspiriert hat. Faustisch lässt sie Hunger und Erniedrigungen über sich ergehen, um ihren Willen gegen alle Umstände durchzusetzen. Immer tut sie das, was sie für richtig und gerecht hält. Geier und Schafe lässt sie niemals im Stich.
Dass dieser deutsche Blick heute wichtig ist, zeigt die Tatsache, dass mittlerweile manche Spinner behaupten, der Islam sei unserer Verbündeter im Kampf gegen den Liberalismus!
Gottes Schnitzwerk
Fast überrascht es, dass in dieser Geschichte die Kirche einmal positiv dargestellt wird. Passend zu dem erzkatholischen Tirol ist es für Wally nicht nur ein Kampf um die Liebe, sondern auch ein Hadern mit Gott. So lässt der Roman die faustische Frau auf den christlichen Pfarrer treffen und er reagiert feinfühlig und klug.
Der Pfarrer erkennt die Größe Wallys, sieht aber auch die Gefahr, dass ihre Leidenschaften über sich und andere Zerstörung bringen können. Er versucht auf eine Mäßigung einzuwirken, damit sie ein Teil der Zivilisation wird und ihren Teil zur Gemeinschaft beiträgt. Hier könnte man zwar kritisch einwenden, dass ein großer Mensch sich nicht in kleine Zusammenhänge zwingen lässt, aber natürlich muss eine staatstragende Religion das Wohl der Allgemeinheit im Blick haben.
Die Kirche ist also ein notwendiges Korrektiv, um die Menschen in die richtigen Bahnen zu lenken. Dies zeigt sich in der Metapher des Holzes, dass nicht zu sehr verhärten darf, damit Gott aus dem Menschen etwas schnitzen kann, auch wenn jeder Schnitt ein Schmerz bedeutet:
„Was möchtest du lieber sein, ein roher Stock, mit dem man die Leute totschlagen kann, und den man, wenn er morsch wird, zerbricht und verbrennt, oder so ein feines Heiligenfigürchen wie jenes dort, das man in ein Bildstöckchen stellt und andachtsvoll verehrt?“
Verfilmungen
Bei einer Besprechung kommen wir nicht umhin, einen Blick auf die beiden bekanntesten Verfilmungen zu werfen. (Spaßfakt: Die Linken haben sich so sehr darüber geärgert, dass sie bereits 1988 eine Verballhornung inklusive Transe gedreht haben!)
1940 von Hans Steinhoff:
Wir haben es hier mit einer aufwändigen Produktion zu tun, die in der Tradition des klassischen Volksfilms steht und das Dorfleben und die derben Sitten auf dem Land in den Fokus rückt. Der Film ist ein Drama und legt Wert darauf, die Figuren vielschichtig und realistisch darzustellen.
Der Anfang hält sich nah am Buch, später gibt es jedoch einige Abweichungen. So wurden Teile ausgelassen und neue hinzugefügt. Die Änderungen sind dabei in sich stimmig und funktionieren gut, bis auf das Ende, was etwas zu abrupt ist. Es fällt auf, dass hier der Pfarrer und der Handlungsbogen, in dem Wally mit dem Christentum hadert (bis auf eine kurze Aufnahme), komplett entfernt wurde.
Heidemarie Hatheyer spielt gut, aber in ihrem Blick schwingt etwas luderhaftes mit, was nicht zu der Beschreibung der ehrlichen, großen Gemsaugen im Buch passt. (Und sie hat eigentlich auch dunkles Haar!) Das fügt sich aber in das Konzept des Films ein, der die Geierwally nicht als übergroße Sagenfigur, sondern als ein hart gewordenes Dorfmädchen mit ihren Stärken und Schwächen zeigt. Allgemein hat die Besetzung sehr ausdrucksstarke Gesichter und die Aufnahmen nehmen uns mit in eine frostige Bergwelt.
1956 von Franz Cap (František Čáp):
Die Verfilmung von 1956 ist wohl einer der besten Heimatfilme und wählt den umgekehrten Ansatz: Er möchte vielmehr ein Märchen erzählen und vereinfacht die Personen, was in meinen Augen dem Film hilft und den Kern der Geschichte zutage treten lässt.
Für den Heimatfilm typisch ist die Produktion kleiner, die Dramatik wurde geglättet und es wird mehr Fokus auf die schöne Berglandschaft in prachtvollen Farben gelegt als auf das Leiden von Wally. Dafür sieht das Alpenpanorama im strahlenden Sonnenschein aus wie auf einer Postkarte und man möchte am liebsten sofort den Rucksack packen und sich auf den Weg in die Berge machen.
Im Gegensatz zu anderen Heimatfilmen wird er keinen Moment langweilig, denn die Handlung wird stetig vorangetrieben. Dafür gibt es gerade zu Beginn ein paar Abweichungen zum Buch. Eine gelungene ist, dass sie den Geier erst aus der Wand holt, als sie bereits auf der Hochalm ist. Dadurch wird sehr deutlich, dass der Geier eine Metapher für ihre Verbitterung und Verhärtung ist, welche sich durch die Verbannung in die raue Natur eingeschlichen haben.
Auch wenn Barbara Rütting als Wally etwas zu alt ist, spielt sie hervorragend die Rolle der ehrlichen, edlen und willensstarken Frau, nur das Ungestüm fehlt ihr ein wenig. Sie ist die Heldin der Geschichte und man fiebert mit ihrem Schicksal mit. In ihren Augen kann sowohl Unschuld als auch eine Portion Wahnsinn liegen. Schließlich punktet die Fassung damit, dass im Gegensatz zu Steinhoff das Ende nicht gekürzt wurde und der Konflikt mit dem Christentum erhalten blieb.
Fazit
Der Roman ist wie üblich besser als die Verfilmungen. Von den Filmen bevorzuge ich die Fassung von 1956 als Märchen, auch wenn er als Heimatfilm etwas glattpoliert wurde. Doch egal in welchem Medium, die Geierwally hat schon Millionen Deutsche begeistert; werde einer von ihnen!