Die Welt der Animes besteht aus endlos vielen Kämpfen, Schuldramen und sich immer wiederholenden, peinlichen Klischees. Einige wenige Animes aber halten sich damit zurück, setzen sich mit tiefgreifenden Themen für Erwachsene auseinander und regen zum Nachdenken an:
Kann unser Handeln vorherbestimmt werden? Gibt es ein Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit? Was sind die Folgen, wenn wir unsere Gesellschaft von einer Künstlichen Intelligenz steuern lassen, um sie noch effizienter zu machen?
Der Cyberpunk-Krimi Psycho-Pass stellt diese Fragen, indem er uns in eine dystopische Zukunft entführt, in der ein zentralistisches KI-Überwachungssystem die Leben der Menschen Japans kontrolliert. Somit steht die Serie in der Tradition gesellschaftskritischer Anime-Klassiker wie Monster, Death Note und Ghost in the Shell.
Ein KI-System wird zum Richter über Leben und Tod
Im Jahre 2112 liegt Japans Herrschaft in den Händen des sogenannten „Sibyl-Systems“, einer Super-KI. Es misst anhand von Scannern in der Infrastruktur regelmäßig bei jedem Bürger den „Psycho-Pass“, einen mentalen Zustandswert, der anzeigt, wie wahrscheinlich jemand eine Straftat begeht. Entdeckt das Sibyl-System, dass ein Kriminalkoeffizient zu hoch ist, meldet es diesen sogenannten „latenten Verbrecher“ dem Amt für öffentliche Sicherheit. Es spielt dabei keine Rolle, ob die Person tatsächlich eine Straftat begangen hat.
Wenn der latente Verbrecher seinen Psycho-Pass überprüft, ahnt er bereits, was ihm bevorsteht. Denn wenn die Polizei ihn ausfindig gemacht hat, hängt sein Schicksal von der Bewertung des Sibyl-Systems ab. Im Normalfall (Kriminalkoeffizient von 100-299) wird er betäubt und inhaftiert. Stuft ihn das System allerdings als zu gefährlich ein, wird er gnadenlos hingerichtet (was auch extrem blutig dargestellt wird). Wen wundert es da, dass die meisten Bürger in Behandlung gehen, bevor ihr Psycho-Pass zu hoch steigt?
Das Sibyl-System kümmert sich nicht nur um die Sicherheit und Verurteilung, es reicht noch weiter und regelt nahezu alle Aspekte des Lebens: Karrieren, Lebensqualität und sogar, ob man heiraten darf. In diesem Sicherheitsstaat halten sich die Bürger von sich aus an die Regeln und versuchen mitunter auch krankhaft, ihren Stress so gering wie möglich zu halten. Im Gegenzug haben sie ein ganz anderes Sicherheitsgefühl: Sie denken gar nicht daran, ihre Türen abzuschließen, gehen auch nicht davon aus, dass jemand etwas ihnen antun will, und sie hegen auch keine Gewaltfantasien.
Aber auch in dieser Welt gibt es moralische Unklarheiten und diejenigen, die das System infrage stellen.
Die Kriminalpolizei – Nur Ausführen oder Mitdenken?
Die Handlung folgt den Ermittlern der Kriminalpolizei des Amtes für öffentliche Sicherheit, allen voran der jungen Inspektorin Akane Tsunemori, die frisch von der Akademie kommt. Sie arbeitet mit sogenannten Vollstreckern zusammen: Latenten Verbrechern, die nicht als Bürger frei leben dürfen, aber zugestimmt haben, selbst für das System Verbrecher zu jagen. Die Arbeit bei der Kriminalpolizei ist extrem gefährlich, denn die ständige Konfrontation mit schrecklichen Gewaltverbrechen lässt den Psycho-Pass in die Höhe schießen.
Die Jagd auf Mörder und Psychopathen führt sie auf eine Spur, die sie immer tiefer in das Herz der gesellschaftlichen Maschinerie zieht. Als eine Reihe von Verbrechen auftaucht, die nicht in das Schema des Sibyl-Systems passen, beginnt Tsunemori zu zweifeln: Ist Gerechtigkeit wirklich so einfach messbar? Oder gibt es einen Riss im System, den niemand sehen will? Während sie tiefer in das Netz aus Lügen und Manipulation eintaucht, wird ihr klar: Dies ist keine gewöhnliche Verbrecherjagd. Es ist ein Kampf um die Definition von Menschlichkeit selbst.
Der Höhepunkt dieses Konflikts ist das Aufeinandertreffen des Ermittlers Shinya Kogami mit dem Mörder Shogo Makishima.
Kogami versus Makishima
Shinya Kogami ist ein Vollstrecker und früherer Inspektor, der als Jagdhund für das Amt für öffentliche Sicherheit weiterarbeiten darf. Er will Rache an seinem Erzfeind nehmen, ist aber bei seiner Arbeit als Vollstrecker an die Polizei gebunden und somit nicht fähig, auf eigene Faust zu handeln.
Shogo Makishima dagegen ist ein Schwerverbrecher und Philosoph, der sich für Menschen interessiert, die ihre dunklen Impulse ausleben und ihnen dabei hilft, da er die wahre Natur des Menschen herausfinden will. Er lebt außerhalb der sozialen Normen, bezeichnet sich aber selbst als einen ganz normalen Menschen.
Beide lehnen das Sibyl-System ab, aber glauben an andere Wege und haben eigene Auffassungen von Gerechtigkeit. Kogami glaubt an seine Form der pragmatischen, menschlich entschiedenen Gerechtigkeit. Er hält Makishima für das große Böse und will an ihm Rache nehmen. Makishima ist ein radikaler Traditionalist, der mit allen Mitteln das Sibyl-System zerstören will, damit die Menschen nach ihrem eigenen Willen handeln. Für die konformen und weich gewordenen Menschen, die sich im Sibyl-System eingerichtet haben, kennt er nur Verachtung.
Wie bei den meisten der Antagonisten der Serie sieht man in Makishima einen extremen Nietzscheaner. Sein Freiheitsbegriff und sein Wunsch, dass die Menschen nach ihrem Willen handeln, sorgen für Chaos und massenhaft Leid und er nutzt sie als Freibrief um kein Erbarmen zu zeigen und sadistisch mit dem Leben anderer zu spielen.
Was steckt hinter der KI?
Ein zentrales und immer wieder aufkommendes Thema in der Serie ist die Frage, was das Sibyl-System eigentlich ist.
Wenn das System einen Fehler macht, ist es dann noch gerecht? Worin liegt seine Legitimität, wenn es nicht perfekt ist? Was sind die Menschen überhaupt noch, wenn sie nicht nach ihren eigenen Entscheidungen leben dürfen, sondern nach den Vorgaben eines fehlerhaften Systems leben müssen?
Sibyl bestimmt das gesamte Leben der Menschen und trägt maßgeblich zur Aufrechterhaltung von Ordnung, Stabilität und Sicherheit bei, andererseits untergräbt es aber auch die individuelle Freiheit und moralische Verantwortung. Die zentralistische Super-KI ist kein Werkzeug der Menschen mehr, sondern ist der oberste Richter der Gesellschaft und steht selbst außerhalb jeder moralischen Kontrolle. Es urteilt über die Menschen, lenkt und unterdrückt sie. Somit wurden also die Menschen zu Werkzeugen, die nur bürokratisch in Form von Zahlen betrachtet werden.
Es wird deutlich, dass Technologie und Fortschritt niemals den Platz menschlicher Weisheit und ethischer Überzeugungen einnehmen dürfen. Die Serie mahnt dazu, dass der Mensch stets die Oberhand behalten muss, da sonst der Mensch das Schöne und Gute nicht mehr behüten kann.
Bedeutung für unsere Welt
Wahrscheinlich werden Sie sich nun fragen, ob ein solches System im wirklichen Leben technisch funktionieren könnte oder inwieweit wir es überhaupt wollen. Die Technik in Psycho-Pass ähnelt in gewisser Weise mit seiner Datenverarbeitung und der Kameraüberwachung unserer Welt. Im Vergleich zu älteren fiktiven dystopischen Werken ist es sogar eine erschreckend realistische Zukunftsvision.
Schon lange ist ein KI-basiertes Panoptikum nicht nur in der Volksrepublik China ein erstrebenswertes Ziel. Selbst in Trumps Amerika ist unter der Tech-Elite ein Überwachungssystem von Interesse: Der Oracle-Gründer Larry Ellison sieht z.B. in Kameras und KI-Bilderkennung die Möglichkeit, dass die Polizei und jeder Bürger jederzeit ihr „bestes Verhalten zeigen“ und arbeitet mit den anderen Tech-Giganten zusammen, um die nötige Infrastruktur für mächtige KI-Systeme zu schaffen.
Unsere gegenwärtigen europäischen Herrscher, die transatlantische Elite mit ihrer Liebe zu undurchsichtigen, ungewählten und bürokratisch automatisierten Entscheidungsprozessen, werden ein KI-Überwachungssystem umsetzen, sobald es für sie möglich ist. Wenn so ein System, so eine ultimative regelbasierte Bürokratie, in seinen Befugnissen und Fähigkeiten zu mächtig wird, lässt sich nicht mehr von innen heraus abschaffen. Das Einzige, was wir tun können, ist zu verhindern, dass es so weit kommt.
Ethisch betrachtet stellt die Serie uns auch eine weitere wichtige Frage: Wie geht man mit dem inhärenten Verbrecher um? Darf man jemanden töten, bevor er etwas getan hat? Welche Wege im Leben kann die Gesellschaft so einem Menschen bieten, anstatt ihn auf ewig wegzusperren oder hinzurichten? Je klarer unser Verständnis über das menschliche Gehirn wird, desto wichtiger werden diese Fragen auch für uns.
Schlusswort
Der Konflikt zwischen staatlicher Ordnung und individueller Freiheit ist allgegenwärtig. Wenn die Innovation so rasant voranschreitet, wie sie es heute tut, muss man sich daran erinnern, nicht zum Werkzeug zu werden und dass Effizienz und Kontrolle nicht alles in einer Zivilisation ausmachen.
Mir persönlich hat die erste Staffel von Psycho-Pass eindrücklich gezeigt, dass wir stets unser Verantwortungsgefühl, unsere Menschlichkeit und moralische Integrität bewahren müssen, wenn wir eine gerechte und lebenswerte Zukunft schaffen wollen.
Empfehlen kann ich die Serie jedem Freund von dystopischen Science-Fiction-Werken, der eine spannende Handlung, eine tiefe Botschaft und interessante Charaktere mag und nicht von Animes oder von der Darstellung extrem exzessiver blutiger Gewalt und Verstümmelung abgeneigt ist. Auch die deutsche Synchronisierung ist gut und nicht zu peinlich.