Wer sich für die deutsche Geschichte interessiert, kommt an dem Monumentalfilm Kolberg nicht vorbei. Das historische Drama zeigt einen preußischen Mythos: Das kleine Kolberg trutzt der übermächtigen Armee Napoleons. Dazu kommt eine schicksalhafte, zweite geschichtliche Ebene. Von den Nationalsozialisten als Durchhaltefilm konzipiert (mit 8,8 Millionen Reichsmark ihre teuerste Produktion), erschien er erst, als die Niederlage unausweichlich war.
Preußen in düsteren Farben
Erstaunlicherweise handelt es sich um einen Farbfilm. Damals der modernste Stand der Technik, wirkt er weit weniger distanziert als Schwarz-Weiß-Produktionen. Auch das hohe Tempo ist für einen Film der 40er Jahre ungewöhnlich, die Handlung wird durch rasche Sprünge zwischen den Szenen stetig vorangetrieben. Dazu sind die dramatischen Aufnahmen mit einer theatralischen Orchestermusik untermalt, die unter die Haut geht. Genau diese Kombination ist es, die uns heute noch dazu zwingt, sich unmittelbar mit dem Werk auseinanderzusetzen.
Und in welchen Film gibt es heute noch preußische Volkshelden? In Kolberg haben wir gleich drei an der Zahl. Der korpulente und rüstige Joachim Nettelbeck ist ein Dickkopf. Als Bürgerrepräsentant von Kolberg organisiert er die Verteidigung der Stadt auch gegen den Willen des inkompetenten Festungskommandanten. In der Rolle des Nettelbeck stellt Heinrich Georges sein schauspielerisches Talent unter Beweis, das den Film maßgeblich trägt. Der zweite Held ist der General und preußische Reformer August Neidhardt von Gneisenau, ein junger und schneidiger Major, der den alten und überforderten Kommandanten ablöst. Und schließlich ist da noch Leutnant Ferdinand von Schill. Schill wurde berühmt, als er eigenmächtig den Kampf gegen Napoleon fortsetzte und dabei sein Leben ließ.
Die geschichtlichen Ebenen
Doch den Nationalsozialisten ging es nicht bloß um eine Glorifizierung von Kriegshelden vergangener Tage. Mit einem Kniff ziehen sie eine direkte Parallele zum Volkssturm und zum totalen Krieg: Der Film wird als ein Rückblick Gneisenaus aus dem Jahre 1813 geschildert. Gneisenau möchte den preußischen König Friedrich Wilhelm III. überzeugen, ein Volksheer gegen Napoleon aufzustellen. Während der König die Position vertritt, der Krieg sei eine Sache des Militärs, beharrt Gneisenau darauf, er sei Aufgabe des ganzen Volkes und untermauert es mit der Verteidigung Kolbergs. Der Film lässt keinen Zweifel, wer von den beiden richtig liegt. Die Massen marschieren bereits auf den Straßen und singen kriegshungrig Theodor Körners „Das Volk steht auf, ein Sturm bricht los“.
Der Bezug zum Zweiten Weltkrieg wird ebenfalls deutlich, als Kolberg von den französischen Kanonen zusammengeschossen wird. Drastische Aufnahmen zeigen die vernichtende Wirkung der Geschütze. Gebäude stürzen ein, Menschen rennen um ihr Leben oder werden unter den Trümmern begraben. Das brennende Kolberg weckt unmittelbar Assoziationen an die vom alliierten Bombenterror zerstörten deutschen Städte.
Die Gegenüberstellung der geschichtlichen Ebenen zeigt jedoch einen gravierenden Unterschied, der die Intention der Nationalsozialisten torpediert: Die Verteidiger konnten Kolberg bis zu den Friedensverhandlungen von Tilsit halten. Preußen musste kapitulieren und Napoleon diktierte ihnen einen Frieden. Diese Chance gab es für die Deutschen im Zweiten Weltkrieg nicht. Sie wurden von den Nationalsozialisten verheizt und von den Alliierten vertrieben und zerbombt. Wer sich mit Deutschland identifiziert und diesen Aufruf zur totalen Mobilmachung für einen verlorenen Krieg sieht, bekommt ein flaues Gefühl im Magen.
Das ist keine Überraschung, denn den Film durchzieht eine düstere und tragische Stimmung. Schon zu Beginn, als in Kolberg noch ein Volksfest gefeiert wird, erhält Nettelbeck die Nachricht von der verlorenen Schlacht der Preußen bei Jena und Auerstedt. Der Zuschauer kann spüren, wie der Krieg immer näher rückt. Schließlich steht die französische Armee vor den Toren der Stadt, die Kanonen donnern und der blutige Kampf beginnt.
Für den Krieg muss alles geopfert werden
Nach Angaben des Regisseurs Veit Harlan existierten noch gravierendere Aufnahmen der Belagerung, die mit großem Aufwand gefilm wurden, die Goebbels jedoch später entfernen ließ. Die Szenen mussten herausgeschnitten werden, denn Goebbels wollte verhindern, dass Kolberg ein pazifistischer Film wird:
„Am Abend wird mir die endgültige Harlansche Fassung des neuen ‚Kolberg‘-Films vorgeführt… Anstatt den Film zu verbessern, hat Harlan ihn eher verschlechtert. Er vergröbert allzu stark die Zerstörungs- und Verzweifelungsszenen in der Stadt, so dass ich befürchte, dass große Teile des Publikums sich weigern werden, in der gegenwärtigen Situation sich den Film überhaupt anzuschauen. Es müssen deshalb noch starke Schnitte angebracht werden, um ihn vorführreif zu machen.“
Trotz dieser Zensur wird der Krieg mit all seinen Schrecken gezeigt, denn eine verharmlosende Verklärung war nach fünf Kriegsjahren nicht mehr möglich.
Die zentrale Figur, die unmittelbar mit dem Leid des Krieges konfrontiert wird, ist das Mädchen Maria. Im Gegensatz zu den preußischen Helden ein fiktiver Charakter, nimmt sie eine Schlüsselrolle ein, denn alle Handlungsstränge laufen bei ihr zusammen. Bereits ihr erster Schicksalsschlag hat es in sich: Sie lebt mit ihrem Vater auf einem Hof vor der Stadt, der wegen seiner exponierten Lage jedem Angreifer Kolbergs eine ideale Deckung bietet. Daher gibt es für die Militärs nur eine Wahl: Der Hof muss weg. In einer düsteren Szene steht ihr Vater im Schnee vor seinem Zuhause. In großen Ziffern prangt das Baujahr „1632“ über der Tür. Er zündet sein Heim an und bringt sich um.
Als wäre diese Tragödie nicht genug, kommen während der Belagerung auch noch ihre beiden Brüder ums Leben. Diese Verluste gipfeln in einer Schlüsselszene zwischen Maria und Nettelbeck, der die Essenz des Films zeigt. Die Belagerung ist beendet, Rauchschwaden hängen noch über der Stadt. Maria ist ans Meer gegangen, wo sie Schill zum letzten Mal gesehen hat. Nettelbeck hält die weinende Maria im Arm und spricht zu ihr:
„Du hast alles hergegeben, was du hattest. Aber es war nicht umsonst. Der Tod ist verschwunden im Sieg. So ist das nun mal. Und das Größte wird immer nur durch Schmerzen geboren. Und wenn einer die Schmerzen für uns alle auf sich nimmt, dann ist er groß. Du bist groß, Maria.“
So stilisieren die Nationalsozialisten die Leidtragende des Krieges zu einer Heldin. Dabei hätte Maria wohl alles getan, um diesen schrecklichen Ausgang zu verhindern.
Schlusswort
Für die Freiheit zu kämpfen, wie die Verteidiger Kolbergs, ist ein ehrenwertes Ziel. Die Nationalsozialisten haben dieses preußische Ideal übersteigert und pervertiert. Wenn Mensch und Material schonungslos für den Endsieg geopfert wird, dann bleibt nichts von dem bestehen, was man eigentlich vor dem Feind beschützen wollte. Um diesen Wahnwitz zu verstecken, ließ Goebbels ihn zensieren. Doch diese Aussage ist immer noch zu spüren. Unwillkürlich schwenken die Gedanken zu dem Leid, das der Zweite Weltkrieg über die Deutschen gebracht hat.
Was die Nationalsozialisten ins Extreme verzerrten, wird heute wiederum in das genaue Gegenteil verkehrt. Wir leben in einer Zeit, in der Bequemlichkeit, Eigennutz und Materialismus das Denken bestimmen. Tugenden wie Ehre und Opferbereitschaft sind uns mit dem Verweis auf den Nationalsozialismus genommen worden. Der Film zwingt uns, sich mit diesem Trauma auseinanderzusetzen.