Kein anderes Spiel hat mich als Kind so begeistert und geprägt wie Warcraft III. Hunderte Stunden steckte ich hinein und noch einmal genau so viele in den Editor, mit dem ich auch erste Programmiererfahrungen sammelte. In diesem Artikel rede ich mich also um Kopf und Kragen, weshalb ich nicht drei Instrumente gelernt und fünf Sportabzeichen gemacht, sondern die Zeit in ein Computerspiel versenkt habe.
Gleich zu Beginn gibt mir eine Sache recht: Der Einfluss von Warcraft III auf die Videospielwelt. Ohne Warcraft würde es weder World of Warcraft, noch Dota und auch kein Leage of Legends geben! Also: Was macht das Spiel so genial?
Die goldene Zeit von Blizzard
Um die Jahrtausendwende floss noch Milch und Honig und wir erlebten ein goldenes Zeitalter der Videospiele. Die technische Entwicklung schritt immer weiter voran, weshalb die Spiele immer weniger von harten technischen Limitierungen begrenzt waren. Alle paar Jahre erschien ein neues Wunderwerk, über dessen Grafik wir staunen konnten. Darüber hinaus hatten sich bereits viele Spielgenres herausgebildet, deren Mechaniken nun weiter verbessert und verfeinert wurden. Der Markt wuchs und damit auch das Budget. Doch in den Studios existierten noch Idealisten und Träumer aus den Anfangsjahren und von politischer Korrektheit hatte man noch nichts gehört.
Blizzard ist hierfür ein klassisches Beispiel. 1991 gegründet, wuchs das Studio stetig und konnte mit Diablo, Warcraft 2 und Starcraft große Erfolge feiern. Man hatte also bereits viele Erfahrungen mit Echtzeitstrategiespielen gesammelt und die Spielmechaniken immer weiter ausgefeilt. Mit Warcraft III wagte man dann den Schritt zu einer echten 3D-Grafik. Das Know-how und Budget für eine solche Unternehmung war vorhanden, aber die Firma noch nicht erstarrt und zu einem Konzern geworden. Ein kleines Indiestudio kann ein Spiel von einem solchen Ausmaß nicht stemmen.
Farbenfrohe, lebendige und brutale Welt
Unmittelbar fällt die ansprechende Comic-Grafik ins Auge. Warcraft III zeigt eine schöne Welt in kräftigen Farben, ohne dabei weichgespült und kindisch zu werden. Denn bei der Brutalität wäre es sonst mindestens FSK16 geworden! Es gibt verrottete Leichenberge, aufgespießte Köpfe und wenn eine Granate einschlägt, werden die Einheiten in einer Blutfontäne zerrissen. Es ist diese Mischung aus lebensbejahend und farbenfroh mit Krieg und Gewalt, die mich gepackt und in ihren Bann gezogen hat.
2002 musste noch genau darauf geachtet werden, die Anzahl der Polygone gering zu halten und den Speicherplatz einer CD nicht zu überschreiten. Doch aus dieser Limitierung holte man das Beste heraus. Der daraus resultierende „Low Poly“-Stil in Kombination mit den kontrastreichen und gesättigten Texturen bleibt einzigartig. Hier müssen die flüssigen und abwechslungsreichen Animationen erwähnt werden! Sei es der Klingenmeister, der in die Luft springt und zu einem kritischen Treffer ausholt, die grazilen Nachtelfen ihren Bogen spannen oder ein massiger Oger seine schlabbernde Wampe vor sich herträgt.
Aber auch das Ohr kommt auf seine Kosten. Die Soundeffekte tragen zur Lebendigkeit bei und die atmosphärische Musik nimmt die Kulturen der Völker auf. Als Kind hatte ich noch keine großen Englischkenntnisse, weshalb für mich die gute deutsche Synchronisation entscheidend für das Gesamterlebnis war. Das betrifft nicht nur die Kampagne. Die Einheiten haben immer einen markieren Spruch auf den Lippen, wenn man sie kommandiert, mit etlichen humoristischen Einlagen und popkulturellen Referenzen.
Und wie groß und vielfältig ist die Welt! Von den Wiesen Lordaerons über das frostige Northrend bis zum kargen Brachland oder den dunklen Wälder Ashenvales, in all diesen Landschaften hausen mannigfaltige Kreaturen: Murloks, Golems, Gnolle, Trolle, Drachen, Geister, Wendigos, Satyre, ….
Die Völker Azeroths – Eine stimmige Komposition
Das Spiel ist überladen mit Klischees des Fantasygenres oder wie wir Rechten sagen: Archetypen. Auch wenn diese unterschiedlicher mythologischer oder kultureller Hintergründe entlehnt sind, werden sie in den Rassen stimmig zusammengeführt. Ein schönes Detail: Die Benutzeroberfläche passt sich optisch dem Volk an, das man gerade spielt.
- Die Menschen, das sind wir. Und zwar literarisch! Alle Menschen in der Welt von Warcraft sind mittelalterliche Europäer, die in Fachwerkhäusern leben. PoCs gibt es nicht und ich habe sie auch nie vermisst. Land und Volk wird von Rittern und Paladinen beschützt. Unterstützt werden sie von Magie begabten Hochelfen und technisch versierten Zwergen, die bereits Dampfmaschinen bauen und mit Donnerbüchsen schießen können. Damit sind sie die technisch am weitesten entwickelte Rasse.
- Die Orks, das ist geballte, rohe Männlichkeit! Die Grünhäute sind eine grobschlächtige Kriegerrasse mit muskelbepackten Einheiten. Ihre raue Natur zeigt sich nicht nur an den nackten Oberkörpern, sondern insbesondere an der Darstellung ihrer Gebäude: Primitiv bauten mit Zeltplanen und großen Stoßzähnen getöteter Tiere. Als plünderndes Nomadenvolk kann man sie mit den Mongolen vergleichen. In Kalimdor schließt sich ihnen das Volk der Tauren an, eine Mischung aus dem griechischen Minotaurus und dem amerikanischen Büffel, denn ihre Kultur ist offensichtlich den Indianern entlehnt.
- Die Untoten sind ein Kult des Bösen im Kampf gegen das Leben. Wo sie sich breit machen, da verdorrt das Land und die Bäume sterben. Es sind Wesen der Finsternis wie Ghule, Gargoyls oder Gruftbestien. Die Macht der Untoten ist magisch und entspringt dem Pakt mit dämonischen Kräften. So gibt es keine Arbeiter, sondern die Akolythen beschwören die Gebäude mithilfe von Pentagrammen. Interessanterweise ist die Ästhetik der Untoten in Teilen vom antiken Ägypten inspiriert.
- Die Nachtelfen (auch liebevoll Baumschmuser genannt) sind urzeitliche, mystische Wesen und die Beschützer des Waldes. Ihre Gebäude sind uralte Ents, die sich entwurzeln und herumwandern können. Die Anlehnung an Waldgeister zeigt sich stilistisch im Torii, dem japanischen Eingangstor eines Schreins. Die Männer der Nachtelfen lassen es gemütlich angehen: Während sie über Jahrhunderte schlafen, überlassen sie es den Frauen den Wald zu hüten.
Besonders gelungen ist in die Einführung in der Kampagne. Nachdem die Orks nach Kalimdor gelangen, erreichen sie nach langer Reise die Wälder von Ashenvale. Dort erhält Grom den Auftrag, den Wald zu roden und ein großes Lager zu errichten. Doch während er sich mit seinen Kriegern an die Arbeit macht, spürt er, dass die Bäume ihn beobachten.
Nicht nur Einheiten, sondern echte Helden!
Für die Kampagne ist es genial, wenn nicht bloß Armeen aufeinandertreffen, sondern sich wie in der Illias echte Helden in die Schlacht stürzen. Dieser Kniff erlaubt es, den Spieler mitfiebern zu lassen und richtige Geschichten zu erzählen. So schuf Blizzard in ihrer Kampagne Kultfiguren, die noch bis heute die Popkultur prägen: Arthas, der dem Bösen verfällt. Thrall, der mit seiner Horde das Meer überquert und eine neue Heimat sucht. Oder Tyrande, welche die Druiden aus dem grünen Traum wecken muss, damit sie ihr Land von der Invasion des Dämonenlords Archimond verteidigen können.
Diese Erweiterung eines Echtzeitstrategiespiels um Rollenspielelemente ist ein Alleinstellungsmerkmal. Konnte man viele Mechaniken von Starcraft übernehmen, so ging man mit den Helden einen neuen Weg, der aber auch zu neuen Komplexitäten führt. So musste ein passendes Gleichgewicht von Strategie und Rollenspiel-Elementen gefunden werden. Auch die Balance wird schwieriger, wenn zusätzlich die Helden berücksichtigt werden müssen. Kann ein Held mit seinen mächtigen Zaubern das Blatt wenden, dann heißt das natürlich auch, dass das sogenannte Micro-(Management) gegenüber dem Macro(-Management) an Bedeutung gewinnt. Das funktioniert wegen der flüssigen Mechaniken, die dem Spieler die Kontrolle geben und weswegen es Spaß macht Held und Einheiten zu steuern.
Legendär: Funmaps und Editor
Mit den genannten Punkten wäre Warcraft III ein gutes Spiel, aber noch nicht außergewöhnlich. Erst der mächtige und doch einfach zu bedienende Editor machte es legendär. Die vielen Spielmechaniken, die Helden, die Kreaturen, die hunderten Zauber, diese Kombination bietet die perfekte Grundlage selbst schöpferisch aktiv zu werden!
So setzen sich die emsigen Spieler dran, eigene Fantasywelten zu erschaffen und eigene Spielprinzipien zu erfinden. Es entstand eine unglaubliche Fülle an sogenannten Funmaps. Manche extrem professionell, andere nur ein schneller Gag. Was habe ich damals alles gespielt: Tower Wars, Castle Fight, Island Defense, Uther Party, Footman Frenzy, Gaias RPG ….. Randgruppen TD! Es gibt Kampagnen, die ganze Bücher nacherzählen, mit vielen Stunden Spielzeit, bis hin zu lustigen Minigames für zwischendurch. An dieser Stelle muss ich jedoch abkürzen, denn die Funmap bieten Stoff für eine eigene Artikelserie.
Nie wieder hat es Blizzard geschafft einen so intuitiven Editor bereitzustellen. Mit ein paar Mausklicks kann man alles Wichtige finden. Für Scripte braucht man auch kein Programmierer zu sein, sondern kann ganz einsteigerfreundlich die Befehlsketten im GUI-Editor zusammenklicken. Für Fortgeschrittenen gibt es mit Jass eine zwar etwas altbackene, aber doch mächtige Programmiersprache. (Spaßfakt: Mit WurstScript haben deutsche Entwickler eine moderne Sprache geschaffen, die nach Jass kompiliert)
Wer selbst mit Mapping oder Modding aktiv wird, gewinnt ein ganz anderes Verhältnis zum Spiel als ein bloßer Zocker. Man schaut hinter die Oberfläche und durchdringt es in seiner Tiefe. Der kluge Modder kitzelt auch noch das Letzte aus der Engine heraus. Die einstmals florierende Szene an Mappern ist in den letzten Jahren leider merklich geschrumpft. Die Seite der deutschen Szene ist schon lange offline. Aber es waren schöne Zeiten, bei denen man sich gegenseitig geholfen hat Ideen zu verwirklichen.
Reforged – Eine Katastrophe
Wie könnte es heute anders sein, als das die guten Dinge noch nachträglich beschmutzt werden müssen! Gerade bei Warcraft III wäre es einfach möglich gewesen, dank der zeitlosen Spielmechanik, die Grafik etwas zu aufzupolieren und es damit fit für die Zukunft zu machen.
Doch Activision Blizzard sah nur eine Kuh, die sich melken lässt. Man ließ in China neue 3D-Modelle erstellen und stocherte noch einmal im Code rum, um das gleiche Spiel noch mal als „neugeschmiedet“ auf den Markt zu bringen. Für mich als Informatiker kam es wenig überraschend, dass es zu vielen Bugs führt, wenn man an komplexen Systemen mit vielen Abhängigkeiten und Wechselwirkungen herumfummelt.
Die größte Enttäuscht bleibt jedoch die China-Grafik, die dem Spiel seine Seele raubt. Der unverwechselbare Stil ist verloren gegangen und wurde durch 0815-Fantasy von der Stange ausgetauscht. Darüber hinaus sind die Modelle von den Proportionen zu realistisch und mit vielen unnötigen Details überladen. In Warcraft ist es normal, dass eine Einheit so groß ist wie ein Haus, das funktioniert nur im Comicstil! Es sieht also nicht nur doof aus, es passt auch nicht zu der Vogelperspektive. Ironischerweise hatte Blizzard 2015 bereits als Bonus für Starcraft 2 Modelle grafisch überholt, die dem ursprünglichen Stil treu bleiben.
Das einzig Positive: Immerhin kann man auf die alte Grafik zurückschalten. Neo und Remo, zwei deutsche Kommentatoren, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die kompetitive Szene am Leben zu erhalten, streamen bei Back2Warcraft natürlich in der alten Grafik. Außerdem gab es bezüglich des Editors auch sinnvolle Änderungen, wie die Programmierung in LUA oder neuere und flexiblere Möglichkeit eigene Benutzeroberfläche zu gestalten.
Welche Version spielt man heute?
Nach dem Reforged-Desaster stellt sich die Frage, zu welcher Version man im Jahr 2023 greifen sollte. Was steht zur Auswahl?
- 1.26a – Oldschool, Stabil, Keine native Breitbildunterstützung
- 1.29.2/1.30.4 – Version mit Umbauarbeiten für Reforged, dafür Breitbild
- >= 1.31 Reforged – Battle.net, 30GB, Bugs, rumgemurkst
Nun, ich denke das hängt davon ab, was du tun möchtest. Wenn du (eventuell zum ersten Mal) die Kampagne spielen möchtest oder bloß mit Freunden alte Karten von früher, dann würde ich ganz klassisch 1.26a wählen. Werkzeuge wie Gameranger & co erlauben das LAN-Spielen über das Internet.
Darüber hinaus kann 1.26a mit RenderEdge Widescreen auf Breitbild aufrüsten werden. Die GUI wird zwar trotzdem bloß gestreckt, was ich aber nicht als störend empfinde. (Früher mussten wir damit klarkommen, dass das ganze Bild in die breite gezogen wird.) Dabei müsst ihr natürlich bedenken, dass ein so großes Sichtfeld nicht eingeplant war und das unter Umständen der Bildrand links und rechts nicht optimal gefüllt wird. (mich stört das nicht)
Wer jedoch viele Spaßkarten online spielen möchte, der braucht das battle.net und kommt daher leider nicht an Reforged vorbei. Neue Karten nutzen außerdem die neuen Möglichkeiten des Editors und sind nicht mit alten Warcraft Version kompatibel. Wer zu Reforged greift, der muss aber unbedingt die alte Grafik wählen! Es gibt auch einen ersten Versuch, eine Warcraft III Community Version zu erstellen, aber das Projekt steckt noch in den Kinderschuhen.