Als sich die Neue Rechte formierte, tat sie dies in Abgrenzung zum altrechten Denken. Man war bestrebt, neue Wege zu finden, alte Irrwege zu verlassen, sich anderen, neuen oder vergessenen Ideen und Traditionsbeständen zu öffnen. Da wir aber nicht außerhalb der Geschichte existieren, flossen natürlich auch altrechte Versatzstücke in die neue Bewegung mit ein. Der Kameradschafts-Begriff ist eines der Dinge, die auch heute noch verwendet werden. Wollen wir nicht unsere Zusammengehörigkeit betonen? Kämpfen wir nicht einen gemeinsamen politischen Kampf und sind damit Kameraden?
Nicht ganz. Der Wunsch nach Veränderung und einer Rückbesinnung muss nicht militärische Formen annehmen. Wer Artikel im Internet schreibt oder teilt, der kann damit das Gute fördern, ohne dass man diesen Akt zum Informationskrieg hochstilisiert. Bei Thymos vermeiden wir unnötige militärische Sprache, weil wir uns eben nicht immer auf die Ebene des Kulturkampfs begeben möchten, der uns vom politischen Gegner aufgezwungen wird.
Denn “Kamerad” steht eben nicht bloß für ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Wenn Altrechte sich gerne untereinander als Kameraden bezeichnen, handelt es sich dabei nicht nur um eine Marotte. Der Begriff ist Ausdruck eines bestimmten Verständnisses des rechten Lagers. Und die Frage ist, ob dieses für uns neue Rechte überhaupt noch fruchtbar sein kann.
Vom Schlafsaal zur Kampfgemeinschaft
Begrifflich verweist Kameradschaft auf das Militär und die Gemeinschaft des Soldatentums. Das italienische ‚Camerata‘ ist die Bezeichnung für den gemeinsamen Schlafsaal. Die Kameraden sind also eine (militärische) Schlafsaalsgemeinschaft. Altrechte „Kameradschaften“ orientieren sich an dieser Geisteswelt und Ästhetik, auch wenn sie den damit eigentlich verbundenen Ansprüchen an Disziplin, geistiger und körperlicher Verfasstheit eher selten gerecht werden. Und das hat seine Gründe.
Kameradschaft ist nicht vollständig von einem soldatischen Kontext zu lösen. Sie setzt eine Form von relativer Homogenität und Uniformierung voraus. Das ist der Grund, warum wir ihre Elemente neben dem Militär im zivilen Bereich vor allem in Sportvereinen, daran angeschlossenen Fanclubs oder Organisationen wie den Pfadfindern finden können, die gewisse soldatische Elemente teilen. Äußere und innere Zwänge bringen und halten den Kameradschaftskörper erst in Form. Eine äußere Gefahr, sei es in der Form unbarmherziger Natur oder eines Feindes bzw. Gegners, gemeinsam zu bestehende Herausforderungen und ein Gehäuse fester Strukturen und Hierarchien stellen jene Art von Zwängen dar, die eine fest gefügte Gruppe schaffen. Der äußere Zwang, den zum Beispiel ein gemeinsamer Feind darstellt, stellt zudem einen Burgfrieden her. Die Situation einer konstanten Bedrohung sorgt dafür, dass niemand einfach so aus der Kameradschaft ausscheren kann, selbst wenn er das wollen würde.
Grenzerfahrung als formierendes Ereignis
Dieser innere Frieden wird durch die Ausbildung einer Gruppenidentität gefestigt. Wer gemeinsam die Grundausbildung durchlaufen, mit anderen Soldaten auf der Stube gelebt, zusammen gegessen, Dienst versehen, Freizeit gestaltet hat; wer von den gleichen Offizieren zusammen gestaucht und in Form geknetet oder von ihnen inspiriert und gut und fair geführt worden ist, entwickelt den gleichen Erfahrungshorizont. Erst daraus entwickelt sich eine gemeinsame Identität, wachsen gegenseitige Verpflichtung, Verantwortung und Loyalität. Daraus entsteht zugleich auch eine Erwartung. Die Kameradschaft ist zunächst Selbstzweck in sich. Ihre Mitglieder sind zuvorderst füreinander und die Gruppe da. Man kann nicht einfach kommen, gehen und sich verhalten, wie es einem beliebt.
Die höchste und zugleich schrecklichste und damit einprägsamste Form des gemeinsamen Erlebens ist der Krieg. Als großer Gleichmacher setzt er ein gemeinsames Fundament der Erfahrung für all die Individuen, die er vereinnahmt. Er lässt Platz für den Heroismus Einzelner im Rahmen der kameradschaftlichen Struktur, aber kennt zugleich kein Pardon für Abweichler, Primadonnen und rücksichtslose Einzelkämpfer. Die Spannbreite der möglichen Erfahrungen hat Ernst Jünger in seinen Stahlgewittern literarisch verarbeitet.
Der faschistische Staat als Volkskaserne
Das Funktionieren und Überleben der Einheit erfordert, dass alle in der gleichen berechenbaren Weise handeln und füreinander einstehen. Erst das schafft Vertrauen und die Bereitschaft zur Unterordnung. Deshalb muss gegenüber querschießenden Elementen die Kohärenz der Kameradschaft immer wieder neu durchgesetzt werden. Man nordet sie ein oder sondert sie aus.
Dies war die Basis auf der die Vorbilder heutiger Altrechter ihre politischen Bewegungen, seien sie auf die Masse oder mehr auf eine Elite ausgerichtet gewesen, aufgebaut haben. Die Erfahrung vor allem des ersten Weltkriegs war so epochen- und gesellschaftsbildend, dass sie den Startschuss einer Vielzahl an Denk- und Politströmungen der Moderne bildete, von denen der Faschismus eine derjenigen war, die zu realer Bedeutung kam. Er anverwandelte die Kriegserfahrung in einen geistigen andauernden Kampf gegen die Welt und ihren Lauf, dem man nur begegnen konnte, in dem man das Volk als eine große Kameradschaft mobilisierte und den Staat zu diesem Zweck zu einer großen Kaserne machte. Es war ein letzter Versuch mit einer gewaltigen Kraftanstrengung das Ruder der Geschichte zu ergreifen und herumzureißen.
Das Verschwinden des Soldatentums
Die Gegenwart zeichnet sich durch einen Mangel an einer einschneidenden volksumspannenden Grenzerfahrung aus, die zugleich die Unterordnung unter eine gemeinsame Autorität oder Eingliederung in eine formende Hierarchie erzwingt. Sie geht den meisten Normalbürgern schlicht ab. Keine der noch in relevanter Zahl lebenden Generationen hat einen großen Volkskrieg mit einer Mobilisierung eines Großteils der Männer erlebt. Wir haben keine Frontveteranen, die weit über alle politischen Spektren und sozialen Schichten hinweg eine solche gemeinsame Erfahrung geteilt haben. Schon gar keinen totalen Krieg, der sogar die Heimatfront bis hin zu den letzten Familienmitgliedern hätte vereinnahmen können.
Militär- und Militärdienst sind auch keine Schulen des Volkes mehr, vor allem nicht mehr seit dem Ende der Wehrpflicht. Zuvor schon, aber von da an immer rapider, hat sich die Armee zu einem seltsam außerhalb der Gesellschaft stehenden Konstrukt entwickelt. Mit der Lebenswirklichkeit von Soldaten und dem Organisationsprinzip der Armee gibt es praktisch kaum mehr Berührungspunkte in der Breite.
Kameradschaft ohne Grundlage
Manch ein Keller- und Wochenendkrieger mag das Ausbleiben regelmäßiger Massensterbe-Ereignissen, mögen es nun Kriege oder gewaltige Umweltkatastrophen sein, für die Verlotterung des Volkes verantwortlich machen und bedauern, aber das ist Gegenstand für eine andere Diskussion. Konstatieren muss man aber, dass das Vorbild Armee als übergreifendes Ordnungsmodell für die Neue Rechte der Gegenwart nicht tragfähig ist. Der Kameradschaft liegen keine Veteranenvereine, keine Frontkämpferbünde, keine volksumspannende Grenzerfahrung von Krieg, Kriegsniederlage und Wirtschaftskrise mehr zu Grunde auf die die Vorreiter der Altrechten noch als Fundament zurückgreifen konnten.
Eine rechte Volksbewegung kann auf dieses Prinzip also nicht mehr aufgebaut werden. Allerdings gilt das Gesagte auch für kleine Gruppen und betrifft damit Altrechte unisono. In der Betonung ihrer Kameradschaftlichkeit müssen sie dazu übergehen, sie sich aus der Vergangenheit bspw. bei der Wehrmacht oder der Sturmabteilung als kämpferischer Bruderschaften zu borgen. Dabei werden jedoch nur Kostüme übergezogen. Die reale gemeinsame Kampf- und Kriegserfahrung sowie soldatische Disziplinierung fehlen in der letzten Konsequenz, auch wenn man versucht, eine eingeschworene Gemeinschaft zu simulieren.
Die Zwanglosigkeit der Modernen Welt
Keine unmittelbaren Zwänge (sieht man vielleicht von der Androhung von Gewalt oder anderen Konsequenzen beim Ausscheren aus dem altrechten Lager ab) halten einen Neonazi bspw. davon ab, seiner Kameradschaft den Rücken zu kehren, wenn es dort nicht seinen Vorstellungen gemäß zugeht oder er vielleicht doch wieder ein bürgerliches Leben bevorzugt. Deshalb können auch strenge Verhaltens- und Lebenskodizes (mit denen man gerne kokettiert), die eigentlich den „Vorteil“ einer kameradschaftlichen Organisation darstellen würden, nicht einmal innerhalb der eigenen Gruppe wirklich durchgesetzt, geschweige denn glaubwürdig nach außen transportiert werden. Das ist prinzipiell nicht schlimm, niemand ist absolut perfekt, aber es ist performativ unauthentisch. Ein Spieß ließe seinen Soldaten auch keine ungemachten Betten und zugemüllten Stuben durchgehen.
Die Spurbreite des neurechten Grats
Dies ist auch für uns Neurechte relevant. Wir befinden uns nach wie vor in einem stetigen Formierungsprozess. Kameradschaftlichkeit ist als Wert in Form einer solidarischen Rechten begrüßenswert. Doch finden wir auch das oben skizzierte Kameradschaftsdenken nebst anderer altrechter Versatzstücke in unserem Lager immer noch vor. Am deutlichsten und problematischsten ist das an der immer wieder aufkommenden Frage zu sehen, wie ein Rechter sein Leben führen, politisch eingestellt und Handeln sollte. Es sind klare Versuche im Sinne der Kameradschaft eine Kohärenz gemeinsamer Standards zu schaffen. Klarerweise kann nicht alles Rechts sein, nur weil man es dazu erklärt. Die Spurbreite möglicher rechter Lebensmodelle, Vorbildfiguren und Ideale ist dennoch reichlich groß.
Genauso wie bei den Altrechten besteht kein unmittelbarer Zwang, keine natürliche Autorität, keine gemeinsam geteilte Gewissheit. Daher mangelt es an einem selbstverständlichen Willen zur Unterordnung unter andere Standards. Es geht je nach Zugang zum Rechten individuell zu. Leute, die auf der Suche sind, Kippfiguren, die sich ihrer selbst nicht sicher sind, vor kurzem Erwachte, die erstmal nur Dagegen sind und Aktivisten mit unterschiedlichen gefestigten Meinungen darüber, was das politische Minimum oder Maximum sein sollte. Und all diese Leute haben auch noch völlig verschiedene Vorstellungen davon, wo die historischen, philosophischen und weltanschaulichen Vorbilder liegen und welchen Stil man deshalb pflegen oder meiden sollte.
Unter welchem Banner sollen wir uns sammeln?
Wenn sich die Kameradschaft dadurch auszeichnet, sich einem gemeinsamen Gegner in der Schlacht zu stellen und ihn zu überwinden, was ist dann bei so vielen unterschiedlichen Zugängen zum Rechten überhaupt das Schlachtfeld? Wer ist der Gegner? Sind es rotlackierte Faschisten, Linke, Kommunisten, Liberalos, die Globalisten, Satanisten, internationale Eliten, der Zeitgeist, die Moderne? Und welches Ziel soll überhaupt erreicht werden? Die BRD von vor 2015, vor 2005 oder die der 80er oder gar 50er Jahre?
Ist die BRD überhaupt ein legitimer Staat und leben wir nicht eigentlich ohne wirkliche Verfassung, sondern unter Besatzung? Müssen wir nicht noch viel weiter zurück und den Kaiser wieder auf den Thron setzen? Oder müssen radikal-demokratische Lösungen ins Auge gefasst werden? Soll an die Revolution von 1848 angeknüpft werden? Aber eigentlich war ja auch die Idee des Heiligen Römischen Reiches gar nicht so schlecht… Sollen wir uns selbst verharmlosen? Reicht es nicht, nur die Stimme der Vernunft zu sein? Oder muss es wortwörtlich direkt an die Wurzel gehen?
Ist das bäuerliche Leben auf der Scholle ideal oder das des Firmengründers und Selfmade-Mans. Ist die Kleinfamilie genug oder müssen wir zurück zur Großfamilie in einem Haus? Soll die Frau arbeiten oder sich um die Kinder kümmern? Darf ein Rechter zur Jeans greifen oder sollte er bei der Stoffhose bleiben? Kann nur ein Gott uns retten oder müssen wir zum Übermenschen werden? Und wenn wir uns zur Religion entscheiden, soll es dann Deus Vult oder Heil Odin sein? Umarmen wir die Technik oder heißt es „Retvrn to Monke“? Und wer sind unsere Heldenfiguren und Vorbilder?
Ungewissheit als Ausgangspunkt
Angesichts der Vielgestaltigkeit der möglichen Zugänge zum Rechten und rechter Herangehensweisen an die Politik und die private Lebensführung, ist Ungewissheit ein wesentliches Merkmal des rechten Lagers der Gegenwart. Ohne zu wissen, wo das Schlachtfeld liegt, ohne Gewissheit über das gemeinsame Ziel, können wir nicht kämpfen.
Die Versuche, bei einer solchen Ausgangslage eine kameradschaftliche Kohärenz gemeinsamer Standards von oben herab zu setzen, entarten deshalb häufig zu Schaukämpfen, vor allem wenn die Teilnehmer sich hier im Besitz der Wahrheit wähnen. Auf der einen Seite werden Leute exkommuniziert, die nicht rechts, radikal, traditionalistisch, soldatisch oder kaltschnäuzig genug auftreten, andererseits Leute verurteilt, die nicht in gleicherweise skrupulös, gemäßigt oder von BRD-Moral belastet sind. Die Folge sind Balkanisierung, Distanzierungsorgien bis hin zum Verlassen des rechten Lagers mit anschließender Flucht in die Mitte oder Radikalisierungsspiralen. Wenn den Leuten etwas nicht passt, werden sie sich abwenden.
Das Rechte als Weg begreifen
Dies ist der Grund, warum das Modell des Kameraden das rechte Lager heutzutage nicht mehr zusammenhalten und tragen kann. Die Neurechten müssen daher nach einem neuen Pfad suchen. Sie müssen sich als Schicksalsgemeinschaft verstehen lernen und als Gefährten begreifen. Was dies bedeutet, erfahrt ihr im zweiten Teil unseres Essays.